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Corona-Pandemie

Drosten warnt vor Verschleppung von Corona in ländliche Räume

christian-drosten
am Dienstag, 27.10.2020 - 15:10 (4 Kommentare)

Der Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin, Prof. Christian Drosten, spricht im Interview mit Agra Europe über zunehmende Corona-Ausbrüche in ländlichen Regionen, besondere Risiken älterer Menschen auf dem Land und die Probleme des Ärztemangels.

Herr Professor Drosten, bislang war der Eindruck entstanden, die Covid-19-Pandemie werde vor allem von der Entwicklung in den großen Städten getrieben. Stimmt das noch angesichts der gestiegenen Infektionszahlen in einigen Landkreisen?

Wir sehen gerade jetzt die Verschleppung des Virus auch in ländliche Regionen. In einigen Fällen kann man ursächliche Beziehungen vermuten, zum Beispiel durch das klar vorliegende Ausbruchsgeschehen im Zusammenhang mit Betrieben der fleischverarbeitenden Industrie. An anderen Orten gibt es aber Ausbrüche im privaten Umfeld, in Vereinen und generell in der sozialen Geselligkeit des Landlebens.

Was sind die Ursachen für die Entwicklungen in ländlichen Regionen, insbesondere im Unterschied zu den Städten?

Das rege Vereinsleben auf dem Land ist sicherlich etwas, das man so in der Stadt nicht hat. In der Stadt geht man in Vereine, weil es beispielsweise um ein Spezialhobby geht, für das man Partner, Gleichgesinnte oder Mitspieler braucht. Auf dem Land ist die Geselligkeit der Hauptgrund für die Existenz von Vereinen, Jung und Alt sind oft gleichermaßen dabei. Der gute gesellschaftliche Zusammenhalt auf dem Land bietet dem Virus aber leider auch Gelegenheit, zwischen den Generationen übertragen zu werden.

Welche Rolle spielen die Familienstrukturen auf dem Land, etwa in der Form, dass dort noch viel öfter mehrere Generationen unter einem Dach leben?

Mehrgenerationenhaushalte spielen sicherlich eine zusätzliche Rolle. Gerade auf dem Land gibt es aber auch den gegenteiligen Effekt, nämlich die zum Teil einsetzende Isolation von älteren Menschen, deren Kinder nicht mehr im Haushalt wohnen, und die nun - auch wegen der Notwendigkeit des Autofahrens - mitunter einen eingeschränkten Bewegungsradius haben.

Was ist zu tun?

In diesen Fällen ist es besonders wichtig, den Kontakt zu halten, gezielt nach der Gesundheit zu fragen und bei Erkrankungen sofort den Hausarzt zu involvieren. Der Zugang zur Testung ist für diesen besonders gefährdeten Personenkreis oft schwer. Gerade im höheren Alter ist es aber wichtig, eine frühzeitige Diagnose zu stellen und keine Berührungsängste mit der Medizin zu haben. Viele Fälle entwickeln sich deswegen ungünstig, weil die meist älteren Patienten zu lange mit Symptomen zu Hause abwarten und dann zu spät ins Krankenhaus eingewiesen werden.

Über eine unzureichende gesundheitliche Versorgung auf dem Land, insbesondere in abgelegenen Regionen, wird seit langem diskutiert. Ist eine angemessene Behandlung der Menschen in den ländlichen Räumen nach Ihrer Einschätzung gesichert, sollte sich die Pandemie ausweiten?

Eine ganz besondere Herausforderung ist die Versorgung der Landbevölkerung durch Hausärzte. Diese müssen auf dem Land alle Aufgaben übernehmen, die in der Stadt in viele Sektoren aufgeteilt sind: die Notfallambulanz, das Testcenter, den Facharzt und die nachstationäre Versorgung. Der Arztmangel auf dem Land kommt während der jetzigen Situation besonders zum Tragen. Hier ist sicherlich in Zukunft ein großes Augenmerk nötig.

Wie reagieren die Landkreise?

Hans-Günter Henneke

Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages (DLT), Prof. Hans-Günter Henneke, weist im Interview auf zunehmende Hotspots auf dem Land hin. Neben aktuell bereits jetzt stattfindenden Neueinstellungen bei den Landkreisen greife man im Bedarfsfall zunächst auf zusätzliches Personal innerhalb der Kommunalverwaltung und gegebenenfalls auf Studenten oder Landesbedienstete zurück.

Eine weitere Möglichkeit sei die Anforderung der Landkreise nach Unterstützung durch die Bundeswehr, gegebenenfalls auch des Robert Koch-Instituts (RKI).

Kleine Krankenhäuser nicht schließen

Henneke nutzt die Gelegenheit für Kritik an der Schließung von immer mehr kleineren Krankenhäusern auf dem Land. Es sei gerade jetzt notwendig, ein Krankenhausnetz „in der Fläche zu erhalten“. Vorschläge, die Infrastruktur der Krankenhäuser stark zu reduzieren, zu konzentrieren und an wenigen Einzelstandorten zu spezialisieren, muteten vor dem Hintergrund der derzeitigen Pandemie geradezu absurd an.

Mit Material von Agra Europe
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