Das ist ein Artikel vom Top-Thema:

Politik international

Die europäische Agrarforschung ist nicht ausreichend

am Donnerstag, 20.05.2010 - 16:58 (Jetzt kommentieren)

Brüssel - Europa hat in der Vergangenheit Investitionen in die Agrarforschung sträflich vernachlässigt und damit auf Produktivitätsfortschritte verzichtet. Das ist das Fazit eines Vortrags von Prof. Harald von Witzke von der Humboldt-Universität Berlin.

Im Rahmen des parlamentarischen Abends in der Brüsseler Landesvertretung Nordrhein-Westfalens, zeigte Prof. Harald von Witzke anhand von Modellrechnungen, dass die EU über die vergangenen Jahre hinweg durch vermehrte Importe von Grundnahrungsmitteln aus Drittländern dort beträchtliche Ackerflächen in Beschlag genommen hat. Er bezifferte die auf diese Weise "importierten" Flächen auf EU-weit 49 Millionen Hektar bis 2007/08 - also mehr als das Gebiet der Bundesrepublik, die 35,7 Millionen Hektar umfasst. Durch Ertragssteigerungen hätte man zumindest auf einen Teil dieser "virtuellen" Landimporte verzichten können, so von Witzke.

Produktivität erhöhen

In Anlehnung an die vor allem von China verfolgte Strategie, Entwicklungsländern in großem Stil Boden abzukaufen, sprach der Agrarökonom auch provokant von "virtuellem land grabbing". Er stellte jedoch klar, dass er damit keinesfalls dem Protektionismus das Wort reden wolle. Natürlich sei Freihandel wichtig, aber man habe mit der Studie zeigen wollen, dass Europa seine Produktivität steigern müsse. Die Untersuchung wurde vom Forschungszentrum OPERA der Katholischen Universität Sacro Cuore in Italien in Auftrag gegeben. Die irische EU-Europaabgeordnete Mairead McGuinness sah in der anschließenden Diskussion durch die immer häufiger beobachteten Markt- und Preisschwankungen keine Anreize für die Landwirtschaft, mehr zu produzieren.

Je mehr desto besser

Von Witzke plädierte für die Schaffung eines freundlicheren Forschungsumfelds in Europa. Agrarforschung sei aus gesellschaftlicher Sicht so gewinnbringend wie wenige andere Investitionen. Dabei argumentierte er, dass sich die Welt-Nahrungsmittelnachfrage bezogen auf das Jahr 2000 bis 2050 verdoppeln dürfte, die Verfügbarkeit der landwirtschaftlichen Nutzfläche jedoch begrenzt sei. "Je mehr wir auf einem Hektar Boden produzieren können, desto besser", mahnte von Witzke.

Nahrungsgüterdefizit kann sich verfünffachen

Bereits heute sei die Zahl der Unterernährten wieder im Ansteigen begriffen. Die Importlücke der armen Länder für Nahrungsmittel werde sich bis 2030 verfünffachen; sie könne nur geschlossen werden, wenn die reichen Staaten ihre Produktion ausbauten und mehr exportierten. Dabei werde der Klimawandel die Herausforderungen für die Landwirtschaft insgesamt noch verschärfen. Natürlich seien gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ein Teil der Lösung, aber man müsse auch andere Aspekte berücksichtigen.

McGuinness sieht Landwirte durch Marktschwankungen entmutigt

McGuinness unterstrich, dass der Mangel an Agrarforschung auch den Entwicklungsländern schade. Leider sähen diejenigen, die gut versorgt seien, oft nicht die Notwendigkeit weiterer Anstrengungen. Hinsichtlich Bedenken gegen eine intensive Agrarproduktion aus umweltpolitischer Sicht betonte sie, dass sich Landwirtschaft und Umweltschutz nicht ausschlössen. Als größtes Problem für die mittelfristige Entwicklung der Erzeugung machte sie den Anstieg der Marktschwankungen aus. Dadurch würden Bauern entmutigt zu produzieren. Die Nervosität im Sektor sei gestiegen.

Langfristige Stabilität wichtig

Die Christdemokratin stellte klar, dass zu hohe Preise genauso schädlich für die Marktentwicklung seien wie zu niedrige Notierungen, da sich im Fall von Preisspitzen in der Folgesaison die Betriebsmittel verteuerten. Sie kritisierte dabei den Umgang der Politik mit der Hochpreisphase von 2007/08. Damals hätten die Verantwortlichen zu kurzsichtig auf eine Senkung der Preise gedrängt, anstelle über Wege zu einer langfristigen Stabilität nachzudenken. Der Berufsstand sei demoralisiert - auch weil sich in der aktuellen Diskussion über die Zukunft der EU-Agrarpolitik so wenig bewege. Dabei könne man mit Entscheidungen frühestens 2012 rechnen. (AgE)

Kommentare

agrarheute.comKommentare werden geladen. Bitte kurz warten...