In einem Urteil vom 11. Juni 2020 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärt, dass sich der in der Habitatrichtlinie vorgesehene strenge Schutz bestimmter Tierarten auch auf Exemplare erstrecke, die ihren eigentlichen Lebensraum verlassen und in menschlichen Siedlungsgebieten auftauchen.
Solche Tiere – im vorliegenden Fall dreht es sich um einen Wolf – dürfen auch in menschlichen Ansiedlungen nur gefangen und entfernt werden, wenn sie eine Gefahr für Leib und Leben darstellen.
Tierschützer hatten einen Wolf aus einem Dorf gebracht
Was war geschehen? Im Jahr 2016 hatten Mitarbeiter einer Tierschutzvereinigung in Begleitung einer Tierärztin in Rumänien einen Wolf, der sich auf dem Grundstück eines Dorfbewohners aufhielt, ohne vorherige Genehmigung eingefangen und abtransportiert. Gegen sie wurde Strafanzeige gestellt.
Der EuGH legte dar, dass ein streng geschütztes Tier auf seiner Wanderung auch dann nicht sein "Verbreitungsgebiet" verlassen habe, wenn es menschliche Ansiedlungen durchstreife. Per Definition gehörten zum Verbreitungsgebiet einer Art sämtliche Gebiete jedweder Natur, die diese Art durchquere. Siedlungsgebiete seien davon nicht ausgenommen.
Dörfer gehören zum "natürlichen Verbreitungsgebiet"
Es gehe darum, die betreffenden Arten nicht nur an bestimmten Orten zu schützen. Durch die Ausbreitung des Menschen werde auf die geschützten Populationen starker Druck ausgeübt, deshalb sei ihr Auftauchen in menschlicher Nähe kein bedenkliches Verhalten.
Daher, so eine Pressemitteilung zum Urteil, sei der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verpflichtung, die betreffenden Tierarten streng zu schützen, für das gesamte „natürliche Verbreitungsgebiet“ dieser Arten gelte – unabhängig davon, ob sie sich in ihrem gewöhnlichen Lebensraum, in Schutzgebieten oder aber in der Nähe menschlicher Niederlassungen befinden.
Somit hat der Gerichtshof bestätigt, dass der Fang und der Transport des Wolfs nur hätte erfolgen dürfen, wenn das Tier eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt hätte.
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Auch in Deutschland durchstreifen Wölfe Ansiedlungen
Unter welchen Umständen eine solche Gefährdung bestanden hätte, hat sich der EuGH nicht genauer spezifiziert. Die unmittelbare Nähe zu Menschen mit Kindern und Nutztieren reicht aber nach Meinung der Richter offenbar nicht aus.
Auch in Deutschland durchstreifen Wölfe immer häufiger Dörfer und mittlerweile sogar Stadtränder. Die betroffenen Anwohner und die Nutztierhalter der Regionen fühlen sich durch die stetig wachsende Population längst bedroht. Doch selbst Vergrämungs- und Verbringungsmaßnahmen sind an strenge Auflagen und amtliche Genehmigungen gebunden, wie der EuGH in seinem Urteil noch einmal unmissverständlich klar gemacht hat.
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