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Politik national

Lindemann: Auf Dauer wird Akzeptanz gebraucht

am Donnerstag, 27.01.2011 - 15:23 (Jetzt kommentieren)

Hannover - Am vorigen Donnerstag wurde Gert Lindemann als neuer niedersächsischer Landwirtschaftsminister vereidigt. Wie geht er mit der Dioxinkrise um, welche Ziele verfolgt er im Tierschutz, und was soll die GAP-Reform aus seiner Sicht bewirken? Die LAND & Forst vom dlv Deutscher Landwirtschaftsverlag sprach mit dem Minister über seine nächsten Vorhaben.

 Wie lange haben Sie für die Entscheidung gebraucht, dieses Amt zu übernehmen?

 Von Samstag bis Donnerstag. Ich hatte mich eigentlich seit meiner Pensionierung im vorigen Frühjahr ganz gut darauf eingestellt, auf der einen Seite eine ja gar nicht mal so ganz kleine Beamtenpension zu beziehen und auf der anderen Seite mit der Tätigkeit in Aufsichtsräten, mit der Leitung eines Seniorenzentrums und mit dem Sitz im Präsidium eines Zentralverbandes meinen Tag so auszufüllen, dass ich ganz gut zu tun hatte und trotzdem morgens in Ruhe die Zeitung lesen und den Tag ruhig bis moderat beginnen konnte. Und ich hatte vor, die eine oder andere Stunde in dem Jagdrevier zu verbringen, das ich bei einem Freund in der Lüneburger Heide gepachtet hatte. Ich musste schon etwas intensiver darüber nachdenken, ob ich das alles aufgeben will, denn nichts anderes bedeutet es, wenn man dieses Amt übernimmt.

Gab es ein entscheidendes Argument, das beim gründlichen Abwägen letztendlich für den Ausschlag sorgte?

Das war nach dem Gespräch mit unserem Ministerpräsidenten, bei dem ich feststellte, dass sich unsere Vorstellungen darüber, wie sich dieses Ressort weiter entwickeln sollte, doch sehr stark deckten. Das vermittelte das Gefühl, hier kein Einzelkämpfer zu sein, sondern mit einem Team so arbeiten zu können, dass daraus etwas Vernünftiges werden kann. Dann kam, noch vor Ihrer Vereidigung, die Dioxinkrise.

Wie lange, meinen Sie, werden wir damit noch zu tun haben?

Mit der dadurch entstandenen Vertrauenskrise haben wir sicher etwas länger zu tun. Wir werden auch mit der in solchen Fällen immer auftauchenden Diskussion darüber, ob wir systemimmanente Fehler in unserer Agrarstruktur haben, noch länger zu tun haben. Ich will da keinem zu nahe treten, aber es fällt schon auf, dass Vorfälle im Bereich des Ökolandbaus stets als Angriff der Gegner auf die Bewirtschaftungsform dargestellt werden. Passiert so etwas im konventionellen Bereich, noch dazu aufgrund kriminellen Handelns, dann wird gleich die Systemfrage gestellt und mit abenteuerlichen Behauptungen über Massentierhaltung unterlegt.

 Wann wird in dieser Sache ein erster Schlussstrich gezogen?

Wenn nichts Überraschendes mehr passiert, gehe ich davon aus, dass die labortechnischen Untersuchungen in etwa zwei Wochen abgeschlossen sein dürften. Dann wird man sich damit beschäftigen müssen, wie die Auswirkungen der Krise bewältigt werden können, ob eventuell der Staat auch dabei helfen kann, den Schaden für die Betroffen zu begrenzen. Es erfüllt mich mit großer Sorge, dass wir eine Fülle landwirtschaftlicher Betriebe haben, bei denen der Absatz ins Trudeln geraten ist. Das beginnt bei den Schweinemästern, die ihren Stall noch voller Tiere haben und schon wissen, das erneute Aufstallen rechnet sich nicht. Diese Bremsreaktion zieht sich über die Ferkelerzeuger durch die ganze Kette. Es könnte durchaus sein, dass wir länger als mit der Krise damit zu tun haben werden, diese Ströme wieder ins Fließen zu bringen.

Was kann man, kann Ihr Haus tun?

Bei der EU-Kommission private Lagerhaltung zu ermöglichen, ist zunächst einmal Sache des Bundes. Woran wir mitwirken können, ist die Zurückgewinnung des Verbrauchervertrauens. Eine andere wesentliche Aufgabe besteht darin, die Täter, die mit hoher krimineller Energie handelten, auch für den Bürger sichtbar die Konsequenzen tragen zu lassen. Sie haben die Verbesserung des Tierschutzes als die eigentlich wichtigere Aufgabe im Vergleich mit der Bewältigung der Dioxinkrise bezeichnet.

Auf welche Veränderungen wollen Sie hinaus?

In der Tat hat das Dioxingeschehen nichts mit dem System zu tun. Dagegen wirkt die Antwort auf die Frage: „Wie betreiben wir Landwirtschaft?“ zwangsläufig unmittelbar auf das System. Ich bin sicher, dass unsere Bauern vom Grundsatz her nur dann auf Dauer Erfolg haben, wenn das, was sie tun, auf gesellschaftliche Akzeptanz stößt. Und jeder schlimme Tierschutzfall, der öffentlich diskutiert wird, ist geeignet, dem guten Ruf unserer Landwirtschaft zu schaden. Wenn wir zu der Erkenntnis gelangen, dass es eine Reihe von Haltungsproblemen gibt, dann müssen wir handeln.

Es geht dabei gewiss nicht um Haltungsformen, die grundsätzlich infrage zu stellen sind. Aber wenn in einem Produktionssystem Probleme mit dem Tierschutz oder dem Wohlbefinden der Tiere auftreten, sobald der Landwirt nicht ein ganz optimales Management abliefert - seien es die Fußballen, Skelettdeformationen oder Erscheinungen wie Schwanzbeißen oder Federpicken -, dann müssen wir uns fragen, was zu tun ist, um solche Entwicklungen abzustellen. Dafür sprechen ethisch-moralische Gründe, aber auch unser Bestreben, das hohe Ansehen der Bauern bei der Bevölkerung zu bewahren.

In dem Moment, wo sich Verbraucher mit Grauen von der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung abwenden, betrifft es nicht nur ein paar Bauern, sondern das gesamte Umfeld, unter dem Landwirte arbeiten und ihr Geld verdienen müssen. Ich bin der festen Überzeugung und erwarte dies auch von anderen, dass Landwirte das Recht haben, Gewinn zu erwirtschaften, um an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilzuhaben. Aber ich sehe Landwirte auch in der Pflicht gegenüber der Gesellschaft, so zu wirtschaften, dass sie es akzeptieren kann.

Wie wollen Sie diese Ausgewogenheit zwischen Ökonomie und Akzeptanz herstellen?

Mir schwebt vor, interessierte Organisationen und Verbände in jenen Gremien zu beteiligen, in denen wir über die Fortentwicklung der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung beraten. Damit stellen wir die Diskussion erst einmal auf eine breitere Basis: Wirtschaft, Handel, Verbraucherzentralen und Bürgergesellschaft. Und dann brauchen wir eine Bestandsaufnahme: Welche Probleme gibt es, welche Lösungen bieten sich an und bis zu welchem Zeitpunkt trauen wir uns zu, diese Lösungen in der Praxis verbindlich umzusetzen. Ich will eine möglichst breite Beteiligung, selbstverständlich auch die der Landwirtschaft und ihrer Fachverbände. Aber es muss auch klar sein, dass wir hier nicht die Arbeit einstellen, wenn sich jemand verweigert und sagt: Ohne uns! Der muss dann damit rechnen, dass wir es wirklich ohne ihn machen.

Nächstes Thema: GAP-Reform. Welche Prioritäten setzen Sie für Niedersachsen?

Zu Niedersachsen gehört auch künftig eine unternehmerische Landwirtschaft. Ich halte nichts davon, sich mit Deutschland oder der ganzen der Europäischen Union in eine Art Isolation zu begeben, mit einer Agrarpolitik, die sich nur noch auf sich selbst bezieht und den internationalen Fokus nicht mehr berücksichtigt. Das wäre auch töricht. Dass wir im Moment einen halbwegs auskömmlichen Milchpreis haben, liegt vor allem an den Käseexporten und nicht etwa an der Binnennachfrage.

Ich werde in Brüssel mit der Maßgabe antreten, das Geld für die Landwirtschaft selbst zu verdienen - einmal mit ihren Produkten am Markt und einmal über gesellschaftliche Leistungen, die über die Direktzahlungen vergütet werden. Dafür müssen diese Direktzahlungen auf einem entsprechenden Niveau gehalten werden. Beide Teile addiert müssen ein ausreichendes Einkommen für mittelständische bäuerliche Familien ergeben, das ist für mich ein Grundprinzip, nach dem die EU-Agrarpolitik ausgerichtet werden sollte.

Außerdem halte ich viel davon, über die zweite Säule besondere Verzichtsleistungen in sensiblen Bereichen zu honorieren oder beispielweise dort die Umstellung auf die auch von mir für vernünftig gehaltene ökologische Wirtschaftsweise zu fördern. Zudem erwarte ich, dass die EU ein Sicherungsnetz bereithält, mit dem extreme Marktschwankungen aufgefangen werden oder zum Beispiel unschuldig in einen Seuchenzug geratene Tierhalter unterstützt werden können.

Mit Blick auf den demografischen Wandel ist mir nicht zuletzt wichtig, in der zweiten Säule Maßnahmen zur Entwicklung unserer ländlichen Räume zu erhalten. Apropos demografischer Wandel: Welchen Rat geben Sie jungen Landwirten?

Ich habe das Gefühl, dass sich Bauern früher stärker in den kommunalen Vertretungen engagiert haben. Als ich 1979 in die Agrarpolitik kam, prägten in den Dörfern die Landwirte das Ehrenamt. Es ist bedauerlich, dass die immer stärkere Ökonomisierung den Junglandwirten weniger Zeit lässt, sich in die Gesellschaft einzubringen. Das ist nicht gut, denn mit jedem Landwirt, der sich aus den Entscheidungsgremien im ländlichen Raum zurückzieht, gibt es auch einen Fürsprecher weniger für landwirtschaftliche Interessen. Ich finde, junge Bauern sollten sich engagieren, wo es nur geht, denn es dreht sich ja um ihre ureigensten Interessen, auch in Hinblick auf die Attraktivität der Dörfer. Dafür gibt es hier in diesem Haus, das habe ich in den ersten Tagen gespürt, viele Partner, die dabei helfen wollen.

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