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Betrieb Schipflinger: Vor zehn Jahren war noch Steinzeit

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am Montag, 07.09.2020 - 12:59

Familie Schipflinger ist über die Tiroler Landesgrenzen hinaus für bestes Zuchtvieh bekannt. ­Doch auf der Alm am Ende des Brixentals wird den Schauschönheiten seit jeher viel abverlangt. Das Trainingslager in der Höhe scheint sich auszuzahlen. Erleichterung brachten nun neue Stallgebäude.

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Kaum zu glauben, während Mensch und Tier im Tal bei über 30° C schwitzen, weht hier oben auf der Streitfeldenalm, auf über 2000 m Seehöhe, ein kühles Lüftchen. Der Wind drückt die Wolken gegen die Bergflanken von Tristkopf und Kröndlhorn. Wie aus dem Nichts taucht die 65-köpfige Fleckviehherde des Maurer- und des Mittererbauern aus Itter im Nebelgrau am Horizont auf. Gemächlich und mit sicherem Tritt bahnen sich die Tiere im Gänsemarsch ihren Weg hinunter zum neuen Alm-
stall. Vor fast zehn Jahren wurde dieser errichtet, in 5000 Stunden Eigenleistung, mit 350 m³ Holz aus dem eigenen Wald sowie unzähligen Fuhren Beton, die allesamt im Zwangsmischer aus dem herauf transportierten Schotter angerührt wurden. Ein enormes Unterfangen, doch bauen am Berg ist nun mal ein Kraftakt.

Der Stall sucht im gesamten Alpenraum seinesgleichen. Er ist 60 Meter lang. In der Mitte befindet sich der Wirtschaftraum mit den Milchtanks und nach Norden bzw. Süden sind die Ställe mit der doppelreihigen Aufstallung für das Milchvieh gespiegelt. Denn jeder Bauer melkt und versorgt seine eigene Herde separat. »Vor zehn Jahren hatten wir hier oben noch Steinzeit«, sagt der Maurer-Bauer Johann Schipflinger und blickt hinüber auf die noch bestehenden Altgebäude aus akribisch angeordneten Felssteinen, die schlicht mit Dreck verputzt wurden. Der alte Stall und die Hütte mit dem Aufenthaltsraum sowie den Schlafkammern für die beiden Senner sind geschätzt 250 Jahre alt. Im steinernen Stall mit Holzboden auf zwei Ebenen sind heute zeitweise noch die Kälber untergebracht. 35 Stück und 60 Jungrinder verbringen ebenfalls die Sommerfrische auf der knapp 500 ha großen Alm am Salzachjoch, im Grenzgebiet zwischen Tirol und Salzburg.

Entbehrungsreiches Leben

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37 Almsommer zählt Johann Schipflinger in diesem Jahr. Bereits in der Schulzeit mit 16 Jahren begann er die verantwortungsvolle Aufgabe am Berg für seinen Vater Hans und den Maurerhof zu übernehmen. »Es ist ein eigenes, schönes, aber gleichsam entbehrungsreiches Leben. Es kann aber auch eine Berufung sein, wenn man mit dem vielen Alleinsein zurechtkommt«, schildert er seine Erfahrungen.

Früher als es noch kein Handy gab, habe man unter Umständen mal eine Tageszeitung bekommen. »Die Nachrichten darin waren dann zwar längst veraltet, aber man hat sie einfach so gelesen, wie wenn sie gestern passiert wären«, sagt der 53-Jährige Johann und lacht. Insgeheim vermisse er diese Form der Entschleunigung auf der Alm heute schon etwas, denn natürlich werde auch hier vieles moderner. Die meisten Bergsteiger und Touristen würden heute nur schnell auf die Gipfel springen, ein Foto machen und sehen die einzigartige Natur rundherum gar nicht mehr. Das findet er sehr schade.
Inzwischen steht seine Fleckviehzuchtherde zufrieden im Stall und labt sich an Kraftfutter und Heu. Schipflingers betreiben Kombinationshaltung im besten Sinne. »Denn wir kombinieren die Vorteile von einem modernen Laufstall im Tal mit optimierter Anbindehaltung und Weidegang auf unseren drei Legern auf der Alm«, erklärt der Betriebsleiter. Er hat den Maurerhof mit dem dazugehörigem Niederleger Mitteregg (1040 m), Mittelleger Kuhwildalm (1740 m) und der Hochalm Streitfelden (2040 m) im Jahr 2007 übernommen.

Viel hat man bislang in die Erschließung der bis zu 30 km vom Hof entfernten Almen investiert. Doch es habe sich gelohnt. Der Bau des Wirtschaftsweges, die Stromerschließung auf dem Nieder- und Mittelleger sowie der Bau neuer Stall- und Wirtschaftsgebäude seien für die weitere Bewirtschaftung der Almen essentiell. Mit Sohn Hannes, einem eingefleischten Jungzüchter stehe auch schon die nächste Generation voll motiviert in den Startlöchern, »doch die Rahmenbedingungen für die weitere Bewirtschaftung müssen einfach stimmen«, wie sein Vater klar vorgibt.

»Wenn ich bedenke, dass wir vor gar nicht allzu langer Zeit die Milch von der Hochalm über eine provisorische Pipeline, ein Halbzoll-Wasserrohr, vom Bottich auf 2000 Meter einen Kilometer den Berg runter geschickt haben zum Mittelleger, wo die Milch aufgefangen und zu Käse verarbeitet wurde – dann kann man sich das heute kaum mehr vorstellen«, erzählt Austragsbauer Hans und schmunzelt. Es habe immer eine Person schnell parallel runterlaufen müssen, um vor der Milch unten zu sein, um diese aufzufangen. »War die Leitung beispielsweise durch einen Viehtritt beschädigt, dann hat der unten lange warten können. Dann landete die Milch auf der Wiese«, sagt der Opa und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

 

Viel Kuhkomfort auf der Alm

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Auch in den Almställen, wo sich die Tiere über Nacht befinden, stehen und liegen die Kühe auf einem üppigen Strohbett. Das moderne Selbstfangfress- gitter bietet ihnen den nötigen Komfort und hat arbeitswirtschaftlich enorme Vorteile. »Jedes Tier geht selbstständig an seinen Platz und zum Auslassen brauchen wir nur den Hebel umlegen und alle können sich wieder frei bewegen«, sagt der Züchter begeistert.

Nicht nur die Geländegängigkeit beim Menschen ist hier oben am Berg gefragt, sondern besonders auch beim Vieh. »Gute Fundamente und Euter sind bei uns das A und O«, sind sich alle drei Generationen am Maurerhof einig. »Natürlich sind unsere Tiere das von klein auf gewöhnt, aber wenn eine nicht gescheit laufen kann, dann kommt sie bei uns sofort weg«, sagt Bauer Johann deutlich.

»Früher hatten wir meist nur einen Gemeindestier. Heute sind es 50 und mehr Bullen aus denen man wählen kann«, wirft sein Vater Hans ein. »Die Mint- und Herzschlag-Töchter überzeugen uns momentan am meisten«, berichtet Junior Hannes. Er sowie seine Brüder Christoph und Florian waren zuletzt mit vielversprechenden Jungkühen bei der Jungzüchterschau in Imst vertreten, nämlich Voila-Tochter Rosanna, GS Wertvoll-Tochter Cora  und Madness-Tochter Lara, allesamt Almkühe.

Fleckviehgeschichte haben Schipflingers mit der Ausnahmekuh Hupsol Maja geschrieben, die auf der Eurogenetik-Schau, der Bundesschau sowie auf diversen Verbandschauen der Rinderzucht Tirol Championtitel abräumen konnte. Zahlreiche Auszeichnungen und Siegerfotos zieren den neuen Stall.

Zudem verkaufen Schipflingers rund 25 bis 30 Jungkühe sowie etwa fünf Zuchtbullen als Sprungstiere pro Jahr über den Markt in Rotholz. Derzeit stehen Kandidaten von Wellinger, Zazu, Moralis und Woiwode in der Sammelbucht. »Durch die Ankaufsprämie des Verbandes konnten die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Markt zum Glück ziemlich kompensiert werden«, berichtet Hannes Schipflinger.

 

Prächtiger Almabtrieb

In diesem Jahr startete die Almsaison am 16. Mai und wird voraussichtlich bis zum 3. Oktober gehen. Bekannt sind Schipflingers für ihren traditionellen Almabtrieb mit farbenfrohen Kränzen und festlichem Geläut. 70 Glocken, sogar einige aus dem 19. Jahrhundert warten darauf, dann wieder für ihren klangvollen Einsatz hervorgeholt und poliert zu werden. »Das gehört für uns einfach dazu, dass man auch ehrfürchtig und dankbar ist, wenn alles gut gegangen ist.

Angst vor dem Wolf

Ein Thema liegt den Tiroler Almbauern allerdings wie ein Stein im Magen, nämlich der Wolf. »Ein Wolfsschützer ist für mich kein Tierschützer«, sagt der Fleckviehzüchter überzeugt, »der soll mal zusehen, wie qualvoll das Weidevieh zugrunde geht, wenn es der Wolf zugerichtet hat.«

Die Natur müsse vom Menschen gleichberechtigt behandelt werden, da dürfe das Weidevieh von Teilen der Gesellschaft nicht ausgeklammert werden, weil es nicht ins ›verklärte Weltbild‹ passt.« Mit Realitätsbewusstsein habe das nichts zu tun. »Diese Leute wissen gar nicht, was wir alles für das tägliche Tierwohl und den Naturschutz auf uns nehmen«, so der Maurer-Bauer enttäuscht.

Doch aufgeben ist für ihn keine Option. »Wir können nicht einfach mit all dem aufhören, was unsere Vorfahren unter noch schwierigeren Bedingungen geschaffen haben«, ist er sich sicher. Auch wenn er inzwischen immer mit einen mulmigen Gefühl das Vieh am Berg kontrolliert. Es könnte ja etwas gewesen sein.