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Kommentar

Kälberklau: Das Geschäft mit der Tierrettung

am Dienstag, 24.05.2016 - 13:15 (Jetzt kommentieren)

Zwergi ist das „gerettete“ Färsenkalb, in dessen Namen das Deutsche Tierschutzbüro auf Spendenbetteltour geht. Ein Kommentar von Sabine Leopold.

Zwergi, so heißt es, habe man aus der Hölle der Milchindustrie befreit, wo das Kalb - so ähnlich lasen wir es kürzlich auch auf der Facebookseite vom veganen Weltenretter Andreas Läsker – der Mutter entrissen, in eine Plastikbox gesperrt und mit künstlichem Milchpulver aufgezogen würde. Tagelang, erklärt uns das Tierschutzbüro, schrieen Mütter und Kinder nacheinander, tief traumatisiert litten sie Höllenqualen. Doch nicht Zwergi! Das wenige Stunden alte Kalb habe bei der Befreiungsaktion zitternd und einsam in einem Iglu gelegen. Doch nun habe man ihm die Freiheit geschenkt.
Und um diese Freiheit zu finanzieren, fordert das Tierschutzbüro eindringlich zu einer Tierpatenschaft auf (www.tier-patenschaft.de/portfolio/tierpatenschaft-kuh-zwergi). Bereits ab zehn Euro im Monat sind Sie dabei! Jawoll!

Es ist wohl müßig, einem selbstgerechten Tierretter zu erklären, dass Kälber und Kühe nie und nirgendwo tagelang nacheinander schreien, wenn sie unmittelbar nach der Kalbung getrennt werden. Das zu verstehen würde nämlich zweierlei voraussetzen: Ein zumindest grundlegendes Interesse am Sozialverhalten der Tierart, die man „retten“ möchte, und den höchstpersönlichen Weg in einen Milchviehbetrieb. Also tagsüber, wenn die Tiere aktiv und wach sind und sich normal verhalten. Nachts, zu Zeiten, in denen Kälberdiebe in Milchviehanlagen einsteigen, lässt sich Tierverhalten schwer beurteilen. Reißt man beispielsweise kleine Kälber aus dem Schlaf, packt sie grob und zerrt sie aus ihren Unterkünften, bekommen sie Angst und zittern – wie Zwergi, als sie vom neugeborenen Milchviehkalb zur Spendensammelmaschine umfunktioniert wurde.

Die kleine Färse ahnte ja nicht, dass sie „gerettet“ werden sollte (hätte sie es geahnt, wäre ihre Angst angesichts der Kompetenz und der Intension ihrer „Befreier“ aber möglicherweise auch nicht kleiner gewesen). Ist übrigens auch bei anderen Tieren so, bei Hühnern zum Beispiel. Die Herrschaften vom Deutschen Tierschutzbüro werden sich erinnern.

Zwergi eine eigene Box auf einem Gnadenhof

Doch nun hat Zwergi eine eigene Box auf einem Gnadenhof. Das ist natürlich viel besser als die eigene Box in dem Betrieb, in dem sie geboren wurde. Schon weil – die Fotos auf der Tierschutzbüro-Homepage verraten es – Zwergi nun einen Plüschbären zur Gesellschaft hat. Und sie bekommt, davon gehen wir mal aus, echte Milch statt des perversen „künstlichen" Pulvers in der Milchindustrie.

Nun könnte man meinen, dass sich die Tierretter vorm großen Presserummel mal mit der Natur dieses Milchaustauschers befasst hätten. Oder einfach nur mit der Natur von Nahrungsmitteln generell – egal, ob für Mensch oder Tier. Bedingt künstlich herstellen lassen sich bestenfalls Grundstoffe wie Amino- oder Fettsäuren. Komplexe Nahrung wie ein Milchpulver für kleine Kälber ist hingegen ebensowenig „künstlich“ wie pulverisierter Kaffeeweißer. Beides besteht aus biologisch gewachsenem Milch- und Hühnereiweiß. Und manchmal auch zudem aus pflanzlichen Protein- oder Fettträgern, Soja zum Beispiel. Und pflanzlich, liebes Tierschutzbüro, ist doch gut? Ich zitiere mal aus dem Spendenaufruf: „Wenn Zwergis Geschichte Sie berührt, dann überdenken Sie bitte Ihren Milchkonsum und probieren Sie pflanzliche Milchalternativen.“ Soja zum Beispiel. Oder was empfehlen die Ernährungsspezialisten da ihrem Fußvolk?

Landwirte halten sich übrigens bei der Fütterung kleiner Kälber in der Regel nicht an diese „Pflanzlich-ist-besser“-Empfehlung. Da die Jungtiere in den ersten Lebenswochen noch auf das wertvollere und verträglichere tierische Eiweiß angewiesen sind, bekommen sie Milchaustauscher auf rein tierischer Basis. Verwendet werden dafür unter anderem Süßmolke, Mager- und Vollmilchpulver. Und die ganz Kleinen erhalten in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt das, was ihnen die Natur zugedacht hat: die Biestmilch ihrer Mutter. Die enthält wertvolle Abwehrstoffe und lässt das empfindliche Neugeborene zu einem putzmunteren Kalb heranwachsen. Also normalerweise. Es sei denn, es wird „gerettet“. Dann dürfte es mit der Kolostrumversorgung Essig sein.

Aber unbesorgt: Wenn das Tierchen kränkeln oder gar sterben sollte, war's gewiss die Milchindustrie, die es traumatisierte und quälte ...

Oh wie schön ist Panama

Betrachten wir die ganze medial ausgeschlachtete Aktion doch nochmal vom fachlichen Standpunkt aus – also mit ein wenig Wissen rund um die Bedürfnisse eines Milchviehkalbes und ohne Tierschutzparolen, Teddybären und Tränensmilies.

Das Deutsche Tierschutzbüro hat ein Kalb gestohlen. Ja, „gerettet“ klingt zwar weit heroischer, aber das unerlaubte Eindringen in eine landwirtschaftliche Anlage nebst Mitnahme eines Tieres ist nach meinem Rechtsverständnis Diebstahl. Das sehen wohl auch die Stallstürmer ähnlich, weshalb sie für den „Rettungsfilm“ tunlichst die Ohrmarken des Kalbes unleserlich machten. Wo wegen fehlenden Herkunftsnachweises kein Kläger, da kein Richter. Wie praktisch.

Und wie steht's um den Stress im Stall? Bei der Nacht-und-Nebel-Entführung dürften die betroffenen Tiere – allen voran das gestohlene Färsenkalb – deutlich mehr traumatisiert worden sein als durch die vielbeschworene „grausame“ Trennung von Kuh und Kalb. Das lässt sich mit ein bisschen Sachverstand auch erklären: Ein Kalb leidet unter der Trennung von der Mutter nicht, bevor die Prägung eingesetzt hat. Es kennt seine Mutter nicht und kann, so liegt es in der Natur der Dinge, auch nicht abstrahierend auf den Erfahrungswert „Mutter“ zurückgreifen.

Also auch wenn's nicht ins vermenschlichte Weltbild der Tierretter und -rechtler passt: Das Kälbchen schreit nicht nach der Mutter. Bestenfalls blökt es dem eimerbewaffneten Kälberpfleger entgegen. Jeder Milchviehhalter könnte das vor Ort beweisen, kämen die Tierrechtler nur mal am Tage vorbei und nicht in der Nacht. Wir Menschen mögen Sehnsucht nach Dingen haben, die wir nur aus Büchern und Erzählungen kennen. Oh, wie schön ist Panama! Dem Kalb allerdings fehlt weder die unbekannte Mutter noch die Heimat der Offshore-Konten.

Ruhe bitte!

Nun mag der empathiegetriebene kleine Tierfreund argumentieren, das Jungtier vermisse dann zumindest die Wärme und Nähe eines anderen Rindes. Doch auch da wird ebenso ungestüm wie unzulässig vom Nesthocker Mensch auf den Nestflüchter Rind gefolgert.

Rinder sind sogenannte Ableger, das heißt, die Mutterkuh kümmert sich nicht rund um die Uhr um ihr Neugeborenes. Selbiges liegt vielmehr in den ersten Lebenstagen irgendwo möglichst einsam im hohen Gras und wartet auf seine Mutter, die aller paar Stunden vorbeischaut und ihr Kalb säugt. Geborgen fühlt sich ein Kalb in dieser Lebensphase also vor allem dann, wenn es möglichst unsichtbar und unbemerkt bleibt.

Dem kleinen Zwergi war das nicht vergönnt. Es musste sich aus dem schützenden Iglu ziehen und „retten“ lassen. Und wenn die Retter nicht irgendwo auch eine frischlaktierende Kuh „besorgt“ haben, wurde ihm neben der Geborgenheit im Iglu auch noch der mütterliche Immunschutz weitgehend verweigert. Zum Glück dürfte der „grausame“ Milchviehhalter allerdings zumindest für eine Antikörper-Grundausstattung gesorgt haben – indem er das Kleine, egal zu welcher Tages- oder Nachtstunde es zur Welt kam, ausreichend mit Erstkolostrum versorgt, seinen Nabel kontrolliert und desinfiziert und es in tiefe Einstreu gelegt hat. Ach ja: Und indem er es bis auf die Fütterungszeiten in Ruhe ließ.

Bahnbrechende Einbrecher

Was wird nun also aus dem geretteten Jungrind? Milch wird es wohl nie geben müssen. Es dient höheren (und weit einträglicheren) Zwecken. Das ahnt der Inhaber eines gesunden Menschenverstandes angesichts der aufwändig zurechtgefriemelten Webseite und der lautstarken Aktionen in den sozialen Netzwerken: Zwergi wird nicht gemolken, sie muss melken. Und zwar Tierfreunde, die – im Glauben, etwas Gutes zu tun – eine Patenschaft für die „kleine Kuh“ (nein, liebes Deutsches Tierschutzbüro, ein neugeborenes Färsenkalb ist ebensowenig eine Kuh, wie ein neugeborenes Mädchen eine Frau ist, aber das nur nebenbei) abschließen und fürderhin mindestens zehn Euro im Monat für den Unterhalt des Tierchens abdrücken. Und zwar jeder.

Nun lässt sich aus naheliegenden Gründen nicht feststellen, wieviele gutgläubige Seelen dem Spendensammelprojekt schon auf den Leim gegangen sind, aber selbst ein einziger Zehner im Monat würde angesichts der äußeren Umstände schon genügen, um das Kalb, für dessen „Erwerb“ man ja praktischerweise nichts zahlen musste, extensiv aufzuziehen. Alles darüber hinaus ist sozusagen Reingewinn. Das gilt übrigens auch für Zwergis ebenfalls geklau ... äh ... gerettete Kollegen an der Sammelfront: die Schweine Laura, Stefan und Jan, die Hühner Aschenbrödel, Rapunzel, Silvia und Helena, die Schafe Bruno und Ilse und wie sie alle heißen.

Aber unterstellen wir den Tierrettern nichts Böses: Ihre Ziele sind gewiss hehr. Also wird das überschüssige Geld ganz sicher zum Wohle der geschundenen Kreatur eingesetzt. Zum Beispiel für die nächsten „Tierbefreiungen“, so ein Diebeszug braucht schließlich Vorbereitung. Und hinterher eine knackige mediale Aufbereitung, sonst ist die „bahnbrechende Kalbrettung“, wie das Tierschutzbüro titelt, ja nutzlos. Schließlich soll das Beispiel Schule machen.

Richtig retten

Milchviehhalter überlegen indessen, wie sie ihre Tiere schützen können. Kälber stehen in der Regel nicht in verschlossenen Ställen. Die Jungtiere brauchen viel frische Luft. Das hält sie gesund, macht Viehdieben aber auch das Leben leicht ... oh pardon, Viehdiebe haben ja unlautere Absichten und wollen sich nur bereichern. Das liegt unseren edlen Rettern natürlich fern.

So recht betrachtet, glaube ich, das wäre auch für mich eine interessante berufliche Alternative. Nein, nicht das Kälberretten, die Tiere weiß ich beim Bauern in guten und fachgerechten Händen. Aber vielleicht rette ich die Tage mal einen hübschen Ring vor einem herzlosen, geldgierigen Juwelier. Bei mir fände er ein liebevolles Zuhause.

Ich würde ihn Blinky nennen ...

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