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Kommentar

Landlärm: Wenn eine Gesellschaft ihre Ursprünge schützen muss

Geräusche auf dem Land
am Freitag, 29.01.2021 - 11:00 (3 Kommentare)

Frankreich hat typische Landgeräusche und -gerüche zum Kulturerbe erklärt. Das klingt zunächst einmal gut. Aber eigentlich ist es traurig, dass man in unserer modernen Gesellschaft solche ursprünglichen Dinge per Gesetz schützen muss. Ein Kommentar.

Die französische Nationalversammlung hat vor wenigen Tagen den gesetzlichen Schutz typisch ländlicher Geräusche und Gerüche beschlossen. Hahnenkrähen, Stallgerüche und Glockenläuten gehören in unseren Nachbarland nun offiziell zum Kulturgut, zum "Sinnes-Erbe". Damit soll die in letzter Zeit immer weiter zunehmende Klageflut gegen Gackern, Muhen und Blöken gestoppt werden. Einige dieser Prozesse waren nicht nur in Frankreich durch die Medien gegangen, allen voran die Klage gegen Gockel "Maurice".

Hierzulande reagierten vor allem Landwirte mit Genugtuung auf den französischen Beschluss. Und viele forderten, dass auch die deutsche Regierung ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen möge.

Immerhin können sich auch deutsche Gerichte vielerorts kaum vor klagewütigen Neudörflern retten, die dem Nachbarshahn den Schnabel, der Kuhglocke den Klöppel oder dem Landwirt den Mähdrescher verbieten wollen. Wo kämen wir denn auch hin, wenn die Flucht in die ländliche Idylle von Menschen gestört wird, die unvernünftigerweise nicht an lauen Sommerabenden und gemütlichen Wochenenden die Arbeit ruhen lassen. 

Um nicht ausschlafen zu können, hätte man ja auch gleich in der Stadt bleiben können.

Überall – nur nicht in meinem Hinterhof

Die Franzosen haben den ländlichen Nachbarschaftsklagen also jetzt einen Riegel vorgeschoben. Das ist gut. Aber es ist auch bedrückend. Was sagt das über eine Gesellschaft aus, wenn man per Gesetz klarmachen muss, dass Kühe riechen, Hähne krähen oder Glocken läuten? Wie kann es sein, dass in Industrieländern wie Deutschland und Frankreich die Begriffe "bio", "natur" und "regional" auf nahezu jedem Produkt prangen, die Käufer sich aber verbitten, von deren Herstellern und ihrem Tun etwas mitzubekommen?

Diese "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass"-Mentalität ist mittlerweile einer der Grundpfeiler unseres Zusammenlebens. Laut einer aktuellen Umfrage der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) sprechen sich rund 86 Prozent der Deutschen für eine nachhaltige Energieerzeugung aus. Trotzdem bilden sich sofort massive Bürgerinitiativen, wenn irgendwo eine Biogasanlage entstehen oder ein neuer Windpark errichtet werden soll.

Eine ähnlich hohe Anzahl der Menschen hierzulande (85 Prozent) verlangt nach Aussagen von Greenpeace mehr Tierwohl in der Landwirtschaft. Doch die Kühe, Hühner und Schweine, die nach Verbraucherwunsch alle unter freiem Himmel stehen sollen, dürfen selbstredend weder riechen noch laut sein. Das stört die Anwohner. Und die gibt es in unserem dichtbesiedelten Land nahezu überall. "Not in my backyard" – "Nicht in meinem Hinterhof" – nennt man im englischen Sprachraum diese Geisteshaltung.

Gesetze schaffen kein Verständnis

Unsere Kampagnen- und Petitionenkultur macht es den Menschen leicht, etwas einzuklagen, ohne das eigene Verhalten zu hinterfragen. Ein paar Klicks am Computer und man hat sich "engagiert". Das gilt auf vielen Gebieten.

Braucht Deutschland ein ähnliches Gesetz wie Frankreich? Angesichts solcher mehrinstanzlicher Auseinandersetzungen wie dem Holzkirchner Kuhglockenstreit scheint es so. Die Akzeptanz für den krähenden Gockel oder das blökende Schaf muss heutzutage offenbar per Recht und Gesetz erzwungen werden.

Doch Verständnis entsteht so nicht, im Gegenteil. Der gesetzliche Schutz einiger althergebrachter landwirtschaftlicher Vorgänge erspart zwar den Gerichten Arbeit und einigen Direktbetroffenen Geld und Nerven. Doch die kuriosen Streits um Kuhglocken und Hahnengekrähe sind nur die Spitze des Eisbergs und eigentlich auch nur eine romantische Verklärung.

Der Landwirtschaft an sich hilft es wenig, dass Tierexkremente stinken dürfen – wenn sie trotzdem nicht in ausreichenden Mengen auf die Äcker ausgebracht werden dürfen. Oder dass Schafgeblöke auf Weiden akzeptiert werden muss, wenn gleichzeitig jeder noch so auffällige Wolf per Petition und einstweiliger Verfügung "gerettet" wird und die Geräuschkulisse auf seine Weise beseitigt.

Mehr seriöses Wissen um die moderne Nahrungserzeugung schon bei Stadtkindern würde weit mehr zum dörflichen Frieden beitragen als jeder Kulturschutzparagraph.

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