In den zuständigen Arbeitsgruppen von CDU/CSU und FDP gibt es zum Teil massive Vorbehalte gegenüber den Vorstellungen des Agrarressorts. Eine Zustimmung der beteiligten Ministerien für Wirtschaft, Forschung, Gesundheit und Umwelt zu den vorliegenden Eckwerten gilt als unwahrscheinlich. Die Ressorts sollen bis Mitte kommender Woche Stellung nehmen.
Als Schritt in die richtige Richtung wertet das Bundeslandwirtschaftsministerium in seinem Papier den sogenannten Opt-out-Vorschlag der EU-Kommission, der den Mitgliedstaaten Entscheidungsfreiheit in der Frage des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen einräumt. Allerdings wird auf mögliche Probleme mit den Vorschriften zum einheitlichen EU-Binnenmarkt sowie internationalen Handelsregelungen der Welthandelsorganisation (WTO) hingewiesen.
Länder sollen von Abstandsregelung abweichen dürfen
Den Bundesländern will das Ministerium von Ilse Aigner ermöglichen, von den geltenden Koexistenzabständen abzuweichen. Dazu soll eine Reihe von Kriterien mit regionalem Bezug festgelegt werden. Genannt werden besondere geografische und klimatische Gegebenheiten der Länder, regionale Betriebsstrukturen und Anbauverfahren. Zur Umsetzung soll eine Ermächtigung der Bundesländer in das Gentechnikgesetz aufgenommen werden. Dies könne ohne Zustimmung des Bundesrates erfolgen, heißt es in dem Papier.
Einheitliche Probenahme- und Messverfahren
Eine praktikablere Ausgestaltung der Nulltoleranzregelung will das Ministerium mit Vorgaben für einheitliche Probenahme- und Messverfahren erreichen. Zudem soll der Umfang von Maßnahmen bei nachgewiesenen gentechnisch veränderten Organismen (GVO) vorgeschrieben werden. Geregelt werden soll dies in einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift. Die Festlegung eines nationalen Duldungsschwellenwerts sei hingegen nicht mit dem EU-Recht vereinbar, so das Ministerium. Bei der angestrebten Prozesskennzeichnung will sich das Ressort in Brüssel für eine Trennung von weißer und grüner Gentechnik einsetzen. Schließlich will das Ministerium eine Abstandsregelung für Kartoffeln treffen. Vorgeschlagen wird ein Koexistenzabstand von 10 m sowie eine zweijährige Anbaupause nach gentechnisch veränderten Sorten.
Inhalt des Papiers 'viel zu defensiv'
Verärgert über das Eckpunktepapier zeigte sich die agrarpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Christel Happach-Kasan. Die Abgeordnete kritisierte, dass die Fraktionen weder in die Erarbeitung der Eckwerte einbezogen noch im Vorfeld über deren genauen Inhalt informiert worden seien. Dies sei umso unverständlicher, als es noch Mitte letzter Woche ein Gespräch mit der Ministerin zu diesem Thema gegeben habe. Den Inhalt des Papiers kritisierte Happach-Kasan als "viel zu defensiv". Er spiegele nicht die Koalitionsvereinbarung wider, in der sich beide Seiten ausdrücklich für die Nutzung der verantwortbaren Potentiale der Grünen Gentechnik ausgesprochen hätten.
Klares Signal notwendig
"Das Eckpunktepapier kann nur dann die Zustimmung der FDP erhalten, wenn es Landwirten, Pflanzenzüchtern, Ernährungswirtschaft und Verbrauchern ein klares Signal zur Nutzung moderner Technologien gibt", betonte die Schleswig-Holsteinerin. Der Einsatz der Biotechnologie sei ethisch vertretbar und ökonomisch sowie ökologisch geboten und somit eine Chance für Deutschland. Die grundsätzliche Zustimmung zu dem Brüsseler Opt-out-Vorschlag sei nicht akzeptabel. Allenfalls für eine Übergangszeit seien die angedachten Maßnahmen zur Nulltoleranzregelung vertretbar. Hier bedürfe es dringend einer grundlegenden Korrektur der geltenden praxisuntauglichen Regelung. Dies sei für die hiesige Veredlungswirtschaft in der Schweine-, Geflügel- und Milchviehhaltung notwendig, "damit wir nicht weiter vor den internationalen Warenströmen für agrarische Rohstoffe abgeschnitten werden". Happach-Kasan: "Der Umbruch von 2.000 Hektar Mais im Juni wegen einer noch nicht einmal sicher nachgewiesenen geringfügigen Verunreinigung ist ein Skandal und darf nicht wieder vorkommen."
Hinweis auf die Kanzlerin
Ähnlich hatte sich zuvor bereits CDU/CSU-Agrarsprecher Peter Bleser geäußert. Auch Bleser spricht sich gegen eine Verlagerung der Anbauentscheidung für gentechnisch veränderte Pflanzen auf die Ebene der Mitgliedstaaten oder gar der Regionen aus und bezieht sich dabei nicht zuletzt auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eine solche Regelung unlängst als unvereinbar mit den Prinzipien des EU-Binnenmarkts abgelehnt hatte.
Bleser: Einigung unwahrscheinlich
Skeptisch ist Bleser auch gegenüber Abweichungsmöglichkeiten der Bundesländer von den Abstandsregelungen im Gentechnikgesetz. Hier müsse sorgfältig geprüft werden, um zu verhindern, dass einzelne Länder über diesen Umweg den Anbau vollständig unterbinden. Eine Einigung in dieser Frage vor dem kommenden Frühjahr hält der CDU-Politiker für unwahrscheinlich. Auch aus Sicht von Bleser kann eine technische Lösung nur ein erster Schritt im Umgang mit Spuren von nicht zugelassenen GVO sein. Notwendig sei die Einführung von Schadschwellenwerten für Lebensmittel, Futtermittel und Saatgut. Hinsichtlich der Prozesskennzeichnung tritt Bleser für eine Kennzeichnung jeglicher gentechnischer Veränderung und des Einsatzes gentechnisch veränderter Enzyme im Produktionsverfahren ein. Die vom Ministerium präferierte Differenzierung lehnt er hingegen ab. (AgE)
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