Der Reisenthaler Hof liegt weit abgelegen in einem grünen, idyllischen Tal südlich von München. Nur eine schmale Straße windet sich zu dem Bauernhof, der seit 350 Jahren im Besitz der Familie Esterl ist. Dennoch tummeln sich auf dem Hof mit den typisch bayerischen Holzbalkonen jedes Jahr viele Besucher, denn hier erfahren Schulklassen, was hinter der Landwirtschaft steckt.
Erlebnisbauernhof als eigener Betriebszweig
„Ich weiß nicht, wie viele Kinder wir dieses Jahr da hatten“, sagt Julia Esterl, während sie durch den kleinen Garten vor dem alten Haus geht. Die Frau mit den blonden Locken und dem federnden Gang sprüht vor Energie, während sie erzählt. „Aber allein an den drei Tagen vor Pfingsten hatten wir 170 Kinder da. Der Sommer war komplett ausgebucht und im Herbst waren wir ebenfalls ausgebucht.“
Die 42-jährige gelernte Automobilkauffrau hat in den Betrieb eingeheiratet und sich als Erlebnisbäuerin ihren eigenen Betriebszweig aufgebaut. Das Bildungsangebot auf dem Bauernhof ist beliebt. „Es gibt mittlerweile Schulen, die schicken nach und nach alle Klassen her“, berichtet die ErlebnisBäuerin. Eine Grundschule habe der Einfachheit halber jeden Donnerstag gebucht, damit alle Klassen vorbeikommen können. Vom Staat wird dieses Engagement über die sogenannte Übungsleiterpauschale unterstützt, das ist eine Vergünstigung der Einkommensteuer über 3.000 Euro und wird Landwirten gewährt, die ihren Bauernhof als Lernort anbieten.
Wissen über Lebensmittelerzeugung geht verloren
Ein Besuch auf dem Reisenthaler Hof ist mehr als ein reiner Schulausflug, denn die Kinder lernen hier etwas über Lebensmittel und wo sie herkommen. Nicht ganz selbstverständlich heutzutage, denn dieses Wissen geht mehr und mehr verloren.
Die Kinder verbringen zwischen zwei und drei Stunden auf dem Naturland-Hof der Familie Esterl. Die Kinder können direkt zu Beginn Fragen stellen. „So erhalte ich auch einen Eindruck, wie viel sie schon wissen. Es sind viele dabei, die wenig Ahnung haben und auch noch nie auf einem Bauernhof waren.“ Vor allem aber fragt sie die Kinder, worauf sie sich freuen und was sie interessant finden.
Der eigentliche Rundgang startet bei den Ziegen. Dann folgt der große Laufstall mit den Fleckviehkühen. Dort helfen die Kinder, eine Totalmischration zusammenzustellen. Julia Esterl erklärt, welche Maschinen eingesetzt werden, um die einzelnen Futtermittel herzustellen. Danach gilt es, den Melkroboter zu entdecken. Wer will, darf ein Kunststoffeuter melken. Zum Abschluss dürfen die Kinder aus Sahne Butter machen und natürlich gleich verzehren. Interaktion statt Vortrag, mit allen Sinnen entdecken anstatt im Klassenzimmer sitzen.
Lehrer sind teilweise nicht auf Bauernhofbesuch vorbereitet
„Die Vorbereitung in der Schule ist ganz unterschiedlich – eine Lehrerin hatte der Klasse schon das i.m.a.-Plakat Bauernhof besorgt, mit dem ich hier auch arbeite. Ein anderer wusste noch nicht einmal, wo die Fahrt überhaupt hingeht.“
Um das Wissen entsprechend zu vermitteln, hat Julia Esterl sich gründlich vorbereitet. Sie baute eine Bauernhofgastronomie auf und begann, sich in die Bildungsarbeit für Kinder einzuarbeiten. Zunächst machte sie nur den eintägigen Qualifizierungslehrgang, den man benötigt, um in Bayern eine Finanzierung vom Landwirtschaftsministerium für Bauernhofrundgänge zu erhalten. „Dann habe ich die 16-tägige Qualifizierung zur ErlebnisBäuerin begonnen.“
Bauernhofbesuche - in jedem Bundesland anders
In jedem Bundesland wird das Thema Bauernhofpädagogik anders gehandhabt. Wer in welchem Bundesland zuständig ist, erfahren Sie in unserer Übersicht.
Ist es denn Aufgabe der Landwirtschaft, Kinder über die Landwirtschaft zu informieren? „Nö“, sagt Julia Esterl und lacht. „Es ist inzwischen so viel Aufgabe der Landwirtschaft geworden, da kommt man gar nicht mehr hinterher.“
Ihre Aufgabe als ErlebnisBäuerin liebt sie trotzdem sehr. „Am meisten Spaß“, sagt sie, bevor sie in ihrem schönen alten Bauernhaus verschwindet, „machen mir die integrativen Klassen oder die von einer Förderschule. Im Grunde kann ich aber bei allen Klassen dafür sorgen, dass die Kinder ein paar Stunden unbeschwert und glücklich sein können.“
Hier ist Ihre Meinung gefragt
Werden Sie Teil unserer Community und diskutieren Sie mit! Dazu benötigen Sie ein myDLV-Nutzerkonto.