
Rund 400 Fachleute aus 35 Ländern haben über zwei Jahre zu der Untersuchung beigetragen. Sir John Beddington, der wissenschaftliche Chefberater der britischen Regierung, stellte die Studie gestern in London vor. Die Experten warnen, die Nahrungsmittelproduktion werde bis 2050 unter einen nie da gewesenen Druck geraten. Über 9 Milliarden Menschen würden mehr und mehr hochwertige Nahrungsmittel nachfragen. Gleichzeitig würden der Wettbewerb um Land, Wasser und Energie zunehmen und die Effekte des Klimawandels stärker hervortreten.
Report fordert die Nutzung der Gentechnik und das Klonen von Tieren
Laut Sir Beddington versagt die Weltagrarproduktion derzeit in doppelter Hinsicht: Fast eine Milliarde Menschen leide Hunger, zugleich belaste die derzeitige Form der Landwirtschaft die natürlichen Ressourcen über Gebühr. Ohne einen sofortigen Politikwechsel, der international koordinierte Maßnahmen einschließt, sieht das Expertengremium die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung in Gefahr. Der Foresight-Bericht fordert eine umfassende Herangehensweise. Eine Vielzahl von Politikmaßnahmen soll unverzüglich eingeleitet werden. Unter anderem betonen die Fachleute die Notwendigkeit, moderne Technologien wie die Gentechnik, das Klonen von Nutztieren oder die Nanotechnologie zu nutzen.
Mit heutiger Technik könne Agrarproduktion in Afrika verdoppelt werden
Keine einzelne Technik könne ein Allheilmittel für die Herausforderungen der Welternährung sein, räumen sie ein. Statt jedoch grob vereinfachend allein das Vorsorgeprinzip anzuwenden, müssten auch die Folgen einer Nichtanwendung fortschrittlicher Technologien berücksichtigt werden. Eine Intensivierung der Produktion mit zugleich geringeren schädlichen Umweltwirkungen halten die Experten für unabdingbar. Schon mit dem heute verfügbaren Stand des Wissens und der Technik könnte die Agrarproduktion in vielen Teilen Afrikas verdoppelt bis verdreifacht und in Russland verdoppelt werden.
Helfen staatliche Eingriffe in die Ernährungsgewohnheiten?
Die Fachleute plädieren für staatliche Eingriffe in die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung, zum Beispiel durch Kampagnen und Einkaufsratgeber. Die Verbraucher müssten aufgeklärt werden, um mit bewussten Kaufentscheidungen auf die Agrarproduktion Einfluss zu nehmen. In reichen Ländern mit hohem Fleischkonsum halten die Wissenschaftler auch die Besteuerung von Fleisch für sinnvoll, um die Ressourcen und das Klima zu schonen und die global verfügbare Nahrungsmittelmenge zu steigern.
Weniger Lebensmittelabfälle sollen den Hunger stillen
Ein erhebliches Potenzial sehen sie in der Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Schätzungen zufolge gehen weltweit zwischen 30% und 50% der produzierten Nahrungsmittel durch Verderb, Krankheiten, Verschmutzung oder ähnliche Faktoren für die menschliche Ernährung verloren. Würde der Abfall bis 2050 um die Hälfte reduziert, würde dies etwa einem Viertel der heutigen Nahrungsmittelproduktion entsprechen.
Nationale Selbstversorgung laufe globaler Ernährungssicherung zuwider
Die Fachleute warnen eindringlich vor Protektionismus. Nach ihrer Auffassung haben die von einigen Ländern einseitig verhängten Ausfuhrsperren und Exportzölle den extremen Agrarpreisanstieg 2007/08 verschärft. Der Wunsch einzelner Nationen nach Selbstversorgung läuft nach Auffassung der Experten dem Ziel einer globalen Ernährungssicherung zuwider. Die Foresight-Studie empfiehlt, Handelsbarrieren und Subventionen abzubauen, die vor allem Entwicklungsländer benachteiligten. Internationale Organisationen sollten mehr Macht erhalten, Handelsrestriktionen in Krisenfällen zu unterbinden.
Welternährungsprogramm soll Notreserve an Nahrungsmitteln einführen
Kurzfristig könnte die G20 hier eine Schlüsselrolle spielen. Eine globale Getreidereserve zur Dämpfung von Preisspitzen lehnen die Experten ab. Sie plädieren jedoch für ein Finanzierungsinstrument und eine Notreserve an Nahrungsmitteln unter der Ägide des Welternährungsprogramms speziell für besonders gefährdete Entwicklungsländer.
Der Foresight-Bericht "Global Food and Farming Futures" kann auf der Internetseite des britischen Ministeriums für Unternehmen, Innovation und Qualifikation heruntergeladen werden.
{BILD:130851:jpg}Norbert Lehmann
Freier Agrarjournalist
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