Die Zuckerhersteller Südzucker, Nordzucker und Pfeifer & Langen haben ihren Kunden über viele Jahre überhöhte Zuckerpreise abverlangt. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten für das Landgericht Mannheim. Das Gutachten wurde von dem Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Dr. Justus Haucap erstellt. Es belastet Zuckerunternehmen, die sich allein beim Landgericht Mannheim mit 31 Schadenersatzklagen konfrontiert sehen.
Weitere Verfahren sind an Gerichten in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zum Teil seit 2015 anhängig. Darin verlangen zahlreiche Unternehmen der Ernährungsindustrie wie Nestlé, DMK oder Müller Milch von dem Zuckerkartell Entschädigungen in jeweils oft zweistelliger Millionenhöhe. Mit den Gerichtsverfahren Vertraute schätzen, dass es für die Zuckerindustrie insgesamt um mehr als 1 Mrd. Euro Schadenersatzforderungen einschließlich Zinsen geht.
Die Rübenbauern müssten die Zeche mittragen
Sollten Südzucker, Nordzucker und Pfeifer & Langen zu Schadenersatz verurteilt werden, hätten die Rübenbauern das Nachsehen. Nach jahrelang miserablen Zuckerrübenpreisen erholt sich der Zuckermarkt derzeit gerade von den beiden Schockwellen durch die Liberalisierung der EU-Zuckermarktordnung und die Corona-Pandemie; die Zuckerpreise steigen endlich wieder.
Schadenersatzleistungen in Milliardenhöhe würden die drei Zuckerhersteller in dieser Erholungsphase wirtschaftlich schwer belasten – und damit auch die Rübenanbauer. Denn Geld, das Nordzucker, Südzucker und Pfeifer & Langen als Schadenersatz an ihre Kunden zahlen müssen, wird für die Bezahlung der Zuckerrüben nicht zur Verfügung stehen.
Gutachter sieht rund 10 Prozent Preisaufschlag

Das Bundeskartellamt hatte gegen die drei Zuckerfirmen 2014 bekanntlich Bußgelder in Höhe von insgesamt 280 Millionen Euro verhängt. Diese Bußgelder kommen jedoch nicht den geschädigten Kunden, sondern der Staatskasse zugute. Die zuckerverarbeitende Industrie muss ihre Schadenersatzforderungen in Zivilprozessen einklagen.
Eine entscheidende Voraussetzung für einen Erfolg vor Gericht ist, dass einer oder mehrere unabhängige Gutachter nachweisen, dass das Kartell tatsächlich höhere Preise verlangt hat, als in einem freien und fairen Wettbewerb zu erwarten gewesen wären. Der Wettbewerbsexperte Haucap kommt in seiner Analyse für das Gericht in Mannheim zu dem Schluss, dass die Kartellanten um 7,5 bis 10,6 Prozent überhöhte Preise verlangten, und das für die Jahre 1996 bis 2014.
Zuckerindustrie sieht keinen Schaden für ihre Kunden
In Köln und Hannover waren einige Klagen in erster Instanz von den Gerichten abgewiesen worden, andere sind noch anhängig beziehungsweise in Berufung. Das Haucap-Gutachten dürfte daher auch von den Richtern in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen genau gelesen werden. Dort sollen die Gerichtsverfahren im kommenden Jahr fortgesetzt werden. In Mannheim ist im April in sechs Pilotverfahren eine Anhörung der Parteien vorgesehen.
Die Anwälte der Zuckerhersteller prüfen darum nun das Sachverständigen-Gutachten. Sie werden versuchen, die Berechnungen des Ökonomen zu entkräften. Von einem Vergleich will die Zuckerindustrie bisher jedenfalls noch nichts wissen.
Ein Südzucker-Sprecher erklärte gegenüber agrarheute auf Anfrage: „Es ist zu früh, aus dem Gutachten Schlüsse zugunsten oder zulasten einer Partei zu ziehen.“
Nordzucker geht weiterhin davon aus, dass kein Schaden bei den Abnehmern von Zucker entstanden ist. Pfeifer & Langen will sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht inhaltlich zu dem Gutachten äußern, da die Prüfung erst begonnen habe.
Klägeranwalt: Ein Meilenstein auf dem Weg zu Schadenersatz
Aus Sicht von János Morlin von der Kanzlei SGP Schneider Geiwitz, die in Mannheim 19 Kläger vertritt, haben die Gerichtsverfahren mit der Vorlage des schriftlichen Gutachtens einen Meilenstein erreicht.
„Schadenersatz für die klagenden Unternehmen ist damit nicht sicher, aber wir sind ein gutes Stück weiter auf dem Weg dorthin“, sagt Morlin. Für die Kläger werde es im weiteren Verfahren entscheidend sein, den Zuckerbezug von den Kartellanten im Einzelnen gerichtsfest nachzuweisen.
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