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Der "Faktencheck" im Faktencheck

Warum 1 kg Fleisch keine 25.000 l Wasser "verbraucht"

angerichtetes Rindersteak
am Donnerstag, 03.06.2021 - 05:00 (6 Kommentare)

Der Südwestdeutsche Rundfunk brüstet sich mit einem Wissensvideo über Fleisch – und hat dabei offenbar recherchefrei Falschbehauptungen aus NGO-Kreisen übernommen. Ein Faktencheck für den "SWR-Faktencheck".

Vor wenigen Tagen erst glänzte das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen mit einem Meinungsstück voller falscher und verzerrter Aussagen. Hannes Jaenicke lieferte mit seiner einseitigen Betrachtung der Wolfsproblematik in Deutschland großzügig Munition gegen betroffene Weidetierhalter.

Dass die ARD-Anstalten das ebenso gut können, beweist gerade der Südwestdeutsche Rundfunk (SWR3) in seiner online-Reihe "Faktencheck". Man werde klären, ob Fleischessen tatsächlich eine Klimasünde sei, verspricht Moderator Dr. Philip Häusser am Anfang der Sendung: "Wir wollen niemanden bekehren oder andere Meinungen blöd darstellen. Unser Job ist es, Fakten zu checken, und zwar so, dass sich jeder seine eigene Meinung bilden kann."

Nach genau 1:33 min ist klar: Dieses Versprechen scheitert schon im Ansatz an seinen Ansprüchen. Oder wie sonst könnten so irrwitzige Behauptungen entstehen wie: "90 Prozent aller Säugetiere auf unserer Erde leben, um geschlachtet zu werden"? Allein die gegenwärtige Mäusezahl in Südwestaustralien dürfte sämtliche Rinder, Schafe und Schweine weltweit zahlenmäßig abhängen.

25 kg Getreide für 1 kg Fleisch oder: Wie man Rinder totfüttert

Was folgt, kennt man vor allem aus diversen NGO-Veröffentlichungen: Bis zu 25 kg Getreide und 25.000 l Wasser verbrauche ein Kilogramm Rindfleisch, bis es auf underen Tellern landet, erklärt Häusser. Diese „Fakten“ auf Plausibilität zu überprüfen, haben die „Faktenchecker“ leider nicht für nötig befunden.

Also tun wir das mal: Bei einem durchschnittlichen Fleischansatz von 1 kg pro Lebenstag müsste ein Mastrind täglich 25 kg Getreide fressen – im Schnitt, also entweder schon als neugeborenes Kalb mit dieser Diät loslegen oder als großer Bulle dann mindestens das Doppelte reinhauen. Wer sich jemals mit wiederkäuergerechter Ernährung befasst hat, weiß: Das arme Vieh würde nach wenigen Tagen erbärmlich eingehen.

Die passenden Fakten von den passenden Quellen

Wie die Sendungsproduzenten auf diese Zahl kommen, ahnt man, wenn man die Quellen anschaut, die unter dem Video säuberlich verlinkt sind.

Gut ein Drittel der 25 deutschsprachigen Verweise stammen von NGOs und Umweltstiftungen. Dazu kommen TV-Sender und -Formate wie die Deutsche Welle oder Quarks. Ein weiteres knappes Drittel liefern Bundesumweltamt und Umweltministerium.

Einzige landwirtschaftliche Quelle: die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, die aber nur Zahlen zum Fleischmarkt und nicht etwa zur Tierernährung beisteuern durfte. Bei dieser Expertenauswahl stolpert natürlich keiner über die depperte Phantasiezahl.

Regenwasser verschwindet nicht in der Kuh

Auch beim Wasser hätte man mal jemanden fragen können, der sich auskennt, statt brav abzupinseln, was BUND, WWF und Co. vorkauen – oder deren Angaben sogar noch eifrig zu überbieten. Denn selbst die Albert-Schweitzer-Stiftung, die sonst gern zu eindrucksvollen Zahlen greift, spricht nur von 15.400 und nicht von 25.000 l.

Aber welche Menge man auch ansetzen will: Sie besteht immer zum weit überwiegenden Teil aus sogenanntem „grünen Wasser“. Also aus Niederschlägen, die auf jene Flächen fallen, auf denen Rinder weiden oder wo ihr Futter wächst. Dieses Wasser wird nicht aus dem Grund- und Oberflächenwassersystem entnommen, sondern befüllt es im Gegenteil. Und es lässt Pflanzen wachsen – und das vor allem auf Böden, die für die Produktion menschlicher Nahrung nicht oder schlecht geeignet sind.

Laut Water Footprint Network entfallen rund 94 Prozent der Wassernutzung in der Rinderhaltung auf dieses „grüne Wasser“. Bei den „Faktencheckern“ bleibt die Zahl 25.000 aber einfach unkommentiert stehen und erweckt – gewollt oder nicht – beim Zuschauer den Eindruck, dass hier Unmengen von aufbereitetem Trinkwasser einfach in der Kuh „verschwinden“.

Regenwaldabholzung nur zugunsten der Fleischesser?

In diesem Stil der gezielten Halbinformation geht es weiter.

Stichpunkt Regenwald: In Brasilien, erklärt Moderator Häusser, wurden innerhalb eines Jahres 11.000 km² Regenwald gerodet. Und fügt bedeutungsschwanger hinzu: „Wir können allerdings nicht sagen, ob diese Flächen jetzt wirklich komplett für die Tierhaltung oder den Anbau von Tierfutter verwendet wurden.“

Nun, Herr Häusser, andere können das. Die Antwort ist schlicht und ergreifend: nein. Regenwald wird aus vielerlei Gründen abgeholzt, Rinderhaltung und Sojaanbau (letzterer natürlich nicht nur für Futter, sondern vor allem auch für die Ölproduktion) sind zwei davon. Es geht aber auch um Tropenholz, Palmöl, Bodenschätze, Infrastrukturbau und vieles mehr. Es gibt zahlreiche Quellen zu diesem Thema, die „Faktencheck“ mit Sicherheit auch kennt. Doch so, wie es im Video gesagt und betont wird, bleibt der Eindruck, als ginge tatsächlich jeder gefällte Regenwaldbaum aufs Konto der Steakliebhaber.

Statt 50 nur 15 Prozent Treibhausgasanteil

Damit wir uns richtig verstehen: Unsere Ernährung hat zweifelsohne einen großen Einfluss auf Klima und Umwelt. Deshalb sollte auch der Fleischkonsum kritisch betrachtet werden. Aber eben nicht verzerrt und einseitig, denn das hilft keinem, schon gar nicht dem Klima.

Am Ende versucht es Häusser nochmal mit einem Anstrich von Objektivität und verweist erneut auf eine Studie, die er anfangs der Sendung noch so zitiert hat, dass wohl niemand ihre Ergebnisse ernsthaft in Zweifel ziehen mochte: Das World Watch Institute habe Ergebnisse veröffentlicht, nach denen 50 Prozent des vom Menschen verursachten Treibhausgasausstoßes auf die Tierhaltung zurückzuführen sei.

Diese Zahl, räumt der Moderator ein, sei wohl zu hoch gegriffen. Andere Quellen gingen nur von 15 Prozent aus. Warum also zitiert er diese – und nur diese – Studie am Anfang seiner Sendung?

Alle Vorurteile sauber bestätigt

Nur wer fast bis zum Ende des gut 11-minütigen Videos durchgehalten hat, darf also jetzt diese neue Erkenntnis mit nach Hause nehmen. Die weniger Geduldigen behalten die Aussage vom Beginn im Kopf: Nutztierhaltung ist für die Hälfte aller Treibhausgase verantwortlich.

Aber selbst die 15 Prozent, die am Ende im Raum stehen bleiben, hätten bei einem echten Faktencheck kommentiert werden müssen, denn natürlich würde ein pflanzlicher Ersatz tierischer Nahrung auch CO₂ ausstoßen, von anderen Punkten wie der energie- und emissionsintensiven Mineraldüngerherstellung und der Frage der Nutzung von absolutem Grünland nicht zu reden.

Doch wie sagt der Moderator und promovierte Informatiker am Schluss der Sendung: „Dass Fleisch nicht so super ist fürs Klima, das war mir schon mehr oder weniger vorher klar.“ Wer als Wissenschaftler so an eine Fragestellung herangeht, bekommt schon das erwünschte Ergebnis. Was zu beweisen war.

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