Wer gern liest und dabei mit dem Zeitgeist gehen will, hat’s wahrlich nicht leicht. Einfach mal ans Bücherregal gehen und einen der geliebten Schmöker aus der Kindheit rausziehen? Da ist aus Moralistensicht aber Vorsicht geboten!
Hexen brennen nicht klimaneutral
Nehmen wir doch nur mal die guten alten Märchen – was da für inakzeptable Sachen drinstehen!
Der gestiefelte Kater? Gar nicht artgerecht, so eine Mieze mit Schuhen. Rotkäppchen bringt Wein und Kuchen zur Oma? Also bitte, wie ungesund! Wenn, dann ernährt sich die alte Dame doch besser von Haferdrink und Dinkelknäcke. Das hässliche junge Entlein wird geschmäht, Zwerg Nase verlacht? Bodyshaming! Die Schneekönigin? Wo gibt’s denn heute noch solche Winter?
Dass Hänsel und Gretel am Lebkuchenhaus knuspern, ist auch nicht mehr zeitgemäß. Viel zu viel Zucker für die lieben Kleinen. Und dann die Hexe verbrennen? Was das an Feinstaub freisetzt! Nur dass der Wolf die sieben Geißlein frisst, geht weiter in Ordnung. Der steht – im Gegensatz zu Ziegen – schließlich unter strengem Artenschutz.
Pippis Papa auf der falschen Insel
Falls Sie das jetzt alles für die Ausgeburt meiner regen Fantasie halten, suchen Sie im Netz doch mal nach Buchkritiken aus der woken Blase.
Astrid Lindgren zum Beispiel, die mit ihrer Heldin Pippi Langstrumpf quasi das Grundmodell für girls‘ empowerment – also die Ermutigung von Mädchen – geschaffen hat, muss sich für Rassismus schelten lassen, weil Pippis Vater im Original von 1944 als N... (na ja, Sie wissen schon) ...könig auf einer Südseeinsel lebt.
Kinderheld oder Kulturklischee: Jim Knopf
Längst steht dabei nicht nur der Begriff in der Kritik. Den kann man leicht ersetzen. Wie aber kann es sein, dass ein Weißer einfach so das gekrönte Haupt der imaginären Ureinwohner Taka-Tukas wird?!
Nicht anders geht es Michael Ende mit seinem dunkelhäutigen Waisenjungen Jim Knopf. Klischeehaft, postkolonial, kulturell angeeignet lauten die Vorwürfe. Jim, das hilflose schwarze Kind, das auf die Unterstützung der (natürlich) weißen Bewohner der Insel mit zwei Bergen angewiesen ist. Dabei hätte Ende seinen Helden doch so schön urdeutsch anlegen können: blond, blauäugig ... und garantiert ins erlaubte Schema für einen deutschen Autor passend.
Fetter Kinder werden riesig
Doch nicht nur in Deutschland regiert der Rotstift in Kinderbuchklassikern. Roald Dahls „Charlie und die Schokoladenfabrik“ wurde nach Angaben des englischen Puffin-Verlags kürzlich umfassend zurechtkorrigiert.
Künftig ist die Nebenfigur Augustus Glupsch nicht mehr „fett“, sondern „riesig“. Und die Oompa Loompas, die in der Schokoladenfabrik schaffen, sind nun keine „kleinen Männer“ mehr, sondern „kleine Leute“. Wo kämen wir denn auch hin, wenn Dahl einfach über das Geschlecht seiner Figuren bestimmen dürfte?
Hexendiskriminierung auf dem Index
85 Änderungen habe man in der aktuellen „Schokoladenfabrik“-Fassung vorgenommen, heißt es aus dem verlag. Es wurde Text umformuliert, Absätze wurden gelöscht und neue hinzugefügt.
Ähnliches widerfuhr einem anderen Roald-Dahl-Klassiker, ebenfalls bei Puffin erschienen: In „Hexen hexen“ tragen die bösen Zauberweiber zwar immer noch Perücken, um ihre Glatzen zu verstecken, aber mit der Ergänzung, dass es selbstredend viele Gründe für Frauen gebe, Perücken zu tragen – und daran sei gewiss nichts auszusetzen. Nieder mit der Hexendiskriminierung!
Bücher fürs vegane Kind?
Ist halt viel zu tun in der unsensiblen klassischen Kinderliteratur. Zum Glück gibt’s wenigstens endlich das vegane Buch! Der Bielefelder CalmeMara Kinderbuchverlag produziert seine Hardcover jetzt tierproduktfrei. Und natürlich passen auch die Inhalte der Bücher dazu, zum Bespiel mit Geschichten von einem Gnadenhof.
Was die Frage aufwirft, ob man für vegane Leseratten – pardon, das geht natürlich auch nicht mehr – Leserettiche nicht auch die Essgewohnheiten von Kinderbuchfiguren anpassen müsste. Es geht doch nun wirklich nicht, dass Karlsson vom Dach am liebsten Köttbullar isst und das Sams sich Würstchen wünscht. Hier muss unbedingt sprach- und gemüsetechnisch nachgebessert werden!
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