Für die Agrarpolitik nach 2013 werden den Landwirten in der Europäischen Union Reformen nicht ganz erspart bleiben. Das ist am Dienstag beim Besuch des neuen EU-Agrarkommissars Dacian Cioloş im Ernährungsausschuss des Deutschen Bundestages deutlich geworden.
"Wir müssen die Methode der Mittelverteilung überprüfen", sagte Cioloş mit Blick auf die Berechnung der Direktzahlungen in der Europäischen Union. Er sprach sich dagegen aus, die Betriebsprämien auch weiterhin auf Grundlage historischer Produktionshöhen zu verteilen, wie es einige EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich weiter tun wollen, nicht aber das in die volle Entkopplung gleitende Deutschland.
Produktionshöhen dürfen die Direktzahlungen nicht länger bestimmen
Solche historischen Bezüge der Direktzahlungen seien nicht mehr zu rechtfertigen und spielten für die Gesellschaft keine Rolle mehr. Als künftige Kriterien für die Verteilung der Direktzahlungen forderte der Kommissar demgegenüber "Transparenz und Klarheit". Dem Rumänen, der einen Großteil seines Agrarstudiums in Frankreich absolvierte, geht es nach eigenem Bekunden aber nicht um eine Umverteilung zwischen Staaten um der Umverteilung willen, sondern um mehr Gerechtigkeit. In der Europäischen Union ist seitens der 2004 und 2007 der Gemeinschaft beigetretenen Staaten der Ruf nach einer Angleichung der Direktzahlungen für die Landwirte laut geworden.
Gegen Quoten und kontrollierte Preise
Nicht mehr benutzt sehen will Cioloş "die alten Marktmechanismen", zu denen er kontrollierte Preise und Quotenvorgaben zählt. Stattdessen will er "moderne Marktinstrumente" und dafür auch die Akteure in der Produktionskette stärken, so die Branchenorganisationen. An ein Muster der Vertragslandwirtschaft nach französischem Vorbild denke er dabei nicht unbedingt, betonte der Rumäne auf Nachfrage.
Die "neuen Mechanismen" müssten den Markt respektieren und dürften in diesen nicht dauerhaft eingreifen, sondern müssten vielmehr Krisen bekämpfen oder diese auch abwenden. Keine Illusionen ließ der Rumäne den Abgeordneten über die Verteilungskämpfe, die der Landwirtschaft insgesamt in Brüssel angesichts der knappen Kassen in den öffentlichen Haushalten drohen.
Angesichts dieses Szenarios wirbt der neue Kommissar für einen hohen gesellschaftspolitischen Stellenwert des Agrarsektors, von dem sich dann auch seine haushaltspolitische Bedeutung ableiten soll. In diesem Sinne will er auch eine öffentliche Konsultation in diesem Frühjahr verstanden wissen, die im Juli in eine große agrarpolitische Konferenz münden soll, bevor die Kommission am Jahresende ihre Vorstellungen für die Agrarpolitik nach 2013 offiziell präsentieren will.
Zweite Säule ist wichtige Hilfe zur Modernisierung und Produktionsanpassung
Die Rolle der Landwirtschaft im Spannungsfeld von Erwartungen an Versorgungssicherheit einerseits und Umweltschutz andererseits fasste Cioloş so zusammen: "Wir müssen mit weniger mehr produzieren". Die Zweite Säule ist für ihn vor diesem Hintergrund eine wichtige Hilfe zur Modernisierung und Produktionsanpassung sowie zur Umsetzung von Innovationen auf den Betrieben.
Die Erste Säule garantiere demgegenüber eine gewisse Mindeststabilität der Einkommen. Beide Säulen ergänzten sich und dabei soll es Cioloş zufolge auch bleiben. Erwartungsgemäß eine Absage erteilte der ehemalige Landwirtschaftsminister Rumäniens einer Renationalisierung der EU-Agrarpolitik: "Das wäre keine gute Lösung, denn wir haben den Binnenmarkt."
Agrarministerin Ilse Aigner: Versorgungssicherheit ist Grundlage
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner sagte Cioloş beim ersten bilateralen Zusammentreffen der beiden Politiker in Berlin eine intensive und konstruktive Zusammenarbeit zu. "Die künftige Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik und die finanziellen Möglichkeiten für eine Politik im Interesse von Verbrauchern, Erzeugern und ländlicher Bevölkerung werden für uns die großen Herausforderungen der nächsten Monate sein. Wir wollen diese gemeinsam angehen", sagte Aigner. Einig sieht sie sich mit dem Kommissar unter anderem darin, dass die Vielseitigkeit der europäischen Landwirtschaft als Basis der Versorgungssicherheit auch in Zukunft angemessen zu berücksichtigen sei.
CDU/CSU-Bundestagsfraktionssprecher Peter Bleser: Vorstellung der multifunktionalen Landwirtschaft diskutieren
Ein hohes Maß an Übereinstimmung zur Ausgestaltung der EU-Agrarpolitik nach 2013 erkennt der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Bleser, zwischen den Vorstellungen des neuen EU-Agrarkommissars und den Überzeugungen der Unionsfraktion. Die sichere Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Lebensmitteln und die Sicherung eines angemessenen Einkommens für die Landwirte seien keine Aufgaben aus vergangenen Zeiten, sondern zentraler Auftrag für eine zukünftige Agrarpolitik. "Wir werden unsere Vorstellung der multifunktionalen Landwirtschaft in den nächsten Wochen nachdrücklich in die Diskussion in Brüssel einbringen", hob Bleser hervor.
DRV-Präsident Gerd Sonnleitner: Will Modulation abgeschaffen
Neben den politischen Gesprächen stand für Cioloş auch der Besuch der LSV Landwirtschafts-GmbH Vehlefanz nördlich von Berlin auf dem Programm. Dort gehörten der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Gerd Sonnleitner, und der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), Manfred Nüssel, zu den Gesprächspartnern des EU-Agrarkommissars.
Nüssel erneuerte bei dieser Gelegenheit die Kritik an der zusätzlichen Kürzung der Direktzahlungen für Großbetriebe, wie sie im "Gesundheitscheck" der EU-Agrarpolitik Ende 2008 durchgesetzt worden war. Künftig muss nach Ansicht des DRV die Modulation als Umschichtung von der Ersten in die Zweite Säule komplett abgeschafft werden.
"Vielmehr brauchen wir eine klare politische Entscheidung über die finanzielle Ausstattung der Ersten und Zweiten Säule, wobei die Erste Säule weiterhin eindeutige Priorität haben muss", verlangte Nüssel. Nach seiner Auffassung sind die Marktordnungen als Sicherheitsnetze weiterhin erforderlich. Gerade auf dem Milchmarkt habe das Jahr 2009 deutlich gezeigt, dass solche Instrumente auch für die vermarktenden Genossenschaften unabdingbar seien. Es ist wichtig, dass die EU-Kommission solche Sicherheitsnetze zur Verfügung stellt und ausreichend finanziell ausstattet, unterstrich der DRV-Präsident. (AgE)
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