
Herr Dr. Nienhoff, Sie werden künftig die neue Koordinationszentrale Handel/Landwirtschaft leiten. Was wollen Sie in dieser Funktion erreichen?
Die Koordinationszentrale soll ein Forum zur Verständigung und Abstimmung von Standards und Prozessen werden. Ziel ist, dass sich die Marktpartner treffen und gemeinsam Lösungen anstreben. Die geplante Ombudsstelle soll als Schlichter fungieren. Jeder am Markt soll sich mit Beschwerden an eine unabhängige Schiedsstelle wenden können, falls das im Kodex vereinbarte Marktverhalten einseitig nicht eingehalten wird.
Welche Rolle spielt dabei Ihre bisherige Funktion als QS-Geschäftsführer?
Bei QS übergebe ich Ende April den Staffelstab. Meine Erfahrungen und Kenntnisse der Branchen und Märkte nehme ich mit. Organisatorisch stellt QS praktisch die Blaupause dafür dar, wie es gelingt, die Marktbeteiligten an einem Tisch zu versammeln. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es zielführender ist, die Herausforderungen der Branche im gemeinsamen Dialog der Wirtschaftsbeteiligten anzugehen, als die Problemlösungen der Politik zu überlassen. Die Politik ist häufig zu träge und sie hat eine andere Agenda. Es gibt vieles, über das sich die Wirtschaftskette besser selbst verständigen könnte – immer unter Beachtung des Wettbewerbsrechts.
In QS bringen Sie seit jeher Landwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel an einen Tisch. Trotzdem ist das Verhältnis zwischen beiden Gliedern der Lebensmittelkette zurzeit sehr angespannt. Was macht Sie dann so optimistisch, dass die Koordinationszentrale funktionieren kann?
Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die jüngsten Anspannungen die Zusammenarbeit in den QS-Gremien nicht beeinträchtigt haben. Dort wird über Fachthemen sachlich und konstruktiv gesprochen. Es kommt aber auch vor, dass man sich deutlich die Meinung sagt. Das sind dann reinigende Gewitter, die die Voraussetzung dafür geschaffen, weiter offen und sachgerecht miteinander zu sprechen.
Welche Hoffnung setzen Sie in die Koordinationszentrale?
Handel und Landwirtschaft können im Sinne zukünftiger Märkte, im Sinne gemeinsamen Markterfolges und im Sinne der Verbraucher viel bewegen, wenn die Interessen und Standpunkte offen ausgetauscht werden. Wir können auch gern mal miteinander streiten, sollten aber bestrebt sein, abgestimmte Lösungen zu finden. Jeweils nur Abwehrhaltungen einzunehmen oder Forderungskataloge aufzustellen, kann nicht der richtige Weg sein. Die Folge ist doch, dass die Politik und auch die NGOs solche Gelegenheiten nutzen, um ihre eigene Agenda umzusetzen. Die Politik hat der Landwirtschaft mit der Düngeverordnung, der Nutztierhaltungsverordnung und dem Insektenschutzpaket große Lasten aufgebürdet. In dieser für die politisch Verantwortlichen kritischen Situation ist es der Regierung gelungen, mit dem Umsteuern der Diskussion auf die Marktmacht des Handels von sich selbst abzulenken.
"Niemand im Markt braucht ein staatliches Tierwohl-Label"

Sie meinen den Deal zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium zum staatlichen Tierwohlkennzeichen?
Richtig, das meine ich. Das staatliche Tierwohl-Label ist eine Maßnahme, auf die niemand im Markt wartet, und für das die Landwirtschaft am Ende den Preis zahlen müsste. Wir haben mit der Initiative Tierwohl die Haltungskennzeichnung privatwirtschaftlich richtig gut auf den Weg gebracht. Aber die Landwirte mussten mitansehen, wie das Agrarministerium mit dem Umweltministerium einen Deal abschloss, nur um für ein nationales staatliches Label den Weg freizumachen, das niemand im Markt braucht.
Wie bewerten Sie die Forderung von Agrarministerin Klöckner nach einem Preiswerbeverbot für Fleisch?
Ich halte das für völlig daneben gegriffen. Wollen wir, dass unser gutes Fleisch jetzt unter der Ladentheke versteckt wird und stattdessen die Werbung des LEH verstärkt für Fleischersatzprodukte eingesetzt wird? Der Handel ist in der Regel nicht derjenige, der für niedrige Fleisch- oder Milchpreise verantwortlich ist. Angebotspreise im LEH sind Kaufanreize bei überschüssigen Mengen. Sie haben somit eine wichtige Funktion im Fleisch- wie im Milchmarkt.
Falls sich die Politik auf eine – wie auch immer geartete – Tierwohl-Steuer einigt, wäre QS gewillt, die Gelder an die Landwirte zu verteilen?
Ganz klar: Nein. Wir stehen nicht bereit, staatliche Mittel zu verteilen und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Es ist unser höchstes Gut, unabhängig von staatlichen Einflüssen zu sein. Und das soll auch so bleiben. Entscheidungen werden bei QS von der Wirtschaft getroffen und mit der Wirtschaft umgesetzt. Der Staat soll den Landwirten unbedingt Finanzmittel für den Umbau der Tierhaltung zukommen lassen, aber für die Verteilung soll er selbst die Verantwortung tragen.
Kann QS dennoch einen Beitrag zum politisch gewollten Umbau der Nutztierhaltung leisten?
Mit der Initiative Tierwohl, mit den Daten zum Tiergesundheitsmanagement und auch den Qualitätsoffensiven tun wir das bereits schon. Falls ein Tierwohl-Kennzeichnungsgesetz tatsächlich kommen sollte, sind wir bereit, eine praktikable Umsetzung zu unterstützen. Wir könnten zum Beispiel die Teilnahme der Landwirte und die Auditierung organisieren um das Ganze auch effizient umzusetzen. Praktisch so, wie die Tierhalter und Bündler es von ITW und QS kennen.
"NGOs leben vom Draufsatteln immer neuer Forderungen"

Halten Sie denn ein staatliches Tierwohllabel auf europäischer Ebene für sinnvoll?
Wenn überhaupt ein staatliches Label, dann auf EU-Ebene und zwar verbindlich – und verbunden mit einer Herkunftskennzeichnung –, damit für alle Tierhalter im Binnenmarkt ein einheitliches Angebot zur Kennzeichnung besteht. Falls es nur den Zweck haben soll, die Finanzierung eines Umbaus der Tierhaltung zu rechtfertigen, dann gibt es dazu auch andere Mittel und Wege.
Gleichwohl war der gesellschaftliche Druck auf die Tierhalter nie größer als heute. Hat QS hier versagt oder anders gefragt, hätten höhere QS-Standards helfen können, diese heutige Debatte zu vermeiden?
Bestimmte gesellschaftliche Gruppen werden immer wieder neue Anforderungen stellen. Sobald die eine Forderung erfüllt ist, wird eine neue nachgelegt. Das ist das Geschäftsmodell einiger NGOs, davon leben diese Organisationen. Wir sollten nicht versuchen, die Wünsche von Gruppen zu erfüllen, die jede Nutztierhaltung oder das Töten von Tieren zur Lebensmittelproduktion grundsätzlich ablehnen. Ein staatliches Tierwohllabel wird diese gesellschaftliche Debatte nicht befrieden können.
Also heißt es, den Status quo zu verteidigen?
Das funktioniert auch nicht. Ich habe in den vergangenen Jahren zu oft die Haltung erlebt: Wir wollen nichts ändern, aber alles soll besser werden. Abwarten kann nur schiefgehen. Tatsache ist, nur die Veränderung ist von Dauer. Mit QS haben wir die Chance, uns gemeinsam auf die Zukunft einzustellen.
"Die Probleme der Sauenhalter rühren nicht von QS her"
Zuletzt stand QS wegen des Umgangs mit Importferkeln unter erheblichem Druck der Schweinehalter. Wie bewerten Sie die Situation aktuell?
Die Bundesregierung hat der Branche hier einmal mehr etwas eingebrockt, ohne es zu Ende zu denken und sich um die Folgen zu kümmern. Das kann QS nicht heilen: Wir können das deutsche Tierschutzrecht nicht in die Nachbarländer exportieren. Aber nehmen wir doch einmal die tatsächlichen Konsequenzen: Die Kosten der Kastration unter Isofluran sind nicht entscheidend höher als die Methoden der Betäubung in den Nachbarländern. Und dass die Isofluran-Methode besser sein soll ist ebenfalls fraglich. Wenn wir Importferkel grundsätzlich von QS ausschließen wollten, würde das den deutschen Schweinemarkt massiv beeinträchtigen. Stattdessen sorgt QS dafür, dass ausländische Sauenhalter nur Ferkel nach Deutschland ins QS-System liefern, die zu vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen erzeugt wurden. Ich muss das ständig wiederholen: QS hat dafür gesorgt, dass männliche Ferkel aus dem Ausland nur mit Betäubung oder Schmerzausschaltung geliefert werden. Die Bundesregierung hat die deutschen Schweinehalter diesbezüglich allein gelassen.
Wie hat sich der Ferkelimport seit Anfang 2021 entwickelt?
Die Einfuhren sind zurückgegangen, weil der deutsche Markt nicht mehr so interessant ist. Die Preise waren in Deutschland mehr als ein halbes Jahr im Keller. Zugleich konnten andere Länder weiterhin Schweinefleisch nach Asien liefern. Folglich wurden die Schweine vorzugsweise in diesen lieferfähigen Ländern gemästet. Aber wir hatten auch vor diesem Rückgang keinen Importdruck. Wir haben schlicht 10 bis 11 Millionen Ferkel zu wenig in Deutschland. Die Probleme der deutschen Sauenhalter rühren nicht von QS her, sondern weil die Politik über Jahrzehnte keine klaren Perspektiven geschaffen hat, Stichwort Kastenstand, Ferkelkastration und Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Wer wollte unter diesen Voraussetzungen in die Ferkelerzeugung investieren?
Meilensteine und kritische Phasen in der Geschichte von QS

Sie persönlich übergeben Ende April nach über 18 Jahren als QS-Geschäftsführer den Staffelstab. Was waren für Sie in dieser Zeit die drei bedeutendsten Meilensteine für QS?
Wenn ich nur drei Meilensteine nennen soll, wäre das zum einen die frühe Entwicklung einer zentralen Datenbank in den Jahren 2002 und 2003. Darin sind alle Berichte zum Monitoring und der Audits erfasst. Damit haben wir die interne Transparenz, Rückverfolgbarkeit und den Service für die Erfassung und auch die Rückmeldung von Ergebnissen ermöglicht. Ebenfalls 2003 haben wir das Salmonellenmonitoring eingeführt. Das war unser erstes Monitoringprogramm. Es begleitet uns bis heute und ist ein wichtiger Baustein; er hilft den Schweinehaltern, die gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Entscheidend war sicher auch, dass uns 2006 mit der Aufnahme der Discounter in QS der umfassende Durchbruch im Lebensmitteleinzelhandel gelang. Aber insgesamt haben wir einen Baustein auf den nächsten gesetzt. Und das ist der eigentliche Erfolg.
Was waren kritische Ereignisse?
Prägend waren die Dioxinvorfälle 2011. Außerdem würde ich hier das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nennen wollen, das der CMA, einem unserer Gesellschafter, die Existenzgrundlage entzogen hat. Wir mussten als QS die Gesellschafteranteile der CMA übernehmen und das Eigentum am QS-Prüfzeichen erwerben. Die Unterstützung durch die Werbemaßnahmen der CMA sind ersatzlos weggefallen. Die einzige wirkliche Krise der letzten 20 Jahre im Lebensmittelsektor und eine, die uns berührt hat, war die Ehec-Krise. Bei diesem schwerwiegenden Ereignis hat unser Obst- und Gemüsebereich die Aufklärung wirkungsvoll unterstützt.
Tatsächlich war der Wunsch nach mehr Sicherheit in der Lebensmittelkette nach der BSE-Krise ja der Anlass zur Gründung von QS. Hat QS hier geliefert?
Wir haben vor allem eine stufenübergreifende Qualitätssicherung geliefert. Alle in der Kette haben ihre Anforderungen, werden kontrolliert und sind zertifiziert. Am Ende der Kette steht ein Mehr an Prozess- und Produktsicherheit, weil jedes Unternehmen Ware mit dem QS-Prüfzeichen an seinen Marktpartner weitergeben kann. Was uns unter anderem ausmacht, ist, dass wir im Ereignisfall sofort die Kette zurück- oder vorverfolgen um den Warenfluss ausfindig zu machen. Das ist mit jedem einzelnen Systempartner vertraglich gesichert. Das macht uns wirklich stark in Ereignisfällen, auch im Vergleich zu anderen Standards.
Gab es einen Moment, an dem Sie am Fortbestand von QS gezweifelt haben?
Sorge um die Existenz von QS hatte ich nie. Aber es gab immer mal wieder Zweifel, wie die unterschiedlichen Erwartungen der Systempartner in Einklang gebracht werden können. Dann hilft nur, intern aufzuklären und in den Gremien gemeinsam zu beraten, welche Veränderungen machbar sind. Allerdings habe ich mir manches Mal gewünscht, hier schneller voranzukommen. Leider bedarf es für eine ausreichende Veränderungsbereitschaft häufig erst krisenhafte Ereignisse. Das gilt übrigens für alle Stufen der Kette.
Sollten QS und die ITW perspektivisch zusammengeführt werden?
Wir arbeiten eng zusammen in der Geschäftsbesorgung, bei den Audits, bei der Unterstützung der Systempartner und in den Gremien. Unsere Gesellschafter sind identisch und in der Besetzung der Fachgremien gespiegelt. Wir stimmen uns inhaltlich ab, sodass ein Rad in das andere greift. Aber während QS stufenübergreifend in die Breite geht, ist die ITW auf Zusatzpunkte zum Tierwohl konzentriert. ITW setzt modular auf QS auf, muss aber nicht damit verschmolzen werden.
Welche Rolle wünschen Sie sich für QS in fünf Jahren?
Ich will meinem Nachfolger nichts ins Stammbuch schreiben. Ich gehe davon aus, dass sich QS im Markt weiter als feste Größe etabliert, die koordiniert und unterstützt. QS ist ausbaufähig. Wir haben in den vergangenen 20 Jahren einen Schritt nach dem anderen gemacht und dabei alle Wirtschaftsbeteiligten mitgenommen. Das müssen wir auch weiter tun. Was wir leisten können, ist, den Systempartnern über Digitalisierung noch mehr Service zu bieten. Beispielsweise können wir den Schweinehaltern Auswertungen an die Hand geben, mit deren Hilfe sie ihre Prozessqualität optimieren können. In dieser Richtung kann ich mir noch viele innovative Serviceleistungen vorstellen. Die Haltungskennzeichnung wird uns auch weiterhin beschäftigen und die Zusammenarbeit mit der amtlichen Seite bietet aus unserer Sicht noch viel Potenzial, um risikoorientiert doppelte Kontrollen zu vermeiden. Hier haben wir mit den Indices für Tiergesundheit und Biosicherheit, die die amtliche Seite für ihre risikoorientierte Kontrolle in Abstimmung mit dem Tierhalter heranziehen kann, einen weiteren wichtigen Schritt unternommen.
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