Zugegeben, ich mag ja auch keine ausgestopften Tiere. Selbst die gelungensten Exemplare wirken auf mich wie Staffage aus einem Gruselkabinett. Zu viel Alfred-Hitchcock-Filme vielleicht. Ist ja auch Geschmacksache.
Die Diskussion, die sich um ein Tierpräparat in einem Brandenburger Edeka-Markt entfachte (siehe Link unten), hatte allerdings nur wenig mit Geschmack zu tun. Es ging unter anderem um die grundlegende Frage, ob man Verbraucher mit den Tieren konfrontieren sollte, die für Steak, Salami und Roulade aufgezogen und geschlachtet werden.
Wut nicht nur bei Veganern
Dass die Aktion Veganer empört hat, verwundert nicht. Wer Nutztierhaltung und tierische Produkte grundlegend ablehnt, muss eine solche Tier-Präsentation – noch dazu mit Namensschild um den Hals – zynisch finden.
Viel bedenklicher finde ich allerdings Kommentare in den sozialen Medien, die beginnen mit „Ich esse zwar Fleisch, aber …“. Aber was? Aber ich will gar nicht so genau wissen, wo mein Essen herkommt?
Eine Kommentatorin schrieb sinngemäß, sie werde nie wieder mit ihrer 11-jährigen Tochter zu Edeka gehen, wenn sie befürchten müsse, dass das Mädchen dort damit konfrontiert werde, welche niedlichen Tiere für Fleischgerichte ihr Leben lassen müssten. Das sei der Kinderseele nicht zuzumuten.
Kein Widerspruch: Nutztierhaltung und Tierliebe
Komischerweise haben Bauernkinder, die von klein auf damit vertraut sind, dass Masttiere ihres Fleisches wegen gehalten und am Ende geschlachtet werden, damit wenig Probleme. Für sie ist es auch kein Widerspruch, Tiere zu essen und sie dennoch bis zu ihrem Tod liebevoll zu hegen und zu pflegen.
Sie wissen, wie oft sich ihre Eltern und Großeltern die Nächte um die Ohren schlagen, um einer schwerkalbenden Kuh zu helfen. Und sie kennen die Freude, wenn das lebensschwache Kalb doch die heiklen ersten Stunden überlebt und sich zum ersten Mal auf die wackligen Beinchen stellt – selbst wenn es „nur“ ein Bulle ist, der in ein paar Monaten doch geschlachtet wird. Die Bestimmung dieser Tiere ändert nichts an der Mühe der Halter um ihr Leben und ihre Gesundheit.
Der Traum von der perfekten Natur
Die meisten Stadtkinder haben heute so gut wie gar keinen Kontakt mehr zu echten Tieren, wenn man mal von ein paar asphaltmüden Hunden und Stadttauben absieht. Sie werden mit einem Bild von Natur, Wildnis und Tierverhalten groß, das – im wahrsten Sinne des Wortes – einen Hund graust. Wer sich viel in den sozialen Medien bewegt, kennt sicher die mit Unmengen von Herzchen versehenen Kommentare zu Tiervideos, die vor allem eins sind: komplette Fehlinterpretationen dessen, was man da sieht.
Emotionen statt Wissen
Da ist die Katze, die heldenmütig das Kind ihrer Besitzer vor dem Nachbarshund rettet – in Wirklichkeit aber nur ihr Territorium gegen den kleinen Kläffer, mit dem sie sicher schon tausend Kämpfe ausgefochten hat, verteidigt, völlig unberührt von der Tatsache, dass da ein Kleinkind mit Dreirad rumsteht.
Oder die Elefantenkuh, die mit Tränen der Dankbarkeit auf den Wangen den Rettern ihres in einen Brunnen gestürzten Kalbs entgegenläuft – und tatsächlich in heller Aufregung jeden zerschmettern möchte, der sich ihrem Jungen nähert, was ihre Körpersprache und die breiten Spuren der Schläfendrüsenflüssigkeit in ihrem Gesicht verraten.
Oder der vernachlässigte Hundewelpe, der nach Ankunft im Tierheim jeden Menschen glücklich anlächelt – und in Wahrheit vor Angst zitternd die Lefzen verzieht und nicht weiß, wohin mit sich vor lauter Stress. Wie süß.
Die Brüderlichkeit unter Bullen
Jüngstes Beispiel: Auf Facebook verbreitete sich vor wenigen Wochen ein Video (siehe unten) von einem in ein Schlammloch eingesunkenen Limousin-Bullen, der – von seiner Herde umkreist – um sein Leben kämpft. Bildunterschrift: „Als dieser Bulle in den Schlamm fiel und stecken blieb, stand die ganze Herde an seiner Seite und versuchte, ihm zu helfen – ein großartiges Beispiel für Brüderlichkeit!“
Das Filmchen erntete zahlreiche Kommentare. Ein Großteil davon quoll über vor Herzschmerz und Rührseligkeit: „So viel Menschlichkeit, da können wir Menschen uns ein Beispiel nehmen.“ „Tiere sind sozialer als Menschen!“ „Tiere zeigen uns immer, was bedingungslose Liebe ist.“
Die Wahrheit ist nicht willkommen
Als sich Landwirte in die Diskussion einklinkten und erklärten, dass der liebevolle „Bruder“, der den versunkenen Bullen Kopf an Kopf „tröstet“, in Wahrheit mit aller Macht versucht, dem in Not geratenen Konkurrenten den Rest zu geben und ihn gänzlich in die Pampe zu drücken, endete das in wüsten Beschimpfungen seitens der Tiere-sind-bessere-Menschen-Fraktion.
Tierliebe mit Glitzer und Zuckerguss
Virtuelle „Tierliebe“ lässt sich eben nur ungern von Realität und Fachwissen stören. Sie braucht Distanz und eine gehörige Portion rosa Zuckerguss, um ihr perfektes Bild von der edlen Kreatur, der alles Unschöne fremd ist, aufrechtzuerhalten. Mit diesem Weltbild ist es einfach, Landwirte, Jäger oder gleich alle Fleischesser zu gefühllosen Tierquälern und -mördern zu erklären – und sich selbst für einen so viel besseren Menschen zu halten.
War der Bulle eine gute Idee?
Bleibt die Frage, ob die Edeka-Aktion mit dem ausgestopften Bullen der tierhaltenden Landwirtschaft einen Dienst geleistet oder einen Tritt vors Schienbein verpasst hat.
Ich persönlich hätte einen Bildschirm neben der Wursttheke mit Aufnahmen der Tiere während der Aufzucht für ansprechender und informativer gehalten. Doch holt man damit die Generation Instagram noch hinter dem Ofen vor? Bilder auf Monitoren sind beliebig und sehr leicht manipulierbar geworden.
Mehr Ehrfurcht für Nahrungsmittel
Am Ende hat Edeka die gewünschte Aufmerksamkeit bekommen und eine Diskussion angeregt. Ganz sicher profitiert davon auch die vegane Bewegung, wenn nämlich Kunden sich angewidert auf Fleischersatzprodukte zurückziehen, weil der Bulle an der Fleischauslage so herzig ausschaut.
Doch für alle anderen ist ein Denkanstoß, woher Lebensmittel kommen und dass unser Essen immer auch mit dem Tod anderer Lebewesen zusammenhängt, sicher gut. Ein bisschen mehr Ehrfurcht vor dem, was am Ende auf dem Teller liegt, schadet unserer Gesellschaft ganz sicher nicht.
Hier ist Ihre Meinung gefragt
Werden Sie Teil unserer Community und diskutieren Sie mit! Dazu benötigen Sie ein myDLV-Nutzerkonto.