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Jäger vor Gericht

Prozess nach Erntejagd: Verstoß gegen Tierschutzgesetz oder Wilderei?

Mit der Auffassung des Gerichts sind die Pächter nicht zufrieden.
am Mittwoch, 19.10.2022 - 09:53 (Jetzt kommentieren)

Nach einer Erntejagd schoss ein revierfremder Jäger flüchtige Wildschweine in einem Neubaugebiet. Für das Gericht ein schwerer Spagat: Ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz? Wilderei?

Am vergangenen Mittwoch musste sich ein Jäger in Zerbst (Sachsen-Anhalt) vor dem Amtsgericht verantworten. Die Vorwürfe wogen schwer: Verstoß gegen das Tierschutzgesetz und Jagdwilderei. Was war geschehen?

Der Angeklagte, ein Jäger, wurde im vergangenen Jahr angerufen, weil eine Rotte Wildschweine durch ein Wohngebiet und die dazugehörigen Gärten zog. „Das waren etwa zehn Tiere“, teilte Frank Straube, der Pressesprecher des Gerichts, mit. „Zum Teil hatten sich die Tiere in Zäunen verfangen und waren teils schon verletzt.“ Straube weiter: „Man konnte den zuständigen Jagdpächter nicht erreichen. Deshalb wurde der Angeklagte kontaktiert.“ Einer der Pächter des Reviers sieht das anders: „Wir saßen 500 Meter entfernt an einem Maisschlag, die Polizei hat unsere Nummern, aber uns hat niemand kontaktiert.“

Jäger erschießt Wildschweine mit Pistole im Wohngebiet

Indes sah sich der Angeklagte die Situation an, überlegte und handelte schließlich – so der Pressesprecher. „Er hat dann mit der Pistole die Tiere im Wohngebiet erlegt.“ Währenddessen war die Erntejagd der Pächter zu Ende, man stand beisammen und erzählte, so der Pächter. „Plötzlich hat man Schüsse aus dem Wohngebiet gehört. Wir konnten das nicht zuordnen und dachten es sind vielleicht Handwerker mit einem Nagelapparat beim Hausbau zugange.“ Die Folge: Die Jäger taten die Schüsse als Baulärm ab.

Pächter wussten nichts vom Abschuss der Wildschweine

Doch mit dem Verhallen der Schüsse war noch nicht Schluss. „Er hat sich die Tiere danach angeeignet“, erklärte Straube gegenüber der „PIRSCH“-Redaktion. Davon erfahren haben die Pächter des Reviers nach eigenen Angaben durch blanken Zufall.

„Ein Bekannter saß einige Wochen später bei mir auf der Gartenbank und hat gefragt, was aus den Schweinen im Neubaugebiet geworden ist“, äußerte sich ein Pächter gegenüber der „PIRSCH“-Redaktion. „Da war ich erstmal stutzig. Ich wusste ja von nichts. Dann hat mein Bekannter die Geschichte erzählt.“

Jäger muss sich wegen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz verantworten

Daraufhin horchten sich die fünf Pächter um und stellten den Angeklagten zur Rede. „Er hat das einfach abgetan und war nicht bereit, uns zu entschädigen.“ Von selbst soll der Angeklagte sich nicht gemeldet haben, so die Pächter. Aufgrund des Unwillens des Angeklagten wurden sie aktiv: „Wir haben das dann angezeigt. Es gab ja auch Beweismaterial.“ Darunter Fotos und Videos - aufgenommen von Anwohnern.

Jetzt, gut ein Jahr später, stand der Mann vor Gericht. „Er musste sich dann wegen des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz verantworten“, teilte Straube mit. Im Fokus stand dabei der Aspekt, dass kein Wirbeltier ohne triftigen Grund getötet werden darf. Außerdem lag der Fokus auf der Jagdwilderei. „Vor Gericht wurden zahlreiche Zeugen vernommen.“

Streit zwischen Jäger und Pächter: Angeklagter sei kein Retter in der Not

Zu einem Ergebnis kam das Amtsgericht in den späten Nachmittagsstunden: „Den Verstoß gegen das Tierschutzgesetz hat man nicht gesehen. Ursache dafür war die Gefahr im Verzug und die Gefahrenlage für Anwohner“, teilte der Pressesprecher mit.

Hier kommen die Pächter zu einem anderen Schluss – eine Gefahr sei nicht gegeben gewesen. Es habe sich vor allem um Frischlinge gehandelt – mit etwa 20 Kilogramm Gewicht. „Man hätte uns rufen sollen, etwas Ruhe einkehren lassen sollen und die Gartenzäune öffnen sollen“, teilte einer der Pächter gegenüber der Redaktion mit. „Schießen in einem Wohngebiet – das läuft nicht“, urteilt einer der Pächter, der selbst in dem Ort wohnt. „Dass die Schüsse aus dem Revolver wie ein Fangschuss bewertet wurden – das ist unglaublich. Die Tiere waren nicht verletzt oder krank.“ Der Eindruck eines Pächters: „Das Gericht hat den Angeklagten als einen Retter in der Not gesehen.“ Das Schießen im Wohngebiet sei im Prozess laut einem Anwesenden Pächter nicht thematisiert worden. „Da ist uns die Kinnlade runtergefallen.“

Jäger wurde der Jagdwilderei schuldig gesprochen

Allerdings: „Der Angeklagte wurde der Jagdwilderei schuldig gesprochen“, teilt der Pressesprecher des Gerichts mit. Gegen ihn wurde eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 45 Euro – also insgesamt 1800 Euro - verhängt.

Weiterhin stand der Entzug der Waffenberechtigung im Raum. „Das erfordert aber eine negative Prognose. Quasi, ob eine Wiederholungsgefahr gegeben ist“, führt Straube aus. „Von Seiten des Gerichts war eine solche Gefahr nicht gegeben. Deshalb gab es keine waffenrechtliche Sanktion.“ Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Wie es weitergeht? Unklar, denn möglicherweise legen Staatsanwaltschaft oder aber der Angeklagte Berufung ein. Bei den Pächtern des Reviers kommt die Auffassung des Gerichts nicht gut an: „Wir sind enttäuscht.“

Mit Material von PIRSCH

Der Beitrag „Prozess gegen Jäger: Retter in der Not oder Wilderer? “ ist zuerst erschienen bei PIRSCH.

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