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Stalleinsteiger-Video: NDR entschuldigt sich für mangelnde Recherche

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am Donnerstag, 10.09.2020 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Das NDR-Format "Panorama" entschuldigt sich für die unzureichende Recherche zu einer Sendung, in der Stalleinsteiger-Videos des Deutschen Tierschutzbüros verwendet wurden. Man habe die Bilder zu wenig hinterfragt. Bleibt die Frage: Welche Konsequenzen ziehen Sender und Redaktion? Ein Kommentar.

Eine TV-Redaktion hat sich für einen Bericht über einen Landwirtschaftsbetrieb entschuldigt. Nicht nur oberflächlich und leicht zu übersehen, wie es bei Richtigstellungen in Medien oft der Fall ist, sondern ganz ausführlich und mit genauer Beleuchtung der Hintergründe.

Für die Betroffenen mag diese Entschuldigung zu spät kommen. Der Imageschaden durch die Berichterstattung ist schon geschehen. Und irgendwas bleibt ja immer hängen. Aber trotzdem ist diese Stellungnahme etwas Besonderes. Auch, weil sie zeigt, dass Gegenwehr gegen ungerechtfertigte Vorwürfe doch möglich ist.

Videos vom Deutschen Tierschutzbüro

Was war geschehen? Am 23. Juni 2020 hatte die NDR-Sendung Panorama 3 unter dem Titel "Getreten und geschlagen – Tierquälerei in einem Milchbetrieb?" über einen Betrieb in Schleswig-Holstein berichtet. Mit heimlich aufgenommenem Videomaterial des Deutschen Tierschutzbüros meinte man belegen zu können, dass in besagtem Betrieb Kühe systematisch geschlagen und gequält werden. Aufnahmen geschwollener und offener Gelenke sollten zudem beweisen, dass kranke und verletzte Tiere nicht behandelt werden. Ein "anonymer Zeuge" bestätigte die tierschutzrelevanten Verhältnisse auf dem Hof. Der Betrieb und die Landwirtefamilie waren als Tierquäler bloßgestellt.

Bis hierhin nichts Ungewöhnliches. Mit solchen Berichten lässt sich gut Quote machen. Das weiß die Panorama-Redaktion und das weiß auch das Deutsche Tierschutzbüro. Auch die nachfolgenden Proteste aus Landwirtekreisen kamen nicht unerwartet. Nur ließen sich die kritischen Stimmen diesmal einfach nicht abwimmeln.

Proteste aus den Landesbauernverbänden

Heike Müller beispielweise, stellvertretende Bauernpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, wandte sich in ihrer Funktion als Mitglied im NDR-Rundfunkrat gemeinsam mit den schleswig-holsteinischen Verbandskollegen an den Chefredakteur vom Programmbereich Zeitgeschehen beim NDR. Und ließ nicht locker, bis eine Reaktion erfolgte.

Gestern nun veröffentlichte ndr.de ein Statement von Panorama 3. Man habe weitere Bewerter zum Fall hinzugezogen und ausführlich mit dem Landwirt telefoniert. Ergebnis: "Das Bild, das der Beitrag gezeichnet hatte, ist unvollständig. Das tut uns leid und dafür bitten wir um Entschuldigung." Das Video der Sendung wurde aus der Mediathek entfernt.

Veterinäre waren die ganze Zeit hinzugezogen

In den vergangenen Wochen hatte die Redaktion mit dem Amtsveterinär und der bestandsbetreuenden Tierärztin gesprochen. Auch auf dem Hof selbst hatte Panorama 3 sich inzwischen umgesehen. Dabei zeigte sich, dass die angeblich unbehandelten Kühe mit Verletzungen in veterinärmedizinischer Betreuung waren. Tierarztrechnungen belegten eine regelmäßige Kontrolle. Die Lahmheitsrate in der Herde entsprach einem normalen Durchschnitt. Insgesamt machten die Tiere einen gesunden und fitten Eindruck und verhielten sich Menschen gegenüber weder ängstlich noch aggressiv, was deutlich gegen eine rohe Behandlung spricht.

Die Bilder sind echt, aber nur Momentaufnahmen

Der Landwirt und sein Sohn räumten im Gespräch ein, dass die Tierschutzbüro-Aufnahmen tatsächlich von ihrem Betrieb stammen. Tatsächlich seien Kühe mit Faust und Mistschieberstiel gestoßen worden. Das sei falsch gewesen und werde nicht mehr vorkommen.

Wer sich allerdings mit Kühen auskennt, weiß, dass es manchmal nicht einfach ist, sich gegen ein paar Hundert Kilo bovine Sturheit durchzusetzen. Diskutieren hilft da nicht weiter. Das soll keinerlei Brutalität rechtfertigen, aber erklärt vielleicht, wie auch in einem sehr gut geführten Bestand solche Momentaufnahmen aus wochenlangen heimlichen Mitschnitten entstehen können. 

Fest steht: Dass eine Kuh von einem Faustschlag oder einem Stoß mit einem Besenstiel einen Schaden nimmt, ist höchst unwahrscheinlich. Untereinander klären die Tiere ihre Rangordnung auf ähnliche Weise, aber mit deutlich mehr Kraft.

Späte Einsicht der Redaktion

In ihrem Statement erklärt die Panorama 3-Redaktion abschließend, in diesem Fall nicht genau genug gearbeitet zu haben. "Der Beitrag war unvollständig und hat so einen falschen Eindruck erwecken können. Wir nehmen diese Erfahrung zum Anlass, unsere internen Abläufe weiter zu überarbeiten. Wir hoffen mit dieser Aufarbeitung auch verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen."

Für die diskreditierte Landwirtsfamilie kommt diese Einsicht – wie gesagt – reichlich spät. Der Film hat die Runde gemacht. Trotzdem: Das ausführliche Statement der Panorama-Redaktion nötigt mir großen Respekt ab. Denn leider ist sowas auch in der seriösen Presselandschaft nicht selbstverständlich (sollte es aber sein!).

Mehr Misstrauen gegenüber Video-Dealern

Bleibt zu hoffen, dass Redaktion und Sender beim nächsten Mal ein bisschen misstrauischer sind, wenn ihnen wieder einmal heimlich gedrehte Stallvideos angeboten werden. Für das Deutsche Tierschutzbüro ist diese Video-Dealerei nämlich inzwischen längst zum Geschäftsmodell geworden. Jede Nennung im Zusammenhang mit angeblichen Tierschutzskandalen ist für die NGO bares Spendergeld wert.

Das lässt sich nur unterbinden, wenn die Redaktionen scheinbar brisantes Material nicht mehr einfach dankend annehmen und ohne sorgfältige Recherche in ihre Sendungen einbauen. Der Schaden, der auf diese Weise angerichtet wird, lässt sich im Nachhinein schwer wieder gut machen.

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