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Kommentar

Bären in Menschennähe: Planlos ins Fiasko?

Das hab ich von Mama gelernt: Jungbären begleiten ihre Mütter etwa zwei Jahre lang und übernehmen ihre Verhaltensweisen.
am Samstag, 22.04.2023 - 07:00 (1 Kommentar)

Haben wir eine Strategie, um mit einer möglichen Wiederansiedelung von Bären in Mitteleuropa umzugehen? Die Nähe zum Menschen ist ein kaum zu lösendes Problem. Ein Kommentar.

Bärin Gaia sitzt hinter Gittern. Das Tier mit der Kennung JJ4, das Anfang April im norditalienischen Trentino einen Menschen tötete, ging in der Nacht zum 18. April in eine Falle und wurde anschließend ins Tierpflegezentrum Casteller nahe Trient verbracht. Damit, könnte man meinen, sei die Causa Problembär erledigt.

Bärin Gaia hinterlässt drei Jungtiere

Doch dieser Optimismus ist wohl fehl am Platz. Nach der Meldung, dass die Bärin in eine sogenannte Rohrfalle gegangen sei, sickerte durch: Das Tier hatte Nachwuchs, drei Jungbären, von denen zwei der Mutter in die Falle gefolgt waren.

Beide gefangene Jungbären wurden zu ihrem Wurfgeschwister in die Freiheit entlassen. Sie seien alt genug und autonom, heißt es. Und sie haben viel von ihrer Mutter gelernt ...

Auffällige Bärenfamilie

Bereits Gaia entstammt einer auffälligen Familie. Ihre Mutter Jurka kam einst aus Slowenien, wurde von dort gemeinsam mit einem männlichen Bären nach Norditalien umgesiedelt. Das Programm „Life Ursus“, mit dem Bären in Mitteleuropa wieder heimisch gemacht werden sollten, war von der EU gefördert.

Dort im Trentino brachte Jurka ihre Jungen – unter anderem Gaia (JJ4) und den 2006 in Bayern als „Problembär“ bekannt gewordenen Bruno (JJ1) – zur Welt.

Als Touristenattraktion angefüttert

Doch dann lief die Geschichte aus dem Ruder. Die Bärenfamilie wurde als Touristenattraktion angefüttert. Jurka verlor jede Scheu, wurde immer gefährlicher und landete schließlich in einem Wildpark im Schwarzwald.

Ihr Verhalten hatte sie da wohl längst an ihre Jungen weitergegeben – so wie jetzt wahrscheinlich auch ihre Tochter Gaia.

Scheu gegenüber Menschen verloren

Die Parallelen zum Wolf sind bedrückend: Ein großer Beutegreifer wird im engbesiedelten Mitteleuropa wieder heimisch gemacht unter der fälschlichen Annahme, die Art sei (quasi genetisch programmiert) absolut menschenscheu und werde sich in unbesiedelte Gegenden zurückziehen.

Doch Bären wie Wölfe sind Kulturfolger, denen die Scheu vor dem Menschen über Jahrhunderte durch massive Bejagung und Vergrämung nur anerzogen wurde. Bleibt diese Verfolgung aus oder wird aus falscher Naturliebe heraus sogar angefüttert, lernen die Tiere über nur wenige Generationen, dass der Mensch nicht gefährlich, sondern eine adäquate Futterquelle ist.

Rechtzeitig eine Strategie suchen

Und hier wird es sogar noch heikler als beim Wolf: Bären sind Allesfresser, also an jeder Art Vorräten oder Abfall interessiert. Und sie sind auch einzeln jedem Menschen bei Weitem überlegen.

Statt dass wir also beim Bären denselben Fehler machen und die Ausbreitung und Verhaltensänderungen einer streng geschützten Beutegreifer-Population gefährlich unterschätzen, sollten wir jetzt über eine sinnvolle Strategie nachdenken – am besten, bevor der NABU anfängt, Bärenpatenschaften zu verkaufen.

Abschüsse in Rumänien sollen massiv steigen

Dabei hilft der von Tierrechtlern und Umweltschützern gern vorgebrachte Hinweis, in anderen Gegenden der Welt gebe es auch große Fleischfresser und die Menschen hätten damit kein Problem, wenig. Denn das entspricht einfach nicht der Wahrheit.

In Rumänien beispielsweise werden nicht nur Wölfe – inoffiziell zwar, aber mit staatlicher Duldung – geschossen. Auch Bären werden künftig wohl viel öfter Jagdziele sein. Die rumänische Regierung diskutiert gerade, die bisherigen Abschusszahlen zu verdreifachen. Geschätzt leben derzeit etwa 7.500 bis 8.000 Bären in Rumänien. Zwischen 2016 und 2021 gab es 154 Bärenangriffe, bei denen 14 Menschen starben und 158 weitere teils schwer verletzt wurden.

Schützt „richtiges Verhalten“?

Greenpeace allerdings kritisiert die rumänischen Abschusspläne als „zynische“ Ausrede, um mit Trophäenjagd Geld ins Land zu bringen.

Auch sonst verbreiten Tier- und Umweltschutzverbände weiter das Narrativ vom scheuen, jeden Menschen meidenden Bären (wie das auch immer noch beim Wolf geschieht), gegen den „richtiges Verhalten“ die beste Strategie sei.

Tot stellen und beten

Keine Angst, wenn sich ein Braunbär aufrichtet, schreibt WWF Österreich. Das ist keine Drohgebärde, der will nur besser sehen.

Der WWF Österreich empfiehlt dazu auf seiner Internetseite bei einer Bärenbegegnung: „Legen Sie sich auf den Boden und geben Sie ihre Hände in den Nacken. Der Bär erkennt so, dass Sie keine Gefahr für ihn sind. Stellen Sie sich tot und wehren Sie sich nicht.“

Ähnliche Empfehlungen kennt man aus US-amerikanischen Nationalparks, nur fehlt hier der letzte Punkt: „Fangen Sie an zu beten!“

Tiere werden nach Attacken entnommen

Eins vergessen Wildnisromantiker meist: In Regionen, in denen Beutegreifer eine reale Gefahr für Leib und Leben darstellen, wird bei einem Übergriff in der Regel nicht lange gefackelt: Das betreffende Tier wird entnommen. Das schützt nicht nur Menschen, sondern auch die jeweilige Tierart.

Im südlichen Afrika gilt bei Löwenattacken gegen Menschen: Ist es ein Kater, wird er schleunigst geschossen, ist es eine Kätzin, wird das gesamte Rudel entnommen. Nur so lässt sich unerwünschtes, gefährliches Verhalten im Keim ersticken. Und nur so ist in einem dichtbesiedelten urbanen Umfeld ein Zusammenleben überhaupt denkbar.

Europa hat keine Serengeti

Denn wir haben nunmal keine riesigen menschenleeren Naturparks wie in den USA, Kanada oder vielen afrikanischen Staaten. Diejenigen, die fordern, Wölfen und Bären einfach genügend Raum zu geben, leben meist selbst in Großstädten, weit weg von deren Territorien. Der Italiener Andrea Papi aber wurde nur wenige Hundert Meter von seinem Wohnhaus entfernt von der Bärin getötet.

Wenn wir also nicht künftig Wälder zum No-Go-Area erklären wollen, müssen wir europaweit vernünftige Lösungen finden. Dazu gehört auch ein schnelles Eingreifen bei Gefahr in Verzug. Denn ein Tier, das einmal Menschen attackiert hat, wird das wahrscheinlich wieder tun (wie auch Gaia bereits 2020 auffällig geworden war).

Gehege oder Abschuss?

Ob es immer die letale Entnahme, also ein Abschuss, sein muss, darf man gern diskutieren. Aber bereits heute platzen europäische Bärenparks aus allen Nähten. Und ob man einem Wildtier mit dem Leben im Gehege einen Gefallen tut, ist zumindest fraglich.

Bernd Nonnenmacher, Geschäftsführer des Bärenparks Bad Rippoldsau-Schapbach, in dem die Bärin Jurka seit 13 Jahren lebt, sagte gegenüber dem Südkurier: „Schön ist es für sie im Gehege nicht.“ Mehrfach habe das Tier Fluchtwege gesucht. Nun also wird auch ihre Tochter weggesperrt. Und möglicherweise irgendwann ihre drei Enkel.

Mit Material von suedkurier.de, WWF Österreich
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