
Bisher unter Dauerfrost liegende Regionen im fernen Osten und in der Arktis könnten zu Anbaugebieten von Weizen und anderen Getreidearten werden. Damit würde Russlands Postion als wichtigster Getreideversorger einer weiter wachsenden Weltbevölkerung erheblich gestärkt.
Andere wichtige Exporteure wie die USA, Europa oder auch Australien und Südamerika könnten im Ranking der großen Getreideexporteure deutlich zurückfallen. Zumindest wenn man die Klimaprognosen und ihre Folgen für den Anbau von Getreide und anderen landwirtschaftlichen Kulturen ernst nimmt. Dort werden nämlich längere Hitzeperioden, mehr Dürren und Starkniederschläge vorhergesagt.
Die FAO schätzt, dass die Temperaturen in den wichtigsten Anbauregionen im kommenden Jahrzehnt um 1,8 und bis 2050 sogar um 3,9 Grad ansteigen werden. Auf dem Arktisforum 2019, einer Veranstaltung, die Arktis-Anrainer, die Wissenschaft und internationale Organisationen zusammenbringt, sagte der russische Präsident Wladimir Putin: „Die Arktis stellt uns vor enorme Herausforderungen. Darauf können wir nur erfolgreich antworten, wenn wir es gemeinsam tun. Eine der Herausforderungen wird sein, das Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und der Erhaltung der arktischen Umwelt zu finden.“
Michael Paul, Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, sagte gegenüber dem Deutschlandfunk zu den russischen Ambitionen: „Manche sprechen von bis zu 20 Prozent, die die Arktis für das russische Bruttosozialprodukt erwirtschaften würde.“
Russland versorgt schon jetzt die halbe Welt mit Getreide

Bereits jetzt bauen die Russen auf rund 28 bis 29 Millionen Hektar Weizen an. Das ist eine größere Fläche als die gesamte Europäischen Union mit 24 Millionen Hektar zur Verfügung hat. Auf fast 60 Prozent der russischen Weizenfläche - also auf etwa 15 bis 17 Millionen Hektar - wächst Sommerweizen. Dieser wird wegen der klimatischen Bedingungen vor allem im fernen Osten und in den kälteren russischen Regionen angebaut.
Das ist ganz ähnlich wie in Kanada.,wo in den klimatisch mit dem fernen Osten vergleichbaren Prärieprovinzen vor allem proteinreicher Sommerweizen angebaut wird. Allerdings sind es dort nur rund 9 bis 10 Millionen Hektar auf denen das wichtigste kanadische Exportgetreide wächst.
Die Prognosen für die russische Arktis und den fernen Osten, wo auf den Böden bisher Permafrost herrschte, bieten für die Expansion der Weizenproduktion ein riesiges Potential. Zudem dürften sich auch die Wachstumsperioden in den übrigen kalten russischen Region verlängern und das mögliche Ertragspotenzial der angebauten Getreidepflanzen dürfte ebenfalls steigern.
Die „New York Times“ schrieb vor einem Jahr einen großen Artikel unter dem Titel „Wie Russland die Klimakrise gewinnt“. Dort hieß es: Das größte Flächenland der Welt sei global am besten positioniert, um aus der Erwärmung Gewinn zu schlagen, weil viel mehr Land für den Anbau von Getreide nutzbar werde.
Neben den besseren Anbaubedingungen kommt Russland auch die immer weiter wachsende globale Nachfrage zu Gute. So wie sich die Weltbevölkerung derzeit entwickelt, rechnet der Internationale Getreiderat (IGC) mit einem kontinierlichen Anstieg des Getreidebedarfs bzw. Verbrauchs von ein bis zwei Prozent pro Jahr über die kommenden Jahrzehnte. In den vergangenen Jahren lag der Verbrauchszuwachs bei Weizen indessen noch deutlich höher. Im Jahr 2019/20 waren es sogar fast 6 Prozent!!
Im laufenden Jahr dürften die Russen nach Einschätzung des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) - trotz der bestehenden Ausfuhrzölle und Exportrestriktionen - etwa 35 bis 36 Millionen Tonnen Weizen exportieren. Im bisherigen Rekordjahr 2017/18 waren es sogar schon einmal 41 Millionen Tonnen. Das sind zwischen 17 und 21 Prozent der globalen Exportmenge. Da kann eigentlich niemand mehr mithalten. Nur in guten Jahren schaffen die 27 Länder der EU zusammen eine ähnlich große Exportmenge.
Goldene Zeiten: Agrarexporte werden so wichtig wie Öl und Gas

Angesichts dieser Entwicklung könnten für die russischen Getreideexporteure goldene Zeiten anbrechen. Der Export von Getreide und anderen Agrarprodukten könnte für Russland schon in einem Jahrzehnt so wichtig sein, wie es die Ausfuhr von Öl und Gas heute sind, sagte bereits 2017 der damalige russische Landwirtschaftsminister Alexander Tkachev.
Auch die FAO erwartet, dass Russland die Produktion und die Getreideerträge noch deutlich steigern kann. Verantwortlich sind neben der gewaltigen Anbauexpansion, die die Arktis und der ferne Osten bieten, auch der verstärkte Einsatz von Mineraldünger, wo Russland selbst ein großer Produzent und Exporteur ist, aber auch der Einsatz neuer moderner Technik, die Verbesserung der Transportinfrastruktur und natürlich auch der Einsatz neuer Getreidesorten.
Zuletzt lagen die Erträge bei Winterweizen gerade einmal bei 35 dt/ha und bei Sommerweizen nur bei 18 dt je Hektar. Da ist also noch viel Luft nach oben. Die russische Weizenernte schwankte in den letzten Jahren zwischen 75 und 85 Millionen Tonnen. Davon wurde fast die Hälfte exportiert.
In der Europäischen Union lagen die Weizenerträge im letzten Jahr im Schnitt bei 58 dt je Hekar und auch in der Ukraine wurden 40 bis 45 dt geerntet. Dagegen ist die Produktion in den USA im Vergleich zu Europa ebenfalls sehr extensiv und es werden ebenfalls nur 30 bis 35 dt je Hektar geerntet, also ähnlich viel (wenig) wie in Russland bei Winterweizen und auch Kanada kommt nur auf 35 dt.
Die FAO kommt in ihrer Studie zu dem Schluss, dass Russlands Getreideproduktion bisher vor allem durch Ausweitung der Anbauflächen wächst. Und das Flächenwachstum dürfte vor dem Hintergrund der anhaltenden Erwärmung im fernen Osten und in Sibirien wohl auch einer der Hauptwachstumstreiber bleiben.
Im Jahr 2020 unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin die „Nationale Arktis-Strategie“ seines Landes, die bis zum Jahr 2035 gelten soll. Darin wird vor allem der Gewinnung von Rohstoffen in der russischen Arktis-Region geplant, aber auch die Expansion der Landwirtschaft in einer klimatisch, technisch und agronomisch immer besser nutzbaren Region.
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