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Interview

Gemüse schützt vor Krebs? Alles Humbug!

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am Sonntag, 24.04.2022 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass Pommes ungesund sind, sagt Ernährungswissenschaftler Uwe Knop im Interview. Er hält die meisten Studien rund um Lebensmittel und Ernährung für wenig aussagekräftig.

Sie sagen, es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für Ernährungs-Weisheiten aus Studien wie „Gemüse schützt vor Krebs“. Wie kommen Sie darauf?

Man kann keine belastbare klinische Studie durchführen, die Kausalevidenz liefert. Das heißt, es gibt keine Ursache-Wirkungs-Belege in der Ernährungswissenschaft. Dafür haben wir Myriaden schwacher statistischer Zusammenhänge, und zwar in alle nur erdenklichen Richtungen. Das sind die „berühmten“ Korrelationen, die es nur im Konjunktiv gibt. Es könnte also stimmen, dass Gemüse vor Krebs schützt, muss es aber nicht.

Selbst hochwertige Studien sind zu kurz angelegt und beziehen zu wenige Probanden mit ein. Hinzu kommt, dass alle Ernährungsstudien sich auf die Eigenangaben der Probanden verlassen müssen – diese sich aber niemals überprüfen lassen. Die Datenbasis beruht auf Vertrauensbasis, nicht auf Fakten. Kurzum: Das ökotrophologische Universalcredo lautet: Nichts Genaues weiß man nicht!

Was sagen Sie zu den Aussagen „Rotes Fleisch ist ungesund“, „Zucker ist krebserregend“, „Vollkornbrot ist besser als Weißbrot“

Die Aussagen stimmen nicht. Das kann man nicht sagen, weil Vergleiche nichts bringen. Die Evidenz hierzu fehlt. Die Epoche von gesundem und ungesundem Lebensmittel ist offiziell sowieso vorbei. Sieben große Institutionen aus dem Bereich der Ernährungswissenschaft halten eine solche Eingruppierung nicht für sinnvoll.

(Anm. d. Red.: Die wichtigsten Aussagen hat der Forschungsinstitute hat forum. ernährung heute aufgelistet.)

Gesund oder ungesund ist immer nur der gesamte Lebensstil. Und Ernährung ist nur ein Teil davon. Man muss hier größer denken, und das über Jahr(zehnt)e hinweg. Die wesentlichen Elemente für Gesundheit sind z. B. die sexuelle und soziale Zufriedenheit, viel Spaß und wenig Stress und vor allem: ein erfülltes Leben. Auch die genetischen Anlagen und die Lebensumwelt spielen eine entscheidende Rolle. Wer das Gefühl hat, seine Gesundheit verbessern zu müssen, kann die einzelnen Komponenten danach betrachten, was verbesserungswürdig ist. Das ist individuell verschieden und kann nicht pauschal beurteilt werden.

Wie gesund ist es, kurz- oder langfristig auf bestimmte Lebensmittel wie Kohlenhydrate, Fett, Zucker oder Salz zu verzichten?

Es gibt, wie gesagt, keine Daten, die belegen, dass es besser für die Gesundheit ist, z. B. keinen Zucker zu essen. Dahingegen ist jede einseitige Ernährung mittel- bis langfristig problematisch. Besser ist es, ausgewogen und vielfältig zu essen. Man muss den gesunden Menschenverstand einschalten und sich fragen: Bringt es mir was, mein Leben lang keine Kohlenhydrate zu essen? Trotzdem gilt: Jemand, der sich gerne Low-Carb ernährt, soll das auch tun, wenn es ihm gut bekommt.

Die hochangesehene Cochrane-Collaboration (ein globales, unabhängiges Netzwerk aus Wissenschaftlern, Ärzten, und Gesundheitsfachberufen) hat sich auf die Fahne geschrieben, wissenschaftliche Beweise zu liefern. Vor kurzem hat sie den Low-Carb-Mythos in einer Großstudie als Luftnummer entlarvt. Freut es Sie, wenn Ernährungstrends widerlegt werden?

Mich freut, dass Klartext geredet wird. So werden die Bürger endlich ehrlich aufgeklärt. Seit Jahren wird versucht „Besser-Esser-Hypes“, wie ich gerne sage – als überlegen darzustellen. Low-Carb ist aber keiner anderen kalorienreduzierten Diät überlegen.

Wie nimmt man ab?

Beim Abnehmen kommt es primär auf das Kaloriendefizit, die negative Energiebilanz, an. Es spielt keine Rolle, welche kalorienreduzierte Diät gewählt wird. Es kommt lediglich darauf an, dass man ca. 500 kcal pro Tag unter Bedarf einspart. Das führt zu etwa 2 Kilogramm Gewichtsverlust im Monat. Von Trends sollte man sich dabei völlig frei machen. Wichtig ist, dass die Diät, oder besser die lebenslange Ernährungs- und Lebensstilumstellung zu den persönlichen Präferenzen passt.

Was hat das Bauchgehirn mit gesunder Ernährung zu tun?

Eine Studie der Indiana University und der University of Alabama at Birmingham kommt im renommierten „American Journal of Clinical Nutrition“ zu dem Ergebnis, dass es keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit hat, regelmäßig Pommes zu essen. Ein Teil der Probanden aß mehrere Wochen lang jeden Tag eine Portion Pommes, der andere eine kalorienmäßig vergleichbare Menge an Mandeln. Hauptaugenmerk lag auf Veränderungen in der Körperfettmasse, im Gewicht und in den Blutwerten. Am Ende des Monats waren die Werte in beiden Gruppen vergleichbar und nicht klinisch signifikant. Was sagen Sie dazu?

Selbst wenn es einen Unterschied in den Blutwerten gegeben hätte, wäre es kein Beweis dafür gewesen, dass Pommes ungesund sind. Die Studie lief nur ein paar Wochen und ist lebensfern, weil niemand jeden Tag Pommes oder Mandeln isst. Die wissenschaftlich gut gemachte klinische Studie zeigt aber, dass niemand Angst vor Pommes haben muss. Es kommt immer auf die Menge an.

Wie kommt es, dass z.B. Fernsehärzte wie Dr. von Hirschhausen für Intervallfasten werben?

Das passt zusammen. Dr. Eckart von Hirschhausen hatte erfolgreich abgenommen und Verlagskooperationen zu diesem Thema. Das könnte eine Zusatzmotivation gewesen sein. Die Frage wird sein: Bleibt er langfristig schlank und fühlt er sich dauerhaft wohl mit Intervallfasten? Wenn ja, wunderbar, wenn nein, sollte er es lassen.

Es sind so viele Lebensmittelmythen in Umlauf – die Verbraucher müssen verwirrt sein. Was empfehlen Sie unseren Lesern?

Machen Sie sich frei von Ernährungsmythen und Besser-Esser-Hypes. Jeder Mensch is(s)t anders. Es gibt so viele gesunde Ernährungsformen, wie es Menschen gibt. Besser als starre Ernährungsformen finde ich intuitives Essen. Essen Sie das, was Ihnen gut tut und bei dem Sie sich wohl fühlen. Versuchen Sie, den Kontakt zu ihrem Körper (wieder) herzustellen. Fragen Sie sich: Wann habe ich wirklich Hunger? Worauf habe ich Lust? Was schmeckt mir? Achten Sie auf die Verträglichkeit, den Hunger, die Lust, den Genuss und die Sättigung. Vertrauen in den Körper ist das A und O.

  • Uwe Knop vermittelt in seinem neuen Buch, was man alles beachten muss, um sein Wunschgewicht langfristig zu halten. Uwe Knop: „Erfolgreich abnehmen und schlank bleiben – Nachhaltige Gewichts­reduktion wissenschaftlich belegt“, Springer, 196 Seiten, ISBN: 978-3-662-63244-4, 19,99 Euro.

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