Durch die belgische Parlamentswahl Mitte Juni, die der Partei der flämischen Separatisten (NVA) in ihrem Landesteil fast 30 Prozent der Stimmen bescherte, während im französischsprachigen Süden die Sozialisten unter Elio Di Rupo die Nase vorn hatten, steht eine schwierige Regierungsbildung in einem von Regionalinteressen beherrschten Land bevor.
Belgien: Neue Regierung bis Oktober
König Albert II. beauftragte den flämischen NVA-Nationalisten Bart de Wever mit der Regierungsbildung. Dieser rechnet mit einer neuen Regierung bis Oktober und erklärte gegenüber der Presse, die wichtigen EU-Entscheidungen würden erst später fallen. Damit dürfte de Wever nicht zuletzt an den Gipfel der Staats- und Regierungschef am 28. und 29. Oktober und an Weichenstellungen bei der für Belgien wichtigen EU-Strukturpolitik denken.
Kohäsionspolitik: Großer Einfluss auf Agrarbereich
Die Entscheidungen, wer in den nächsten Jahren aus dem EU-Wirtschaftsfördertopf, der sogenannten Kohäsionspolitik, wie viel bekommt, wird auch starken Einfluss auf die Verteilungskämpfe im Agrarbereich haben. So ist beispielsweise Polen, das für seine Landwirte auf eine Angleichung der Direktzahlungen pro Hektar drängt, wie andere osteuropäische Mitgliedstaaten, ein großer Nutznießer der EU-Kohäsionspolitik.
Schüsselfrage: Zukunft der Agrar- und Strukturpolitik
Eine der Schlüsselfragen für die Finanzielle Vorausschau von 2014 bis 2020 wird sein, wie Agrar- und Strukturpolitik zwischen west- und osteuropäischen Mitgliedstaaten ausbalanciert werden, ohne dass sich die Nettozahlerposition von Geberländern wie Deutschland weiter verschlechtert.
Wichtige Treffen auf dem EU-Tagungskalender
Zur Kohäsionspolitik, für die in der Europäischen Kommission der Österreicher Johannes Hahn zuständig ist, stehen während der belgischen Präsidentschaft wichtige Treffen auf dem EU-Tagungskalender, ebenso wie zur Zukunft der EU-Agrarpolitik. So hat Agrarkommissar Dacian Cioloş für den 19. und 20. Juli eine Konferenz zur EU-Agrarpolitik angesetzt, zu der auch der Ausschuss der Regionen (AdR) sowie der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) beitragen werden.
Personelle Kontinuität durch Laruelle
Den Ratsvorsitz wird dann aller Voraussicht nach die amtierende belgische Landwirtschaftsministerin Sabine Laruelle innehaben. Die studierte Agraringenieurin führt seit 2003 das belgische Landwirtschaftsressort, ist in dieser Funktion aber beispielsweise ebenfalls für Mittelstandspolitik verantwortlich. Auch beim Informellen Agrarrat ab 19. September in Gembloux und Brüssel wird sie voraussichtlich die Gastgeberin sein.
Regionale Minister werden Belgien vertreten
Bei vielen Treffen in Brüssel wird Belgien in den nächsten Monaten allerdings durch regionale Minister vertreten sein, die vom Ausgang der jüngsten Parlamentswahl nicht betroffen sind. Dem Umweltrat wird laut einem Bericht des Pressedienstes Euractiv der 40-jährige flämische Christdemokrat Joke Schauvliege vorstehen, und auch im Fischereirat wird die belgische Ratspräsidentschaft voraussichtlich durch einen Regionalminister vertreten, nämlich durch den flämischen Ministerpräsidenten und Agrarminister Kris Peeters.
Präsidentschaftswechsel: Nahtloser Übergang abzusehen
Wie der Vorlauf zum belgischen Ratsvorsitz gezeigt hat, zeichnet sich ein nahtloser Übergang von Spanien auf die Nachfolge-Präsidentschaft ab. Bereits vor dem eigentlichen Beginn ihrer Präsidentschaft haben die Belgier Planungen für den Haushalt 2011 vorgelegt.
Gentechnik: Weiteres Vorgehen mit Spannung erwartet
Trotz der innerbelgischen Regierungskrise steht Brüssel voraussichtlich ein geschäftiges zweites Halbjahr 2010 bevor. Nach dem verspäteten Start der Kommission hat sich die Brüsseler Bürokratie warmgelaufen. Mit Spannung erwartet wird beispielsweise das weitere Vorgehen in der Biotechnologie, da die Kommission die Schaffung gentechnikfreier Regionen erleichtern, andererseits aber die Zulassung neuer gentechnisch veränderter Organismen (GVO) beschleunigen will. Ein Vorstoß für eine "technische Lösung" zur Nulltoleranz, also einen De-facto-Schwellenwert für in der EU nicht zugelassene GVO, wird kurz nach der Sommerpause erwartet.
Baustellen: Ursprungskennzeichnung und Milchmarkt
Die seit Ende 2009 mit dem Lissabon-Vertrag wirksamen verstärkten Mitwirkungsrechte des Europaparlaments werden den Belgiern Arbeit bescheren, so in Fällen, in denen das Parlament auf bisher in den Verwaltungsausschüssen abgewickelten Entscheidungen Einfluss nehmen will. Hierzu wird im Herbst ein Kommissionsvorschlag erwartet. Auf fachlicher agrarpolitischer Ebene stehen die Verhandlungen des Rates mit dem Parlament zur Lebensmittelkennzeichnung an, so zur Mitte Juli in Erster Lesung verabschiedeten Ursprungsangabe bei Agrarerzeugnissen wie Fleisch und Molkereiprodukten. Hier muss sich der Ministerrat noch positionieren, ob tatsächlich Geburts-, Aufzucht- und Schlachtland für den Verbraucher auf dem Etikett angegeben werden sollen, wie es das Parlament fordert.
Mit der offiziellen Annahme des Milchberichts der hochrangigen Expertengruppe werden in den kommenden Monaten auch Vorschläge der EU-Kommission zur Stärkung der Verhandlungsmacht der Milcherzeuger erwartet. Dass diese Vorschläge sehr konkret ausfallen, bleibt nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Auffassung in den Mitgliedstaaten, ob in die Vertragsgestaltung zwischen Lieferanten und Molkerei eingegriffen werden soll, zweifelhaft.
Tiergesundheitsstrategie: TSE-Fahrplan erwartet
Weitergehen dürften in Brüssel die Arbeiten an einer umfassenden Tiergesundheitsstrategie. In Kürze erwartet wird ein neuer Fahrplan zum Vorgehen bei den Transmissiblen Spongiformen Enzephalopathien (TSE). Hier will die belgische Ratspräsidentschaft zwei Optionen vorstellen, wenn es um das Testalter zur Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) geht, und zwar eine Anhebung des Testalters auf 60 Monate und eine Stichtagsregelung.
Entscheidet man sich für die Stichtagsregelung, müssten nur noch alle vor dem 1. Januar 2004 geborenen Rinder auf die Gehirnschwammkrankheit untersucht werden, so dass die Tests in wenigen Jahren komplett wegfielen. Weitere Bestandteile des TSE-Fahrplans der Kommission sind voraussichtlich Regelungen zur Entnahme von Risikomaterialien und eine Lockerung des Tiermehl-Verfütterungsverbots für Schweine, Geflügel und Fische.
Noch Vage: Landwirtschaft und Klimaschutz
Noch vage sind die Vorbereitungen für eine mögliche CO2-Klimasteuer der Europäischen Union, wie sich vergangene Woche nach einer Orientierungsdebatte der Kommission zeigte. Steuerkommissar Algirdas Semeta aus Litauen wurde beauftragt, die Auswirkungen einer solchen Abgabe auf die Wirtschaft verstärkt zu untersuchen. Die Landwirtschaft wäre laut einem Kommissionspapier, das als Grundlage für die Debatte diente, Teil einer solchen Regelung. Unter Beteiligung weiterer Kommissare will Brüssel weiter an einem Konzept für eine Kohlenstoffsteuer arbeiten. Semeta soll vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise die Auswirkungen einer solchen Steuer auf das Wachstum im Blick haben. Zu bedenken ist allerdings, dass die Steuerkompetenz den Mitgliedstaaten zufällt und in der Europäischen Union hierzu einstimmige Entscheidungen getroffen werden müssen.
Der Klimaschutz in der Landwirtschaft dürfte im Spätherbst aufgrund des in Cancún vom 29. November bis 10. Dezember anstehenden UN-Treffens für ein Kyoto-Nachfolgeabkommen allerdings wieder verstärkt Thema sein.
EU-Wirtschaftsregierung: Im Machtgebiet der Mitgliedstaaten
Wie mit der Steuerpolitik, wagt sich die Kommission auch mit ihrem Vorstoß für eine EU-Wirtschaftsregierung auf das Territorium der Mitgliedstaaten vor. Vor dem Hintergrund der hohen Haushaltsdefizite in den meisten Mitgliedstaaten hat Währungskommissar Olli Rehn vorgeschlagen, dass die Regierungen ihre Haushaltsplanungen ab 2011 zunächst in Brüssel absegnen lassen müssen, bevor es zur Abstimmung in den nationalen Parlamenten kommt.
Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung hat wegen der Schuldenkrise auch der Präsident des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, gefordert. Der belgische Christdemokrat soll auf dem Herbstgipfel der EU entsprechende Pläne präsentieren. Seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon im Dezember 2009 ist van Rompuy Präsident des Europäischen Rates und soll in dieser Funktion für Kontinuität in der Arbeit der Mitgliedstaaten sorgen. Mit der Übernahme des Ratsvorsitzes durch sein Heimatland muss er sich nun erstmals um den Übergang von einer halbjährigen Präsidentschaft auf die nächste kümmern. (AgE)
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Haushälter wollen an den EU-Agraretat
Brüssel - Noch bevor die Belgier offiziell die Ratspräsidentschaft übernehmen, haben sie Anstalten gemacht, Hand an den Agrarhaushalt der Europäischen Union für das kommende Jahr zu legen.
Laut vergangene Planungen wollen die am 1. Juli als Ratsvorsitzende antretenden Belgier den EU-Haushalt 2011 nur marginal ansteigen lassen. Von diesem Wachstum soll die Kohäsionspolitik profitieren, in der die klassische Wirtschafts- und Infrastrukturförderung untergebracht ist.
Agrarhaushalt: Etat soll um 600 Millionen Euro sinken
Hatte die Europäische Kommission Ende April bereits ein Nullwachstum für den Agrarhaushalt vorgeschlagen, gehen die Belgier nun darüber hinaus und wollen den Etat für die Landwirtschaft gegenüber dem Kommissionsvorschlag um rund 600 Millionen Euro stutzen. Das Gros der Einsparungen soll mit einem Minus von 500 Millionen Euro laut einer Ratsvorlage der Belgier allerdings beim Rechnungsabschluss gemacht werden, wobei es sich um virtuelle Kürzungen handelt.
Ländliche Entwicklung: Nächstes Jahr 100 Millionen Euro weniger
Real wirkt sich der Rotstift allerdings im Sektor Wein mit einem Minus von 16 Millionen Euro aus. Für die ländliche Entwicklung wollen die Belgier 2011 knapp 100 Millionen Euro weniger ausgeben als in diesem Jahr.
Vorschläge noch im Rahmen der finanziellen Vorausschau
Mit ihren Vorschlägen dürften sich die Belgier noch im Rahmen dessen bewegen, was die Finanzielle Vorausschau von 2007 bis 2013 zulässt. Eng für den Agrarhaushalt könnte es allerdings schon deshalb werden, weil im kommenden Jahr die Höhe der Direktzahlungen in den neuen Mitgliedstaaten steigt. Diese Zahlungen nähern sich seit dem Beitritt dieser Länder vor einigen Jahren schrittweise dem Niveau in den alten Mitgliedstaaten, was zusätzliche Ausgaben erfordert. Zudem öffnet sich im Haushalt 2011 eine Schere, denn in jedem Fall wird die Strukturpolitik gegenüber dem Agrarsektor finanziell stark an Bedeutung gewinnen. So sieht der Kommissionsvorschlag für die Kohäsionspolitik im nächsten Jahr einen Zuwachs von fast 17 Prozent an Zahlungsermächtigungen vor; an Verpflichtungsermächtigungen bewegt sich das Wachstum bei 3,2 Prozent.
Haushalt: Eckpunkte vor der Sommerpause festlegen
Noch vor der Sommerpause wollen die neuen Lenker im Rat einige Pflöcke einschlagen, um den im Herbst zu verabschiedenden Haushalt auf den Weg zu bringen. Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist in diesem Jahr erstmals das Europaparlament intensiv in die Beratungen eingebunden. Die Bestrebungen des Rates gehen dahin, noch vor der Sommerpause eine abgestimmte Position der Mitgliedstaaten zum Haushalt 2011 zu erreichen.
Wie sich bei Beratungen in Brüssel gezeigt hat, sind Verfechter eines starken Agrarhaushalts wie Frankreich nicht in Fundamentalopposition zu den anvisierten Kürzungen gegangen. Vielmehr plädiert Paris offenbar für eine Umverteilung der Einsparungen innerhalb des Agrarhaushalts. Erhalten sehen wollen die Franzosen nämlich das Niveau der Interventionsmaßnahmen. Die Kürzungen sind aber umstritten und das Haushaltsverfahren steht noch ganz am Anfang. (AgE)
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