Zu einem ungewöhnlichen und verzweifelten Mittel griff am Dienstag, dem 4. Mai 2021, Schäfermeister Ingo Stoll: Er fuhr mit vier vom Wolf gerissenen Schafen in die Stralsunder Innenstadt und lud die Tiere in der Fußgängerzone auf einer Plane ab. Sein Ziel: Er wollte bei der Stadtbevölkerung Aufmerksamkeit für die Sorgen der Weidetierhalter in seiner Region erregen.
„Die meisten Menschen interessieren sich nicht für die Probleme, die Wölfe uns Schafhaltern verursachen. Die Leute, die meinen, hier im Land ist noch Platz für viel mehr Wölfe, sollten sich die geschundenen Schafe ansehen. Vielleicht gibt es dann ein Umdenken", sagte Stoll gegenüber der Bauernzeitung.
Schäfermeister Ingo Stoll: 20 verlorene Tiere in nur 12 Monaten
20 Schafe hat der Schäfer bei vier Wolfsübergriffen in den letzten 12 Monaten verloren. Die Tiere, die er jetzt nach Stralsund brachte, waren Zuchtböcke, die am vergangenen Wochenende dem Wolf zum Opfer fielen (das endgültige Rissgutachten liegt noch nicht vor; vorherige Angriffe auf Stolls Herden wurden aber eindeutig dem Wolf zugeschrieben). Drei weitere Böcke wurden schwer verletzt, zwei vermisst Stoll seit der Attacke.
Für Stoll und seine Weidetierhalterkollegen ist die rasante Zunahme der Wolfsbestände in Mecklenburg-Vorpommern ein unhaltbarer Zustand. Allein zwischen den Erfassungsjahren 2018/19 und 2019/20 hat die Zahl der Wölfe in dem nordöstlichen Bundesland um rund 50 Prozent zugenommen. Die Anzahl der erfassten Rudel stieg von fünf auf acht.
Passanten zeigten Verständnis für die Aktion des Schäfers
Für Stoll, der seit mehr als 40 Jahren mit seinen Schafen in der Gegend um Grimmen, südlich von Stralsund, Landschaftspflege betreibt, ist die Situation mittlerweile unerträglich. Er fordert sowohl eine Bestandskontrolle in der Wolfspopulation als auch eine zügigere Schadensabwicklung und Fördermittelgenehmigung.
Die Aktion des Schäfermeisters erregte Aufmerksamkeit in Stralsund. Passanten waren bestürzt, zeigten aber durchaus Verständnis. Nach wenigen Minuten wurde Stoll mit seinen toten Tieren von der Polizei des Platzes verwiesen.
Landesbauernverband fordert Maßnahmen
Mittlerweile meldete sich auch der Landesbauernverband zu Wort: „Die Protestaktion von Ingo Stoll in Stralsund zeigt, wie stark sich die Weidetierhalter in Mecklenburg-Vorpommern durch den Wolf emotional und finanziell unter Druck gesetzt sehen“, erklärte Bauernpräsident Detlef Kurreck in einer Pressemitteilung. „Sie verlieren bei Wolfsrissen ihre Tiere und müssen gleichzeitig erkennen, dass ihre Investitionen in Schutzmaßnahmen wirkungslos bleiben.“
Die Aktion in Stralsund mache auf die Dringlichkeit der Wolfsproblematik aufmerksam. Es sei höchste Zeit, zu handeln, fordert der Kurreck. „Einerseits muss der Wolfsbestand reguliert werden. Andererseits müssen Aufwand und Kosten des Herdenschutzes finanziell angemessen unterstützt werden.“
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