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Kommentar

Verschleiert landwirtschaftliche Sprache die Realität?

Schweinetransport
am Freitag, 02.10.2020 - 13:20 (3 Kommentare)

Die "Zeit" hat sich gestern anlässlich des Weltvegetariertages an der Sprache in der landwirtschaftlichen Tierhaltung abgearbeitet. Was ist dran an den Vorwürfen der Verschleierung realer Verhältnisse? Ein Kommentar.

Eine persönliche Anmerkung zum Einstieg: Ich habe lange überlegt, ob ich mir diesen Kommentar antue. Eigentlich widerspricht er meiner Ansicht, dass Diskussionen mit Ideologen verlorene Liebesmüh' sind. Ich schreibe ihn trotzdem. Vielleicht hilft er dem Einen oder der Anderen in der täglichen Diskussion. Oder wenigstens mir gegen ein drohendes Magengeschwür.

Fachbegriffe und jahrhundertealte Bezeichnungen

Gestern war Weltvegetariertag. Viele Redaktionen haben sich mit fleisch- oder tierproduktfreier Ernährung befasst. Auch die unsrigre.

Die "Zeit" ist das Thema anders angegangen. Dort hat Politikredakteurin Merlind Theile im Beitrag "Alles Lebensmasse" nach eigener Twitter-Aussage "die Sprache der Tiernutzung dekonstruiert". Mit anderen Worten: Sie hat einige Fachbegriffe, aber auch uraltes Sprachgut der landwirtschaftlichen Tierhaltung aufs Korn genommen, um der Branche und ihren Betreibern Empathielosigkeit und Unehrlichkeit nachzuweisen.

Landwirtschaft am Sprachpranger

Um es vorweg zu nehmen: Es geht in Theiles Artikel gar nicht um Sprache, sondern um pure Ideologie. Fachsprache ist schließlich fast immer technokratisch und für die Außenwelt missverständlich. Ebenso hätte die Autorin sich also mit Ausdrücken von Hebammen oder Kinderpsychlogen auseinandersetzen und den Benutzern die Verschleierung unangenehmer Fakten vorwerfen können. Hat sie aber nicht, denn am Ende geht es ihr nur darum, moderne Landwirtschaft und Nahrungsmittelerzeugung an den Pranger zu stellen. Sie hat das nicht zum ersten Mal getan, wie ihre Veröffentlichungsliste auf Zeit-Online verrät.

Trotzdem lohnt es sich, einige Aussagen des Artikels auseinanderzunehmen. Zu "dekonstruieren", wie Theile es nennt.

Esskultur ist menschlich

Zitat Theile: "Einen Unterschied zwischen Mensch und Tier macht die Sprache schon lange. […] Der Mensch isst, das Tier 'frisst'."

Nun ja, diese Unterschiede in der Ausdrucksweise haben ja auch durchaus ihre Gründe. Während ein Tier sich rein instinktiv ernährt, keinen Gedanken an die ethische oder moralische Rechtfertigung seiner Nahrungswahl verschwendet, diskutieren wir Menschen darüber, ob etwas gesund ist, nachhaltig erzeugt wurde, unseren ethischen Grundsätzen entspricht, rechtens erworben und gesetzeskonform produziert wurde. Ich sehe da durchaus einen Unterschied, den man auch sprachlich herausarbeiten darf. Esskultur ist nun einmal menschlich.

Verfahrenstechnische Begriffe sind kein Kommunikationsmittel

Zitat Theile: "Bestandsräumung [ist] die durch die zuständige Behörde beaufsichtigte Tötung von Tieren zum Schutz der Gesundheit von Mensch oder Tier […] Die Fachsprache kennt noch weitere Begriffe zur Umschreibung des Tieretötens […]."

Eine Bestandsräumung ist ein verfahrens- und verwaltungstechnischer Begriff. Er dient, anders als die Autorin durchblicken lässt, nicht dazu, dem Laien gegenüber zu verschleiern, dass hier Tiere notgetötet werden. Er beschreibt lediglich, dass – meist aus Seuchenschutzgründen – ganze Ställe oder Betriebe leergeräumt werden mussten.

Es dürfte übrigens kaum jemanden geben, der unter einer solchen Maßnahme mehr leidet als der betroffene Landwirt selber. Und auch wenn Frau Theile das gern in Abrede stellen möchte: nicht vordergründig wegen des wirtschaftlichen Verlustes (der ist meist versichert), sondern weil kein Bauer seine Tiere, die er meist seit ihrer Geburt betreut und versorgt hat, sinnlos und viel zu früh "beseitigt" sehen möchte. Das zu verstehen nennt man übrigens "Empathie".

Wer veredelt Gras und Getreidechargen ohne Backeignung?

Zitat Theile: „Veredlung […] bedeutet hier, die eigene Getreideernte nicht direkt zu vermarkten, sondern über das Futter in ökonomisch wertvollere Tiere ‚umzuwandeln‘."

Nein, Veredlung bedeutet in erster Linie, Pflanzen und Pflanzenteile, die für den Menschen nicht oder nur sehr eingeschränkt als Nahrung dienen können, über die Verfütterung an Tiere zu „veredeln“, also in wertvolle Nährstoffe (vornehmlich hochwertiges Protein) umzuwandeln.

Über die Qualitätsansprüche an Backweizen und Braugerste oder die Definition von absolutem Grünland können wir gern mal separat diskutieren, Frau Theile. Oder fragen Sie einfach mal einen Landwirt in Ihrer Nähe.

Begriffe aus einer Zeit, als nichts zu "verschleiern" war

Die meisten anderen Begriffe, die Merlind Theile moniert (Nutztier, absetzen, Lebendmasse, Nottötung, Schlachtreife, Schlachtabfälle etc.), entstammen nicht der modernen Landwirtschaft, sondern kommen aus einer Zeit, in der der Mensch überhaupt keine Veranlassung hatte, irgendwelche Fakten über die Tierhaltung- und -tötung zu verschleiern.

Vor wenigen Generationen noch war landwirtschaftliche Tierhaltung dem Menschen nämlich absolut vertraut. Fast überall – auch in den Städten – wurden Tiere gehalten und geschlachtet. Der unterschwellige Vorwurf, Landwirte würden mit diesen Fachtermini, die "beschönigen, herabsetzen, verdinglichen" nur arbeiten, um der Gesellschaft Informationen vorzuenthalten und dem Fleischkonsumenten vorzugaukeln, für sein Steak müsse kein Tier sterben, entbehrt also jeder (auch sprachgeschichtlichen) Grundlage.

Sprache kann tatsächlich ausgrenzen

In einer Sache gebe ich Merlind Theile jedoch recht: Sprache ist durchaus geeignet, um auszugrenzen und herabzusetzen. Dass sie selbst diese Kunst beherrscht, beweist die Autorin in ihrem Beitrag aufs Feinste: "In Zeiten der industriellen Tierhaltung kommt dem eine besondere Bedeutung zu. Denn mit den Mitteln der Sprache lässt sich leichter rechtfertigen, was in den Ställen und Schlachthöfen […] geschieht."

Nun ja, solange nur Menschen verbal diskreditiert werden, ist das vielleicht keinen Zeit-Artikel wert ...

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