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Generationenwechsel

Kühe raus, Neues rein: Die Verwandlung eines Kuhstalls

Mensch und Tier unter einem Dach: Diese Einheit ist ein Charakteristikum der stattlichen „Itakerhöfe“ aus dem 19. Jahrhundert.
am Donnerstag, 10.11.2022 - 08:44 (Jetzt kommentieren)

Der junge Architekt Vinzenz Mayer hat am Chiemseeufer einen Schatz gehoben.

Starke Pfeiler: Die Träger des böhmischen Gewölbes wurden verstärkt. Im einstigen Kuhstall findet heute Diagnostik, Training und Therapie statt.

Ludwig I. war König von Bayern, als im Jahr 1846 der wohlhabende Getreidehändler Josef Mayer in Rimsting einen stattlichen Einfirsthof errichten ließ: Möglhof hieß schon der weit bescheidenere Besitz, der zuvor am selben Platz stand. Beim neuen „Itakerhof“ blieb der Chiemsee Hintergrundkulisse: Das prächtige neue Anwesen schaut, wie es sich im frommen Bayern gehörte, Richtung Kirchturm, nach St. Nikolaus hin. Und so kommt es, dass 176 Jahre später die Biogasanlage der Landwirtsfamilie Mayer im rückwärtigen Teil des Grundstücks einen spektakulär schönen Blick auf den blauen See genießt.

Seit April dieses Jahres können auch Fußkranke und Rückengeplagte aus dem Kuhstall hinausspitzen und ein blau schimmerndes Zipfelchen der Touristenattraktion erhaschen. Vor Jahren noch rasselten hier leise die Ketten der Milchkühe und warme, dampfende Rinderschnauzen wühlten sich durchs Heu. Jetzt liegt ein sehniger Herr seitlich auf dem Boden und bewegt langsam Becken und Hüfte. Unter dem Deckengewölbe hat sich das Sportperformance und -therapiezentrum Sports Innovated eingemietet. Das Logo des Deutschen Skiverbands prangt über dem schicken Empfang. Die Biathletin Franziska Preuß und andere Spitzensportler wurden hier schon fit gemacht für die Piste.

Die Fachwerk-Fassade erinnert noch an Stall und Stadl, an die 45 Milchkühe und die Jungrinder. Bis zu 100 Stück Vieh standen zum Ende hin noch im Laufstall. Als sie abgeholt wurden, sagt Josef Mayer, „war das eine Tragödie“. Der Anblick des leeren Stalls schnitt tief ins Herz. Über viele Generationen hatten die Mayers auf dem Möglhof von der Landwirtschaft gelebt. Das „Ehrenblatt alteingesessener Bauerngeschlechter“, das in der ungewöhnlich hohen und geräumigen Fletz hängt, weist bis ins Jahr 1728 zurück. Der Name Mayer taucht darauf – unter den Flügeln des Reichsadlers – erstmals 1771 auf. Die Urkunde bezeugt das „traditionsreiche Bauerngeschlecht auf dem Hof Mögl“. Heute betreibt Sohn Vinzenz Mayer die Biogasanlage im Nebenerwerb. Er lebt mit seiner Partnerin im vorderen Teil des Hofs, dem stattlichen Wohngebäude. Im Hauptberuf ist er Architekt in Traunstein.

Luft und Licht: Aus Tenne und Schober wurde ein großzügiges Atrium mit Empfang und Lounge. Das Dach lässt warmes Sonnenlicht hinein.

Als Josef Mayer die Tierhaltung aufgab, ließ er offen, was mit dem Anwesen geschehen sollte. Das wollte er seinem Nachfolger nach der Übergabe überlassen. „Ich wollte abwarten, was die nächste Generation will“. Und das war: sinnvolle Nachnutzung durch ein „stilles Gewerbe“, das weder durch Lärm noch Geruch belastet. Oder auch „laterale Diversifikation“, wie der angehende Architekt Vinzenz in seiner Arbeit für die TU München schreibt. Eine Nutzung also, die in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit dem bisherigen Betrieb steht. Vinzenz Mayers Vision war modernes Arbeiten in einem alten Wirtschaftsgebäude, das seinen Charakter nicht verlieren sollte.

2,2 Mio. Euro, viel Vorplanung und sehr viel Eigenleistung hat es gebraucht, bis der Möglhof für die Zukunft gerüstet war. Fast ein Jahr lang hat Mayer junior entrümpelt und mit einem Industriesauger den Staub von 200 Jahren entfernt. Der alte Anbau musste abgetragen werden. Ein minimalistisch-funktionaler, eingeschossiger Betonbau wurde gebaut, dazu nach historischem Vorbild zwei Brücken. Heute sind es Eingänge, früher dienten sie als Ein- und Ausfahrt für Gespanne, die auf dem Heuboden nicht wenden konnten.

Draußen ist denkmalgeschütztes Bundwerk der Blickfang, drinnen gehen altes Gebälk, neue Holzkonstruktionen, stylishes Interieur und Funktionalität eine spannende Verbindung ein. Mit dem Denkmalschutz wurden Kompromisse gefunden, um mehr Licht in das Gebäude zu lassen. Über das Dach zieht sich ein langes Lichtband, aus dem Bundwerk wurde jedes zweite Brett entfernt. Dem Stadl-Charakter des Anwesens tut das keinen Abbruch. Die Haus-im-Haus-Lösung ist der geniale Kunstgriff, um alte Mauern und zeitgemäßes Wohnen harmonisch miteinander zu verbinden. Geheizt wird mit Abwärme der Biogasanlage.

Sie halten zusammen: Josef und Vinzenz Mayer dort, wo einst der Heuboden war. Wenn ein Bauprojekt wie dieses gelingen soll, müssen alle dahinter stehen und mit anpacken.

Vinzent Mayer hat ungewöhnliche Pfade beschritten: Bevor er sich an den Umbau machte, wollte er den künftigen Mieter im Boot habe. Er bewarb seine Pläne mit einem Exposé auf den gängigen Immobilienportalen. Dr. Manfred Düring, Geschäftsführer von Sports Innovated, ließ sich nicht lange bitten. Denn er war schon lange auf der Suche nach einem besonderen Objekt, zumal in so schöner und verkehrsgünstiger Lage.

Ein Jahr und drei Monate wurde gebaut. Mayers Pläne hatten ein gutes Timing. Der Möglhof war Anfang 2022 fertig, bevor Materialien knapp wurden und die Baukosten in die Höhe schnellten. Freilich hat er alles sorgfältig vorbereitet. „Das größte Problem ist die Bürokratie“, sagt er. Man müsse sich vorab sehr gründlich informieren, Fördertöpfe auftun, Kosten realistisch abschätzen. „Man darf sich nicht selbst belügen“, sagt der 32-jährige Architekt. Und: „Alle müssen dahinterstehen“. Ohne Unterstützung der Familie und der Freundin geht es nicht.

Vinzenz Mayer ist jetzt stolzer Eigentümer eines seltenen Schmuckstücks. Das Gemeinwohl hat er dabei durchaus im Blick. So wie seinem Vater, der lange Jahre Bürgermeister von Rimsting war und sich bei der Feuerwehr engagierte, liegt ihm das Dorf am Herzen: „Rimsting war landwirtschaftlich geprägt. Aber jetzt gibt es fast keinen Landwirt mehr am Ort. Von den Höfen, die es mal gab, ist kaum noch etwas da. Aber die Höfe sind charakteristisch für ein Dorf. Wenn die verfallen oder abgerissen werden, schauen bald alle Dörfer gleich aus.“

Umbau Möglhof vorher

Dabei können Tradition und Moderne schönste Verbindungen eingehen. Vorstellungskraft braucht es dafür, Kreativität. Und ungewöhnliche Lösungen: Fast hätte die Sanierung wegen der Schwalben stillgestanden, die im alten Stallgewölbe ihre Nester hatten. Die Mayers freuen sich an den Vögeln nicht weniger als der Landesbund für Vogelschutz – also stellten sie den Anreisenden kurzerhand eine neue Unterkunft im leerstehenden Wohnhaus nebenan zur Verfügung. Die Baustelle musste komplett abgehängt werden, damit die Tiere nicht an ihre alten Brutplätze zurückkehrten, und die Fenster wurden weit geöffnet. Am Ende ist auch dieser Umbau ist geglückt: Nun lebt je ein Schwalbenpaar in Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche des Nachbarhauses. Auch diese Mieter haben es gut getroffen.

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