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Russlandembargo

Fünf Jahre "Putin-Sanktionen" helfen Russlands Landwirtschaft auf

Bodenbearbeitung in Russland
am Mittwoch, 28.08.2019 - 10:52 (Jetzt kommentieren)

Mit einem Einfuhrstopp für deutsche und EU-Lebensmittel reagierte Russland vor fünf Jahren auf die westlichen Sanktionen im Zuge des Ukraine-Konflikts. Davon profitiert hat vor allem die russische Landwirtschaft.

Stefan Dürr

Der deutsche Milchproduzent Stefan Dürr war nie ein Anhänger der Handelssanktionen. Dabei gehört er zu den Nutznießern des russischen Embargos auf Lebensmittel aus dem Westen. Seine Produktionsanlagen in Russland florieren.

"Viele haben die Sanktionen genutzt, um die Produktion zu verbessern", sagt Dürr, der seit diesem Jahr Chef des russischen Verbandes der Milchproduzenten Sojusmoloko ist. Der 55 Jahre alte Landwirt aus Walldorf in Baden-Württemberg ist mit seinem Unternehmen Ekosem-Agrar AG größter Rohmilchproduzent Russlands.

Er gilt als einer der Gewinner, seit Kremlchef Wladimir Putin im August vor fünf Jahren Sanktionen gegen den Westen erließ.

Russland wurde zum weltgrößten Weizenexporteur

Das war nicht nur eine Retourkutsche auf die zuerst vom Westen verhängten Sanktionen gegen Russland im Zuge des Ukraine-Konflikts. Von Anfang an setzte Putin das Ziel, die damals noch extrem vom Lebensmittelimport abhängige Nation so weit zu stärken, dass sie sich selbst versorgen kann.

Tatsächlich ist die Abhängigkeit von Importen deutlich geringer geworden. An der Fleischproduktion etwa lag der eigene Anteil 2015 noch bei 87,1 Prozent, 2018 schon bei 92,8 Prozent.

Die Agrarproduktion entwickle sich in vielen Bereichen inzwischen so gut, dass Russland sich als Exporteur in Stellung bringe, meinte unlängst Landwirtschaftsminister Dmitri Patruschew. Seit zwei Jahren ist Russland weltgrößter Exporteur von Weizen - deutlich vor den USA.

"War ein Einschnitt für die deutsche Landwirtschaft"

Werner Schwarz, Bauernverband Schleswig-Holstein

Auch die deutschen Landwirte haben sich mit der Blockade des Agrarhandels mit Russland weitgehend arrangiert. "Den russischen Markt zu verlieren, war ein großer Einschnitt für die deutsche Landwirtschaft", sagt der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Werner Schwarz.

Mit Zeitverzug und großem Aufwand hätten aber besonders in Asien neue Märkte erschlossen werden können. "Heute hat China, einschließlich Hongkong, für uns eine Bedeutung im Agrarexport wie ehemals Russland, mit fast 2 Milliarden Euro jährlich."

Putin hat das Embargo erst kürzlich verlängert

Das im August 2014 verhängte Einfuhrverbot für Lebensmittel betrifft unter anderem Obst und Gemüse, Milchprodukte und Fleischwaren. Und es gilt für alle Staaten, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben - neben der EU und den USA sind das unter anderen Kanada, Australien und Norwegen. Erst im Sommer hat Putin die Sanktionen wieder um ein Jahr bis Ende 2020 verlängert.

Einfuhren wurden zurückgedrängt

In Russland sind die Regale nach zeitweiser Knappheit zum Start des Embargos heute prall gefüllt. Im Vergleich zu 2014 legte die Produktion von Tomaten und Gurken bis 2018 um 80 Prozent auf 1,1 Millionen Tonnen zu. Der Anteil der Einfuhren halbierte sich in der Zeit von 60 Prozent fast auf 38 Prozent. Allerdings haben Äpfel und Käse oft nicht die Qualität wie EU-Erzeugnisse.

Milcherzeuger Dürr sagt: "Man ist ein ganzes Stück vorwärts gekommen. Aber natürlich gibt es auch noch viel zu tun." Dürr selbst setzt sich für Standards bei der Milchherstellung wie in Deutschland ein.

Verlierer der Sanktionen ist der Verbraucher

Wurstwaren in einem russischen Supermarkt

Mancher Russe vermisst französischen Camembert oder italienischen Parmesan. Vielfach gibt es nachgeahmte Produkte, die im Geschmack deutlich abfallen. Findige Händler bieten vor allem in der Hauptstadt aber bisweilen ganz offen Schmuggelware an - freilich zu deutlich höheren Schwarzmarktpreisen.

Der große Verlierer der "Putin-Sanktionen" sei der Verbraucher in Russland, wie vor allem regierungskritische Medien berichten. Bürger ärgern sich über explodierende Lebensmittelpreise bei stagnierenden oder rückläufigen Einkommen. Fleisch und Milch verteuerten sich nach Angaben des Statistikamtes Rosstat um 30 Prozent in den vergangenen fünf Jahren. Eier, Fleisch und Geflügel liegen bei mehr als 10 Prozent Preiszuwachs im Vergleich zum Vorjahr.

Schwacher Rubel treibt die Verbraucherpreise in die Höhe

Der Grund für die Preisexplosion liege im fehlenden Wettbewerb, schreiben die Zeitungen "Wedomosti" und "Nesawissimaja Gaseta". Weil es keine Konkurrenz mehr gebe durch Produkte aus der EU, könnten die russischen Platzhirsche auf dem Markt die Preise diktieren.

Milchproduzent Dürr sieht dagegen vor allem einen anderen Grund. "Der Preisanstieg liegt nicht am Embargo, sondern daran, dass der Rubel schwächer geworden ist", sagt er der Deutschen Presse-Agentur in Moskau. Erzeuger erklären zudem, dass Maschinen und Futtermittelzusätze im Ausland eingekauft werden müssten. Die Kosten dafür würden sich dann in höheren Preisen für Lebensmittel niederschlagen.

Ein Ende der Sanktionen ist nicht in Sicht

Die EU hat nach anfänglichen Schwierigkeiten andere Märkte in den USA und in China erschlossen. Der Umsatz fiel durch den Wegfall des russischen Marktes fast um die Hälfte auf 6,4 Milliarden Euro im Jahr 2018.

Viele russische Lebensmittelhersteller hätten sich inzwischen gut arrangiert - und zeigten kein großes Interesse an einem Ende der Sanktionen, heißt es allenthalben in Moskau. Grund dafür sind auch Sorgen vor einer möglichen neuen Konkurrenz von preiswerteren EU-Erzeugnissen. Allerdings hat Putin zuletzt auch klar gesagt, dass er die Gegensanktionen aufhebe, sobald auch die EU ihre Strafmaßnahmen gegen Russland beendet. In Sicht ist das aber nicht.

Mit Material von dpa
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