Die EU-Kommission denkt neuerdings in biblischen Maßstäben: EU-Initiativen müssen künftig ein „Gebot“ befolgen. Es lautet „Verursache keine Schäden“. So steht es im „Europäischen Klimagesetz“, das die deutsche Behördenchefin Ursula von der Leyen Anfang März vorlegte.
Zwar kann die EU in Wirklichkeit nach wie vor weder Gesetze noch Gebote erlassen. Der EU-Vertrag beschränkt die Macht der Brüsseler Institutionen auf Verordnungen und Richtlinien. Aber auch die können viel bewegen. Und genau das haben von der Leyen und ihr Vizepräsident Frans Timmermans vor.
Für die Landwirtschaft wird die Strategie Farm to Fork (Vom Hof auf den Tisch) die Weichen für die nächsten Jahre stellen. Ende März will die Kommission das Positionspapier beschließen, falls sich nicht durch die Corona-Krise noch eine Verschiebung ergibt. Das Papier wird die langfristigen Ziele des sogenannten Green Deals im Bereich der Landwirtschaft konkretisieren.
Den Green Deal hatte von der Leyen im Dezember bekanntlich als die neue Wachstumsstrategie der Gemeinschaft vorgestellt. Das Ziel: Bis 2050 soll Europa schrittweise klimaneutral werden. Das sogenannte Europäische Klimagesetz, das tatsächlich eine Verordnung ist, soll aus dieser politischen Absichtserklärung eine für alle Mitgliedstaaten rechtlich bindende Vorgabe machen. Den Entwurf beschloss die EU-Kommission am 4. März 2020.
Ein agrarpolitisches Beben
Was wird Farm to Fork für die Landwirtschaft bringen? Der Redaktion agrarheute wurde vorab ein interner Entwurf des Papiers aus der federführenden EU-Generaldirektion Gesundheit zugespielt. Darin sind einige Textstellen zwar noch in eckige Klammern gesetzt; das ist ein sicheres Zeichen, dass diese Passagen selbst innerhalb der Kommission bis zuletzt umstritten sind. Aber das interne Dokument ist politisch deutlich grün gefärbt.
„Farm to Fork spiegelt eine offensichtliche seismische Verschiebung der Agrar- und Ernährungspolitik in der Kommission wider“, sagt Alan Matthews. Er ist ein intimer Kenner der Brüsseler Agrarszene und emeritierter Professor für EU-Agrarpolitik am Dubliner Trinity College.
Zwar sagt DBV-Präsident Joachim Rukwied: „Die Hauptaufgabe der Bauern bleibt die Ernährung.“ Doch Matthews schwant: „Die Bauernverbände scheinen noch nicht begriffen zu haben, inwieweit sich die Grundlagen der Debatte über die Agrarpolitik in den letzten zwei Jahren verschoben haben.“
- den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren,
- den Ökolandbau ausdehnen,
- den Absatz von Antibiotika für die Tierhaltung verringern,
- mineralische und Wirtschaftsdünger ins Visier nehmen.
Beim Pflanzenschutz will die Kommission bis 2030 eine deutliche Reduzierung gegenüber 2017 erreichen. Hardliner in der Behörde fordern ein Minus von 50 Prozent. Doch diese Zahl war bis zuletzt umstritten. Die Mitgliedstaaten sollen aber zu einer Verringerung verpflichtet werden.
Die Zielerreichung wird jährlich überwacht. Schon im kommenden Jahr plant die Behörde, neue Regeln zur Stärkung des integrierten Pflanzenschutzes und zur Dokumentation des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln vorzulegen. Um mehr moderne Wirkstoffe zur Verfügung zu stellen, soll die Zulassung beschleunigt werden.
Tierwohllabel und Indikatoren
Die Strategie Farm to Fork betrifft nicht nur die landwirtschaftliche Produktion. Angekündigt werden auch ein Vorschlag zur Lebensmittelkennzeichnung einschließlich einer Herkunftskennung für Milch und Fleischzutaten sowie eine Prüfung von Tierwohllabeln. Darüber hinaus sollen Tierwohlindikatoren entwickelt werden. Die Vorschriften für die Verfütterung von Eiweiß aus Insekten und Algen sollen gelockert werden, ebenso wie bestimmte Futtermittelverbote für Schweine und Geflügel.
Farm to Fork ist deutlich anzumerken, dass die Federführung bei der EU-Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit liegt. Unter Leitung von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides wurde ein Papier ausgearbeitet, das vor allem die gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft im Blick hat. Die Wirtschaftlichkeit und die Ernährungssicherung spielen eine untergeordnete Rolle. Ernährungsfragen sind für Kyriakides vor allem ein Thema von Kampf gegen Überernährung und Nahrungsmittelverschwendung.
Wojciechowski setzt keine Akzente
Von EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski ist in diesen richtungsweisenden Debatten um die Ausrichtung der europäischen Agrarpolitik wenig zu hören. Der Pole beschränkt sich bislang darauf, gebetsmühlenartig zu fordern, den Agrarhaushalt nicht zu kürzen.
Das könnte zu wenig sein, um die Interessen der Landwirtschaft auf EU-Ebene zu verteidigen. Schon jetzt ist die Lage von einer unglücklichen zeitlichen Verzerrung geprägt: Während die GAP-Reformvorschläge seit fast zwei Jahren auf dem Tisch liegen, hat sich das größere politische Umfeld durch den Green Deal und die Farm-to-Fork-Strategie grundlegend verändert.
Brüssel-Insider haben den Eindruck, Wojciechowski verstehe es bisher aber nicht, die GAP-Reform an die neue Lage anzupassen. Sein Zögern könnte dazu führen, dass im zweiten Halbjahr eine Reform einschließlich Beihilferahmen für die Zeit nach 2022 beschlossen, das Fachrecht aber schon 2021 tiefgreifend verändert wird. Dazu dürften die angekündigten Richtlinienvorschläge zur Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutz- und Düngemitteln sowie von Antibiotika beitragen, aber auch jene Maßnahmen, die das Ziel der Klimaneutralität sichern sollen.
Bis Juni 2021 will die Kommission alle einschlägigen Politikinstrumente überprüfen und gegebenenfalls eine Überarbeitung vorschlagen, damit zusätzliche Emissionsreduktionen erreicht werden können. „Die Klimabestrebungen der Kommission werden zu erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen führen“, sagt Alan Matthews voraus und hält solche Verwerfungen auch in der Landwirtschaft für möglich.
Hier ist Ihre Meinung gefragt
Werden Sie Teil unserer Community und diskutieren Sie mit! Dazu benötigen Sie ein myDLV-Nutzerkonto.