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Politik international

Europäer leisten den größten Beitrag zum Doha-Marathon

am Dienstag, 24.08.2010 - 09:42 (Jetzt kommentieren)

Washington - Die Europäische Union hat in der Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) für die Liberalisierung des Agrarhandels bisher das stärkste Entgegenkommen gezeigt.

Diese Einschätzung vertreten Gary Clyde Hufbauer, Jeffrey Schott und Woan Foong Wong vom Washingtoner Peterson Institute for International Economics (IIE). Laut den Berechnungen der drei Forscher in ihrem neuen Buch "Figuring Out the Doha Round" macht die Europäische Union nach dem aktuellen Verhandlungsstand knapp 64 Prozent der Zugeständnisse im Agrarbereich, kann im Gegenzug aber nur acht Prozent der aus dem verstärkten Freihandel zu erwartenden Gewinne einstreichen. Zu bedenken ist hierbei allerdings der aktuell relativ hohe Außenschutz der Europäischen Union durch Zölle.

Die längste Handelsrunde geht weiter  

Andererseits steuern die Vereinigten Staaten laut den Kalkulationen der IIE-Experten lediglich 6,2 Prozent zu den auf dem Tisch liegenden Doha-Angeboten für die Landwirtschaft bei, können aber mit einem Anteil von 13,9 Prozent aus den zu erwartenden Wohlfahrtsgewinnen rechnen. An den Europäern scheint es daher nicht zu liegen, dass der im November 2001 unter dem Eindruck der New Yorker Terroranschläge eröffnete und zur "Entwicklungsrunde" für die Dritte Welt ausgerufene Handelsgipfel weit von einem Abschluss entfernt ist. Mit ihrem im November bevorstehenden neunten Geburtstag ist die Doha-Runde mittlerweile der längste Welthandelsmarathon der Nachkriegsgeschichte, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Der Doha-Vorgänger, die Uruguay-Runde, hatte bis zur Unterschrift unter den Vertrag sieben Jahre und sieben Monate gedauert.

EU-Zollsenkungen mit den geringeren Effekten 

Wie in der IIE-Analyse deutlich wird, sind es weniger die in Aussicht gestellten Zollsenkungen als vielmehr andere Schritte wie die Ausweitung zollermäßigter Quotenkontingente, die Abschaffung der Exportsubventionen und der Abbau heimischer Unterstützung, die in der Bilanz der bisherigen EU-Zugeständnisse am stärksten zu Buche schlagen. Während sich die gewährten Zollsenkungen der Europäischen Union laut den Berechnungen der drei Autoren für die Europäische Union mit 2,1 Milliarden Dollar (1,6 Milliarden Euro) an Warenwert niederschlagen, summieren sich die übrigen Zugeständnisse im Agrarbereich auf 12,4 Milliarden Dollar (9,5 Milliarden Euro). Die Vorteile für die Landwirtschaft der EU wird im Gegenzug insgesamt auf lediglich 1,8 Milliarden Dollar (1,4 Milliarden Euro) beziffert. Ermittelt wurden diese Beträge, indem die Veränderungen der Zolleinnahmen prognostiziert wurden. Für Exportsubventionen, heimische Stützung und Ausweitung von Quotenkontingenten arbeiteten die IIE-Experten mit Zolleinnahmeäquivalenten. Auf Basis dieses Rechenmodells verbucht die Europäische Union auch im Bereich des nicht-landwirtschaftlichen Marktzugangs (NAMA), unter den neben Industriegütern auch Fisch, Forsterzeugnisse und Bergbauprodukte fallen, bei Verwirklichung des gegenwärtigen Doha-Verhandlungsstandes mehr eigene Zugeständnisse als sie verbesserten Marktzugang in fremden Ländern erhält. Dass das Entgegenkommen der EU im Agrarbereich sich wertmäßig so stark auswirkt, liegt den Autoren zufolge unter anderem daran, dass die Europäische Union mit stark subventionierten Produkten wie beispielsweise Milcherzeugnissen viel Handel treibt.

Brasilien als der große Gewinner

Neben der EU und den USA hat Japan laut Einschätzung von Schott, Hufbauer und Woan seinen Landwirten für einen Abschluss der Doha-Runde einiges abverlangt. Wenn man den aktuellen Verhandlungsstand umsetzt, der sich seit Dezember 2008 im Grunde nicht verändert hat, käme es dem IIE zufolge in Japan zu einer Absenkung des durchschnittlichen gewichteten Agrarzollniveaus auf 4,5 Prozent, gegenüber derzeit 10,4 Prozent. China, das der WTO Ende 2001 beitrat, würde seinen mittleren Agrarzoll hingegen lediglich um 0,7 Prozentpunkte auf 8,9 Prozent zu verringern haben. Wie aus "Figuring Out the Doha Round" hervorgeht, kommen nach dem aktuellen Verhandlungsstand 93 Prozent des Entgegenkommens im Agrarbereich von den Industriestaaten, während die Schwellen- und Entwicklungsländer lediglich die verbleibenden sieben Prozent zur Liberalisierung des Agrarhandels beitragen. Brasilien, das praktisch keine Zugeständnisse für seine Landwirte machen muss, fließen laut der Analyse aus Washington knapp 10 Prozent der Gewinne aus der Marktöffnung im Agrarbereich zu. "Brasilien profitiert von der Liberalisierung der anderen, während es seine eigenen Handelshürden stehen lässt", heißt es dazu bei Schott, Hufbauer und Woan.

Kräftige Exportsteigerung möglich

Die Wissenschaftler des für seine positive Einstellung zum Freihandel bekannten IIE vertreten die Auffassung, dass allein der Handel der 22 wichtigsten Handelsblöcke, darunter die EU, China, die USA, Kanada, Australien, Indien, Indonesien und Japan, bei Umsetzung der auf dem Tisch liegenden WTO-Verhandlungsangebote im Agrar- und Industriebereich um 67,7 Milliarden Dollar (52,0 Milliarden Euro) zulegen würde. Eine zusätzliche Steigerung des Handelsvolumens um rund 55 Milliarden Dollar (42,2 Milliarden Euro) würde bei einer Beseitigung von 10 Prozent der Handelshürden im Dienstleistungsbereich herausspringen. Die drei Forscher geben aber zu, dass diese Annahmen zum Dienstleistungssektor ein Stück weit Wunschgebilde sind. Größere Vorteile versprechen sich die IIE-Experten vom Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse, der ein Handelswachstum von 86,8 Milliarden Dollar (66,6 Milliarden Euro) bringen soll. Im besten Falle rechnen sie für die 22 größten Handelsnationen mit Exportsteigerungen von 280,4 Milliarden Dollar (215,3 Milliarden Euro) durch den erfolgreichen Abschluss der Doha-Runde. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dieser 22 Staaten beziehungsweise Handelsblöcke würde um 0,5 Prozent zulegen. Für die Industriestaaten ermittelt das IIE hier lediglich ein BIP-Plus von 0,3 Prozent; in den Schwellen- und Entwicklungsländern sollen es hingegen im Schnitt immerhin 1,3 Prozent sein.

Schutzklausel für Agrarprodukte als Stolperstein

Während unter Welthandelsexperten die Vorteile eines Doha-Abschlusses auf der Hand liegen, versuchen die Unterhändler am Sitz der WTO in Genf den Gesprächen wieder mehr Tempo zu verleihen. Nach der Mitte September endenden Sommerpause sollen die WTO-Mitglieder Wirtschaftsdaten präsentieren, mit denen die Obergrenzen für die erlaubten, handelsverzerrenden Subventionen in der WTO besser berechnet werden können. Dazu gehören Angaben zum Wert der Agrarproduktion, die bei der WTO bisher noch lückenhaft vorliegen, zumal die UN-Organisation auch Zahlen zum Produktionswert einzelner landwirtschaftlicher Produkte verlangt. Vorantreiben will der Chef der Agrarverhandlungen, der Neuseeländer David Walker, demnächst die Gespräche zur speziellen Schutzklausel für Agrarprodukte (SSM). Ein Streit zwischen Indien und den USA über Handelsbarrieren zugunsten von Kleinbauern, die Neu-Delhi mit der SSM aufrechterhalten will, war Ende 2008 ein Grund für das Andauern der Blockade der WTO-Runde.

Warnung vor komplettem Scheitern

Ein großer Fehler wäre es aber laut Einschätzung von Hufbauer, Schott und Woan, aufgrund der Vielzahl an Misserfolgen und verpassten Fristen nun die Doha-Runde ganz abzublasen. Eine neue Runde mit neuen Zielen einzuläuten könne man den meisten WTO-Mitgliedern nämlich schlecht verkaufen. Ein Aus für die Doha-Runde würde zu einer neuen Welle von bilateralen Freihandelsabkommen und zur Fragmentierung des multilateralen Handelssystems führen. Die IIE-Experten sehen daher jetzt die Staatenlenker der G20-Gruppe der größten Industrienationen am Zuge, den Verhandlungen wieder mehr Schwung zu geben, nicht zuletzt für ein Dienstleistungsabkommen. Hier hat es in der Doha-Runde bisher praktisch keine Fortschritte gegeben, weil große Schwellenländer wie Brasilien sich gegen eine Marktöffnung beispielsweise des Bankensektors sträuben. Grundlage für eine Doha-Einigung wird laut Einschätzung der IIE-Experten denn auch das schon Erreichte in den Bereichen Agrar und Industrie sein. Darüber hinaus halten sie mehr Marktöffnung bei Chemikalien, elektronischen Gütern und Umwelttechnik für möglich, wenn auch für schwierig. Allein ein spezielles Marktöffnungspaket für die Chemieindustrie könnte laut ihren Schätzungen die Ausfuhren in diesem Bereich um 15,8 Milliarden Dollar (12,1 Milliarden Euro) pro Jahr gegenüber dem heutigen Niveau erhöhen.

Dienstleistungsbranche als Schlüssel

Allerdings krankt die Runde laut Auffassung der Politikberater aus Amerika an fehlender Ausgewogenheit und mangelndem Ehrgeiz. Deshalb sei es bisher so schwierig gewesen, politische Unterstützung und Schützenhilfe aus der Privatwirtschaft für ein Abkommen zu sichern. Die Dienstleistungsbranche, die in den ersten acht Jahren der Verhandlungen praktisch ignoriert worden sei, trage offen Skepsis zur Schau. Brasilien, Indien und China sieht das IIE mit Angeboten für die Öffnung des Dienstleistungssektors am Zuge, während die Europäische Union striktere Limits für ihre Unterstützung an die Landwirte anbieten soll, offenbar trotz der bereits erfolgten Zugeständnisse. Die Vereinigten Staaten sehen Schott, Hufbauer und Woan ebenfalls mit einer Einschränkung von Agrarsubventionen am Zuge.

Bringschuld der Schwellenländer

Zudem sollen die USA ihre umstrittenen Hilfen für die Baumwollfarmer WTO-kompatibel machen. Diese Subventionen für südliche Bundesstaaten der USA sind Entwicklungsländern in Afrika seit langem ein Dorn im Auge und haben in der WTO hohen Symbolwert erlangt. Fraglich scheint allerdings, wie es generell um die Bereitschaft Washingtons für ein WTO-Abkommen bestellt ist. Seit dem Amtsantritt von Barack Obama haben die Handelspartner vergeblich auf ein Entgegenkommen der Regierung gewartet. Zudem haben schwache Wirtschaftsdaten Obama in die Defensive gedrängt. So wird denn auch der US-Handelsbeauftragte Ron Kirk nicht müde, auf eine Bringschuld Chinas, Brasiliens und Indiens in den Verhandlungen hinzuweisen, wie zuletzt Anfang dieses Monats im Landwirtschaftsausschuss des Senats. (AgE)

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