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Wirtschaft

Handelsboykott: Wenn der Rubel nicht mehr rollt ...

am Donnerstag, 14.08.2014 - 17:46 (Jetzt kommentieren)

Russland ist ein wichtiger Absatzmarkt für EU-Produkte. Forscher des Leibniz-Instituts erwarten, dass ein langfristiger Konflikt sowohl für den russischen als auch für den europäischen Agrarsektor negative Folgen hätte.

Experten des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) warnen vor einem lang anhaltenden Handelskonflikt zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation. "Die Sanktionen und Gegensanktionen gefährden letztendlich auch den Austausch von Wissen und Wissenschaft - eine Voraussetzung für Innovation, Wachstum und Wohlstand", meint IAMO-Direktor Thomas Glauben.

Kurzfristig: Verluste für den Handel, höhere Preise in Russland

Kurzfristig erwarten die IAMO-Forscher spürbare Effekte für Agrarwirtschaft und Verbraucher. Auf der Suche der Europäer, Nordamerikaner und Australier nach neuen Absatzmärkten werde das Angebot auf internationalen Märkten kurzfristig steigen. Die Märkte werden verunsichert und Preise unter Druck geraten, prognostizieren die Experten. Der europäische Handel werde Verluste an Exporterlösen hinnehmen müssen. Sollten die Preissenkungen von Groß- und Einzelhandel an Landwirte und Verbraucher "weitergereicht" werden, was die Forscher als "sehr fraglich" erachten, dann müssten europäische Landwirte leichte Einkommensverluste hinnehmen, hingegen profitierten europäische Verbraucher.
 
Allein der "überschaubare" landwirtschaftliche Wertschöpfungsanteil an den Exporterlösen würde mögliche Preiseffekte dämpfen.
 
In Russland stehen die Konsumenten zunächst einer eingeschränkten Produktpalette und höheren Nahrungsmittelpreisen gegenüber. Dies wird auch die geplante "Deckelung" verschiedener Nahrungsmittelpreise nicht vollständig verhindern können. Kurzfristig wird der russische Agrarsektor vermutlich nicht in einem erheblichen Maße betroffen sein. Etwas profitieren kann er von temporären Preissteigerungen und verstärkten Staatbeihilfen.
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Mittelfristig keine einschneidenden Änderungen für EU-Landwirtschaft

Aus einer mittelfristigen Perspektive werden viele der genannten kurzfristigen Effekte durch Anpassungsreaktionen, insbesondere durch Handelsumlenkungen, abgeschwächt "umgekehrt". Nach Ansicht der IAMO-Forscher werde sich zeigen, dass globale Handelsstrukturen geeignet sind, Krisen zu begegnen. Europäische Handelshäuser könnten andere Absatzmärkte, etwa in Asien, bedienen.
 
Russland werde seine Importnachfrage anderweitig, wie etwa in Brasilien, Argentinien und Türkei, realisieren. Erste Initiativen habe man bereits gestartet.
 
Die Experten rechnen nicht damit, dass sich das Welthandelsvolumen drastisch ändern wird. Was sich hingegen schon neu ausrichte, seien die internationalen Agrarhandelsströme.

Allerdings werde der neue Handelsstrom den Forschern zufolge nur suboptimal organisiert sein, was zu höheren Transportkosten und - wenn auch nur geringfügig - höheren Preisen führen könne. Die Preislast sehen die IAMO-Forscher beim Verbraucher. Für die europäische Landwirtschaft erwarten sie mittelfristig keine einschneidenden Auswirkungen.

Dauerhafter Konflikt hätte durchaus Folgen

Schwer abzuschätzen sei, wie sich der russische Importstopp langfristig auswirkt. Dies hängt maßgeblich von der Dauer der Maßnahmen, sowohl der westlichen Sanktionsmaßnahmen als auch des russischen Agrarboykotts ab. Entscheidend ist, unter welchen Bedingungen die Sanktionen wieder aufgehoben werden und insbesondere welche Lösung es im Ukraine-Konflikt geben wird.
 
Ein weiter andauernder Konflikt führt, neben den verheerenden humanitären Wirkungen, zu einer anhaltenden Verunsicherung von Investoren, zur Abkehr der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland und zur Behinderung der wirtschaftlichen Entwicklung Europas.
 
Ein dauerhafter Konflikt wird sich den Experten zufolge langfristig auch negativ auf den europäischen und den russischen Agrarsektor auswirken. Denn Russland ist ein wichtiger Absatzmarkt für die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft. Die Forscher sehen erhebliche längerfristige Potenziale zu beider Nutzen.
 
Die Experten rechnen damit, dass der Verlust europäisch-russischer Agrarhandelsbeziehungen und stärkere russische Autarkiebestrebungen die weitere Entwicklung des Agrarsektors und ländlicher Räume in der Russischen Föderation hemmen werden.

Viele weitere aktuelle Informationen zum Agrarboykott und zum Ukraine-Konflikt finden Sie in unserem Themendossier ...

Handelsbeziehungen im Überblick

Russland importiert über 50 Prozent seiner Lebensmittel; vor allem Fleisch, Früchte und Gemüse, Fisch sowie Milchprodukte. In 2013 belief sich der Importwert auf gut 40 Milliarden US-Dollar. Russland stellt mit rund 13 Prozent des EU-Agrarexportvolumens (knapp 16 Milliarden US-Dollar) den zweitwichtigsten Absatzmarkt der europäischen Ernährungswirtschaft dar.
 
Bei den vom Verbot betroffenen Produkten lieferten die Länder der EU in den letzten Jahren etwa 20 Prozent (eine Milliarde US-Dollar pro Jahr) der Schweinefleischexporte und bis zu 40 Prozent (200 Millionen US-Dollar pro Jahr) ihrer Rindfleischexporte nach Russland. Bei Milcherzeugnissen stellen Butter, Käse und Quarkprodukte mit knapp einem Viertel der Gesamtexporte einen wichtigen Posten dar. Für verschiedene Gemüsesorten (Tomaten, Kohl und Möhren) sowie Obst (Äpfel, Aprikosen, Zitrusfrüchte) stellt Russland ebenso einen wichtigsten Absatzmarkt dar. Bis zu 50 Prozent der EU-Exporte werden dort verkauft.
 
Gleichzeitig agiert die EU bei einigen Produkten (Milchprodukte und Schweinefleisch) als wichtiger Exporteur auf den Weltmärkten (mit bis zu 20 Prozent des Welthandels). Auch die russischen Importe absorbieren einen nicht unerheblichen Teil des globalen Handels (bis zu 15 Prozent) bei Produkten, wie beispielsweise gefrorenes Rindfleisch, Früchte und Butter.

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