Die Briten verlassen Ende März voraussichtlich die Europäische Union. Die Folgen für die Landwirte auf beiden Seiten des Ärmelkanals werden gravierend sein. Das Ausmaß der Turbulenzen hängt jedoch davon ab, ob es einen harten oder einen weichen Brexit gibt. Das ist bis kurz vor dem Ausscheiden der Briten noch nicht klar. Sogar eine Verschiebung des Austritts scheint noch möglich. Ein geordneter Brexit würde die unmittelbaren Folgen jedenfalls spürbar abmildern.
Bis Ende 2020 würden dann Übergangsregeln gelten. Diese ließen den Akteuren noch etwas Zeit den Übergang zu gestalten. Dafür muss das britische Unterhaus dem ausgehandelten Austrittsvertrag aber zustimmen. Geschieht dies nicht, kommt es zum „No-Deal-Szenario“ bzw. zum harten Brexit.
Unternehmen vieler Branchen befürchten dann ein gewaltiges Chaos und dramatische Marktverwerfungen. Grund ist, dass das Vereinigte Königreich nach einem Ausstieg ohne Vertrag in jeder Hinsicht wie ein Drittland behandelt würde, erklärt EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici.
Schlimmer als das Russland-Embargo
Der Handel mit dem Vereinigten Königreich wird nach dem Brexit auf jeden Fall leiden. Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), hatte Anfang des Jahres noch einmal nachdrücklich vor den Folgen eines harten Brexit gewarnt. Die Auswirkungen eines „No-Deal-Szenarios“ könnten dramatischer sein als beim Russland-Embargo 2014, hatte Rukwied prognostiziert. Dieses hatte für die Landwirte zu Einkommensverlusten von einer halben Milliarde Euro geführt.
Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), Henning Ehlers, geht davon aus, „dass die Exporte aus Deutschland nach Großbritannien – dem viertwichtigsten Abnehmerland – zurückgehen. Gleichzeitig wird mehr Ware aus anderen EU-Ländern, die ursprünglich für den britischen Markt bestimmt war, auf den deutschen Markt umgeleitet werden. Die Folge wäre ein deutlich höherer Preisdruck.“
Je härter der Brexit, desto mehr Turbulenzen
Das Thünen-Institut hatte 2018 in einer Studie die Folgen eines weichen und eines harten Brexit-Szenarios untersucht. Die Begriffe "hart" und "weich" bezeichneten nach Aussage von Florian Freund, einem der Autoren der Studie, die Art und Weise, wie die politischen und regulatorischen Verhältnisse nach einem Austritt zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU geregelt werden.
Auf jeden Fall würden auch bei einem weichen Brexit zusätzliche administrative Kosten entstehen. Diese schlagen letztlich auf die Handelskosten und Agrarpreise durch. Die exakte Höhe dieser Kosten ist im Gegensatz zu Zöllen jedoch nicht direkt messbar. Florian Freund sagt dazu: „Je härter der Brexit ausfällt, desto stärker werden die Veränderungen sein, an die sich die Akteure anpassen müssen.“ Auch Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer in Hannover befürchtet, dass bei einem harten Brexit "zahlreiche Arbeitsplätze und ganze Betriebe gefährdet sind."
Auch ein weicher Brexit bringt Probleme
Aber auch der weiche Brexit hat Folgen für den Handel. Das Thünen-Institut geht davon aus, dass bei einem Freihandelsabkommen zusätzliche nicht-tarifäre Handelskosten von 10 Prozent für alle gehandelten Güter entstehen. Dies lässt sich mit den erwarteten Unterschieden bei Regularien und Produktstandards nach einem Brexit erklären. Möglich wäre, dass gegenseitige anerkannte Standards entfallen. Bereits harmonisierte Bereiche könnten auseinanderdriften. Beides würde zu einer Zunahme der Handelskosten führen.
Bei einem harten Brexit würden zusätzlich zu den nicht-tarifären Handelskosten Zölle erhoben. Hintergrund ist, dass das Vereinigte Königreich und die EU ohne Abkommen unter den weitaus härteren WTO-Bedingungen Handel treiben müssten. Besonders hoch sind die WTO-Zölle bei Fleischprodukten, Molkereierzeugnissen und Zucker. Nach den Erkenntnissen des Thünen-Instituts wäre der Effekt eines harten Brexit auf den deutschen Agrarhandel etwa dreimal so stark wie bei einem weichen Ausstieg.
Deutschland massiv betroffen
Nach den Niederlanden, Frankreich und Italien sind die Briten der viertgrößte Exportmarkt für deutsche Agrarprodukte. Die wertmäßigen Ausfuhren beliefen sich 2016 auf rund 4,7 Mrd. Euro. Gleichzeitig wurden britische Agrargüter für 1,6 Mrd. Euro importiert. Damit übertrafen die deutschen Agrarexporte die Einfuhren um das Dreifache.
Aus deutscher Sicht ist das Vereinigte Königreich damit der Handelspartner mit dem größten Handelsüberschuss. Die Berechnungen des Thünen-Instituts zeigen, dass das deutsche Handelsplus sowohl bei einem harten als auch bei einem weichen Szenario schrumpft. „Bei einem weichen Brexit würde sich der deutsche Überschuss um ein Fünftel verringern. Bei einem harten Ausstieg käme es zu einer Halbierung“, sagt der Autor der Studie, Florian Freund.
Erheblicher Preisdruck zu befürchten
Der Rückgang der deutschen Ausfuhren hätte Folgen für den heimischen Markt. Diese werden desto größer sein, je mehr Agrarprodukte aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland umgelenkt werden. Denn auch andere Exporteure suchen alternative Absatzmärkte. Der Thünen-Forscher Freund geht davon aus, „dass ein Teil der deutschen Exportrückgänge durch Handelsumlenkung kompensiert werden kann.“ Deshalb rechnet das Thünen-Istitut bislang nicht mit einem sehr starken Absturz der Agrarpreise.
Das könnte sich angesichts der Probleme unserer Nachbarn aber als Irrtum erweisen. So schauen sich holländische Gemüse-Exporteure bereits nach alternativen Absatzmärkten für ihre leicht verderbliche Ware um. Deutschland steht dabei ganz oben auf der Liste. „Wir befürchten einen Preisverfall“, sagt dazu Jochen Winkhoff vom deutschen Zentralverband Gartenbau. Durch den Brexit dürfte viel Ware auf den außerbritischen Markt umgeleitet werden, besonders auf den deutschen. Dieses Szenario gilt in ähnlicher Weise für Fleisch und Milchprodukte.