Studie: Warum Landwirte öfter an Burnout und Depression erkranken

Landwirte und Landwirtinnen erkranken sehr viel häufiger an Depressionen oder Burnout als der Durchschnitt. Zu diesem Ergebnis kommt die Psychologin Maria Roth. Die Gründe rütteln auf.

Zum ersten Mal wurde die psychische Situation von Landwirten und Landwirtinnen in Deutschland wissenschaftlich untersucht. Die Ergebnisse von Maria Roths Masterarbeit im Studienfach Psychologie sind alarmierend. Wie sich herausstellte, sind Landwirte und Landwirtinnen sehr viel häufiger von Depressionen, Angstzuständen und Burnout betroffen als die deutsche Durchschnittsbevölkerung. Damit stellt sich die Situation der deutschen Landwirte ähnlich dar wie die ihrer Kollegen und Kolleginnen weltweit.
Risiko für Burnout, Angst und Depression höher
In Deutschland sind 4,5-mal so viele Landwirtinnen und Landwirte von Burnout betroffen wie Angehörige der Allgemeinbevölkerung. Mehr als doppelt so viele Landwirtinnen und Landwirte (2,2-mal) sind an Angst erkrankt. Und die Rate für Depression liegt bei den Landwirtinnen und Landwirten dreimal höher als in der Allgemeinbevölkerung.
Maria Roth fasst zusammen: „Berücksichtigt man alle Variablen, zeigt sich, dass nur 54 Prozent der Landwirte keine der drei Diagnosen erfüllen und als gesund einzustufen sind. Dementsprechend ist fast die Hälfte aller Landwirte psychisch schwer belastet. Damit hat sich meine Hypothese bestätigt: Das Risiko für Landwirte, an Depression, Angst oder Burnout zu erkranken, ist höher als in der Allgemeinbevölkerung.“
Die Gründe für die Erkrankung
Die junge Psychologin, die selbst von einem Bauernhof stammt, hatte mit auffallend hohen Zahlen gerechnet, nicht aber mit den Begründungen. „Das sind nicht etwa die viele Arbeit, das frühe Aufstehen, die Sorge um die Tiere, kaum Urlaub und dergleichen, sondern die komplexe Bürokratie, die Darstellung der Landwirtschaft in den Medien, die Beschlüsse der Agrarpolitik und das Ansehen des Berufes in der Gesellschaft. Die machen ihre Arbeit gerne. Es sind die Bedingungen drumherum. Die schaffen die Belastung. Und das ist richtig schade.“
Landwirte fühlen sich oft missverstanden
Ihrer Einschätzung zufolge braucht es passende Unterstützungsangebote, damit auch Beratung und Hilfe durch Nicht-Landwirte von den Betroffenen akzeptiert werde. Ihrer Beobachtung nach würden sich Landwirtinnen und Landwirte von Beratern häufig missverstanden fühlen. „Ich habe oft den Eindruck, du musst aus der Landwirtschaft kommen, sonst denken die Landwirte ‚keiner versteht, wie es mir geht‘. Wenn man sich nicht verstanden fühlt, lässt man sich nicht helfen.“
Und letztlich geht es auch um einen Prozess bei den Betroffenen selbst. „Sie wollen sich oft nicht eingestehen, dass es ihnen so schlecht geht.“ Es gelte, „ein Bewusstsein zu schaffen, dass man sich Hilfe suchen darf.“
Über 3.800 Studienteilnehmer
Maria Roth ahnte, dass sie einem brisanten Thema auf der Spur war, weshalb sie belastbares Datenmaterial gewinnen wollte. „Im Schnitt hat man bei einer Masterarbeit um die 50 Interviewpartner. In meinem Fall hätte ich eine Teilnehmerzahl von mindestens 380 gebraucht, um eine statistisch erfassbare Aussage treffen zu können.“
Auswerten musste sie dann aber sehr viel mehr Antworten. Dass sie schließlich 3831 ausgefüllte Bögen zurückgeschickt bekam, hat sie überwältigt. „Die Umfrage hat einen Nerv getroffen.“ Rund 300 Landwirtinnen und Landwirte wandten sich außerdem per E-Mail persönlich an die Psychologin. „Die Leute haben zehn Minuten lang Fragen beantwortet. Davon hatten sie gar nichts. Da muss man schon Interesse mitbringen. Also ein unbelasteter Landwirt hat da vermutlich gar nicht mitgemacht.“
Aufwühlende Berichte von Betroffenen
Was ihr dabei geschildert wurde, „ging alles in die gleiche Richtung“, sagt sie. „Die Landwirte haben geschrieben, dass sie sich nicht mehr heraussehen, dass sie keine Perspektive mehr haben, keine Lebensqualität, einfach nur noch funktionieren.“
Junge Leute, die kurz vor der Hofübernahme stünden und dies auch wollten, hätten ihre „brutale Angst“ davor beschrieben, „weil sie nicht wissen, wie es gehen kann, weil alle Auflagen und Bedingungen schlechter und strenger werden, weil es nur eine Frage der Zeit ist, wann es wieder schlechter wird.“
Sehr oft hätten die Befragten thematisiert, dass sie für gesamtgesellschaftliche Themen wie Methanausstoß, Glyphosat, Klimawandel, Boden- und Luftverschmutzung zum Sündenbock gemacht würden und sie dies sehr belaste.
Einzelne schockierende Schilderungen haben sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, wie die von dem Landwirt, der in seinem Stadel jeden Tag zu den Balken hochblickt und sich fragt, wann er dort wohl hängen wird (siehe Kasten unten zu Hilfsangeboten bei Suizidgedanken).
Oder der Landwirt, bei dem jedes unbekannte Auto, das auf den Hof fährt, eine Panikattacke auslöst, weil er fürchtet, dass eine Kontrolle kommt und ihm der Hof zugesperrt wird. So erschütternd einzelne Erzählungen waren, Maria Roth und ihr Bruder, der aktive Landwirt, erleben den Alltag der Landwirte genau so wie beschrieben.
Weitere Forschung ist nötig
Maria Roth arbeitet mittlerweile als Psychologin an einer bayerischen Klinik. Ihre Forschung belegt, dass das Berufsbild Landwirtschaft mit hohen Anforderungen an die psychische Gesundheit verknüpft ist und eine hohe Belastung mit sich bringt, an Depression, Angst und Burnout zu erkranken. Die Distanz zwischen Landwirten und Konsumenten wächst. In Industrienationen sind nur noch rund 2,5 Prozent aller Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. „Als Produzenten unserer Lebensmittel nehmen Landwirte aber eine wichtige, ja grundlegende Stellung in unserer Gesellschaft ein.“ Aus Roths Sicht sind weitere Forschungen dringend vonnöten.
Die Studie in Zahlen
- Burnout:
6% der Allgemeinbevölkerung
27% der Landwirte/-innen
- Angst:
15% der Allgemeinbevölkerung
33% der Landwirte/-innen
- Depression:
8% der Allgemeinbevölkerung
24% der Landwirte/-innen
Krisenhotline und Telefonseelsorge
Sie haben Stress auf Ihrem Betrieb oder Ärger mit der Familie? Sie plagen Zukunftssorgen oder Sie wissen aus anderen Gründen nicht mehr weiter? Kontaktieren Sie bitte die Krisenhotline der SVLFG. Ein Team aus Psychologen und psychiatrischen Fachpflegekräften steht Ihnen rund um die Uhr an 7 Tagen die Woche telefonisch beratend und anonym zur Seite. Sie erreichen die SVLFG Krisenhotline unter 0561 785 – 10101.
Weitere Informationen zu Hilfsangeboten finden Landwirte unter https://www.svlfg.de/krisenhotline.
Wenn Sie oder Menschen, die Sie kennen Hilfe brauchen und/oder von Suizidgedanken betroffen sind, kontaktieren Sie die Telefonseelsorge (telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.
Hilfsangebote gibt es auch für Landwirte in Österreich und der Schweiz. Das österreichische bäuerliche Sorgentelefon ist von Montag bis Freitag von 8.30 Uhr bis 12.30 Uhr unter 0810-67 68 10 zu erreichen. In der Schweiz hilft das bäuerliche Sorgentelefon montags von 8.15 bis 12 Uhr, dienstags von 13 bis 17 Uhr und donnerstags von 18 bis 22 Uhr unter 041 820 02 15.
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