Zwickt’s im Rücken? Sitzt die Frisur nicht? Hat Ihr Hund eine Katzenallergie oder braucht Ihr Goldfisch eine Feuchtigkeitscreme? Kein Problem, beim Drogisten Ihres Vertrauens hilft man Ihnen gern weiter.
Aber passen Sie bloß auf, greifen Sie nicht zu "Chemie"! Die ist böse. „Nur Natur pur!“, lautet das neue Mantra, mit dem vor allem Kosmetik-, Nahrungszusatz- und Heilmittelanbieter mittlerweile so richtig Kohle scheffeln.
Hier rührt der Häuptling persönlich
In gefühlt jedem zweiten TV-Spot suggeriert man uns: Vertrauen Sie ausschließlich auf Kräutlein, die schon die Hexen und Schamanen der Völker in grauer Vorzeit besungen und umtanzt haben. Denn wenn es angeblich den Kupferkesseln der Maya (oder irgendeiner anderen Ethnie mit klangvollem Namen) entstammt, ist nicht nur jedes billige Klischee über indigene Völker recht. Nein, dann muss es einfach besser sein als alles, was die moderne Medizin je entwickelt hat.
Dabei ist unerheblich, dass die "rein natürliche" Kräutersalbe im selbem Labor und aus den den gleichen Grundsubstanzen zusammengerührt wird wie ihre konventionelle Konkurrenz vom selben Hersteller. Oder glauben Sie wirklich, der Häuptling im Werbespot sammelt speziell für Ihren Rücken Kräutlein und mixt die Salbe in Kleinstmengen im hauseigenen Wigwam?
Kampf gegen Krebs, Corona und Kinderkrankheiten
Aber mit dem Label "Natur" lässt sich heutzutage fast alles besser verkaufen. Un das, obwohl wir dank Medizinforschung und modernen Wirkstoffen aus dem Chemielabor heute gut doppelt so alt wie unsere Vorfahren vor 150 Jahren werden. Seit Beginn flächendeckender Impfprogramme raffen Kinderkrankheiten endlich nicht mehr ganze vorpubertäre Generationen dahin und auch viele andere Leiden haben ihren Schrecken verloren.
Und nicht zuletzt hoffen die meisten von uns gerade darauf, dass ein gentechnisch erzeugter Impfstoff uns wieder Wochenendausflüge, Rockkonzerte und regelmäßige Verwandtenbesuche ermöglicht (na gut ... Letzteres vielleicht nicht in jedem Falle).
Hinweg mit aller Forschung?
Doch trotz dieser Entwicklung verorten nicht alle unsere Zukunft in Wissenschaft und Forschung.
Demeter zum Beispiel hat da ganz andere Vorstellungen. Der Ökoanbauverband mit der Lizenz zum Vollmondgrubbern hat kürzlich auf seiner Website eine interessante Zukunftsvision veröffentlicht. Der Blick in die anthroposophische Glaskugel las sich unter anderem folgendermaßen:
„[...] die Zeit, in der klug genannte Köpfe ihren Geist blitzen ließen, gefolgt von Taten, die angeblich Bahnen brachen, war zum Glück vorbei. Das Zeitalter zerstörerischer Geisteseliten war überwunden. Es folgte das Zeitalter des Vertrauens, [...] ohne Forschung und, ganz wichtig, ohne Kontrolle. [...] Die Absage an jede Kontrolle brachte ganze Industrien zum Erliegen – zum Glück: Wo nichts produziert wurde, wurden auch keine Ressourcen vernichtet.“
Ohne Forschung und ohne Kontrolle. Aha.
Demeter rudert flugs zurück: Alles nur ein "Witz"!
Dieses Geschwurbel war wohl selbst eingefleischten Esoterik-Fans zu dicke. Demeter erntete im Netz Hohn und Spott – und ordentlich Wut, denn so mancher sah die bedenklichen Parallelen zwischen „Querdenkern“ und Verschwörungstheoretikern verschiedener Couleur und einem Verband, der sich gern als Zukunft unserer Landwirtschaft präsentiert.
Demeter hat den umstrittenen Text inzwischen gelöscht. Man habe weder die Abschaffung aller Kontrollen noch der Forschung fordern wollen. Ein reines Gedankenspiel sei das gewesen. „Wir bedauern, dass der Witz der Geschichte auf Twitter nicht recht ankam [...].“
Bei manchem „Witz“ bleibt einem unter der Corona-Maske nun mal das Lachen im Hals stecken.
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