Roher Fisch und Robbenleber zum Frühstück, Mittag und Abendbrot. Das ist sicher nicht jedermanns Sache. Aber wohl gut für die Zähne. Für einen Inuit war das über Jahrhunderte Standardkost. Und dadurch konnten sie allen gestrandeten Arktisforschern ein strahlendes Lächeln schenken. Denn sie kannten quasi keine Karies. Die kam erst mit Brot und vor allem mit dem Zucker in die Arktis.
Heute raffen die Segnungen der Zivilisation die Zähne der Inuit genauso dahin wie die aller anderen Menschen. Von 100 Erwachsenen in Deutschland haben 99 Karies. Zahnärzte müssten eigentlich den Landwirten dankbar sein; deren Kulturpflanzen haben der Zahnfäule nämlich so richtig zum Durchbruch verholfen.
Karies kommt mit Kohlehydraten
Natürlich ist die Geschichte etwas komplizierter. Zunächst einmal ist Karies nicht wie Kai aus der Kiste zu den Menschen gekommen. Karies entsteht, wenn bestimmte Mikroben im Mund die Oberhand gewinnen und sich Säuren bilden. Die lösen den harten Zahnschmelz wie Essigreiniger den Kalk am Wasserhahn. Löcher fressen sich in den Zahn, in denen die saure Suppe weiter arbeitet. Das Ungleichgewicht im Mund kommt nicht von ungefähr: Zucker und generell Kohlenhydrate im Essen liefern den Stoff, aus dem Karius und Baktus sind.
Bereits bei Microsyops latidens, das ist ein weit entfernter Primatenverwandter des Menschen, vor 54 Millionen Jahren wurde Karies festgestellt. Es ist eine Geißel seit alters her. Auch aus der Steinzeit fand man Beispiele. In Marokko entdeckten Wissenschaftler die Überreste von 52 Gebissen. Mehr als jeder zweite Zahn war kariös. Nur drei Individuen hatten gute Zähne. Den Steinzeitmenschen ist offenbar eine Diät aus Eicheln und Pinienkernen zum Verhängnis geworden. Es muss eine Gemeinschaft des Mundgeruchs und der Zahnschmerzen gewesen sein. Und sie waren quasi Vorreiter eines weltweiten Trends, der auf einem Überangebot von Kohlehydraten daherkam.
Denn letztendlich waren die Zähne in der Steinzeit weniger von Karies betroffen als heute. In einer durchschnittlichen Jäger- und Sammlergesellschaft hatten nur 14 Prozent Karies. Das änderte sich mit der weltverändernden Innovation schlechthin: der Landwirtschaft.
Von nun an war es möglich, viele Menschen zu ernähren. Kein Wunder, dass sich die Idee und die Kulturpflanzen aus dem fruchtbaren Halbmond in die ganze Welt verbreiteten. Dadurch wuchs überall die Bevölkerung, es entstand eine Arbeitsteilung, Städte, Zivilisation und letztendlich Milchschnitte und Instagram. Und Karies nahm zu.
Vor rund 10.000 Jahren begann sich die Zahnfäule explosionsartig zu verbreiten. Das lässt sich zum einen anhand der Genetik des wichtigsten Bakteriums Streptococcus mutans nachvollziehen. Zum anderen an den zahlreicheren Funden. Im Mittelalter waren es rund 30 bis 40 Prozent der Menschen mit miesen Zähnen.
Bauern hatten bessere Zähne als der Adel
Wobei „mies“ immer im Auge des Betrachters liegt: Denn schlechte Zähne wurden durchaus als Ausweis von Wohlstand gesehen. Dass auf Porträts früherer Jahrhunderte kaum ein Adliger mal seine Zähne zeigt, hängt mit den fauligen Stumpen in ihren Mündern zusammen. Bauern haben, wenn überhaupt, sparsam mit Honig gesüßt.
Der nächste Schritt auf dem Weg der Karies zur Volkskrankheit war der Zucker. Im 19. Jahrhundert wurde er plötzlich zur Massenware. Erst das Zuckerrohr aus den Kolonien, dann die Zuckerrübe. In Deutschland verspeisten die Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts pro Jahr und pro Kopf rund sechs Kilogramm Zucker. In den 1970er Jahren waren es dann 40 Kilogramm. Heute sind es 33,8 Kilogramm. Kuba hat übrigens einen Zuckerkonsum von 78 Kilogramm pro Jahr und Kopf.
Immerhin wissen wir heute um die Ursachen und die Zähne kann jeder schützen. 39 Millionen Deutsche putzen sich mehrmals täglich die Zähne. Mit Zahnpasta. Fast 18 Millionen putzen immerhin wenigstens ein Mal am Tag. 370.000 mindestens ein bis zwei Mal im Monat. Und fast acht Millionen sagten, dass sie sich nie die Zähne putzen. Das kam in einer Umfrage zur Körperpflege von Statista raus.
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