Frau Hendrix, Sie sind Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie – und Bäuerin. Die seelische Gesundheit von Landwirten ist Ihnen ein großes Anliegen. Wie kann es so weit kommen, dass ein Landwirt, der vorher einen Vorzeigehof führte, seine Tiere verhungern lässt?
Karen Hendrix: Ich habe die Berichterstattung nur am Rande mitbekommen, kann mir aber die Situation genau vorstellen. Am Anfang steht jahrelange Überforderung und der Versuch, den von klein auf erlernten Ansprüchen gerecht zu werden. Dann kommen eventuell noch Auseinandersetzungen in der Familie dazu, der Übernehmer und die Altenteiler sind unterschiedlicher Auffassung. Finanzielle- und vielleicht Eheprobleme runden das Ganze ab. Jeder leidet unter der Situation, keiner redet. Aus Unvermögen, zum Teil aus Angst, zum Teil um das Gesicht nach außen zu wahren. Und der Betriebsinhaber, der schon auf den zusammengebissenen Kieferknochen geht, entdeckt Alkohol als Entlastung und Schlafmittel. Bis hin in die Abhängigkeit. Bei dem Bauern, der jetzt vor Gericht stand, kann ich mir gut vorstellen, dass er nicht mehr konnte. Hat die Stallriegel zugemacht und ist nicht mehr reingegangen, um das Elend, dass er die Tiere nicht angemessen versorgen konnte, nicht mehr zu sehen. Vielleicht ist er an seinen eigenen Ansprüchen zerbrochen.
Ist diese Art von massiver Überforderung typisch für die Landwirtschaft?
Karen Hendrix: So ein Hof ist ein eigener Kosmos mit eigenen Gesetzen. Und das ganz besonders in der Sandwich- Generation der heute 50- bis 65-Jährigen. Sie haben von ihren Eltern absoluten Gehorsam und Arbeiten bis zum Zusammenbruch gelernt. Ihre Kinder sind frei und nehmen den Hof vielleicht gar nicht. Es ist kompliziert. Menschen, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, können sich das gar nicht vorstellen. Es ist immer noch eine ganz andere Welt.
Inwiefern eine andere Welt?
Karen Hendrix: Es gibt keinen anderen Beruf, in dem mehrere Generationen zusammenleben und arbeiten, und das jeden Tag, das ganze Jahr. Wer allein ist, hat es sehr schwer, denn die Menge der Arbeit ist alleine nicht zu bewältigen. Der Tag ist von früh bis in die Nacht von Arbeit geprägt. Egal ob Wochenende oder Feiertag. Man arbeitet rund um Uhr. Und der Papierkram, den ein landwirtschaftlicher Betrieb mittlerweile bewältigen muss, ist absolut abartig. Immer noch wohnen mehrere Generationen zum Teil im gleichen Haus zusammen, arbeiten zusammen und haben wenig Möglichkeit, sich aus dem Weg zu gehen. Bauern bekommen nur eine Anerkennungsrente, die für ein Leben voller Arbeit um die 500 Euro ausmacht. Sie sind auf die Versorgung durch den Nachwuchsbauern angewiesen. Und der hat oft andere Ideen, was zu Auseinandersetzungen führt. Konflikte sind vorprogrammiert.
Warum fällt es so schwer, sich Hilfe zu holen?
Karen Hendrix: Die Generation zwischen 45 und 60 hat anerzogen bekommen, zu arbeiten. Immer. Pausen oder Nichtstun waren schon Gotteslästerung. Sie beuten sich auch heute noch hemmungslos aus. Ihr Verantwortungsbewusstsein reicht bis zum gesundheitlichen Ruin. Wichtig ist ihnen auch die Frage: Was sagen die Nachbarn? Gerade in Franken, wo die Bauern durch die vielen kleinteiligen Fürstentümer immer schon steuerlich gebeutelt und misstrauisch waren, wird noch mehr dichtgemacht.
Viele Landwirte sind auch enttäuscht, dass die gesellschaftliche Anerkennung fehlt.
Bauern müssen sich mittlerweile jedem Balkonbiologen gegenüber rechtfertigen und von allen kontrollieren lassen.
Sie sind selbst Bäuerin. Würden Sie einem jungen Menschen noch empfehlen, diesen Beruf zu wählen?
Karen Hendrix: Was ich gesagt habe, klingt in der Summe sehr negativ. Aber trotzdem finde ich Landwirtschaft toll - wenn es denn gelingt, sich, wie die jüngere Generation, persönliche Interessen und ein gewisses Maß an Freiheit zu erhalten.
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