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Konzentration und Machtgefälle

Studie: Macht des Lebensmitteleinzelhandels ist deutlich gewachsen

Einkaufswagen im Supermarkt
am Dienstag, 05.04.2022 - 05:15 (7 Kommentare)

Die Hersteller von Lebensmitteln stehen gegenüber den immer mächtigeren Einzelhandelsriesen mit dem Rücken zur Wand.

Die Abhängigkeit der Ernährungsindustrie von den großen Konzernen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren stark erhöht. Die Eigenkapitalrenditen des Handels sind inzwischen höher als die der Lebensmittelhersteller. Das zeigt eine Studie, die das Hamburger Beratungsunternehmen Lademann & Associates (L&A) durchgeführt hat.

Danach erwirtschaften die Unternehmen der Ernährungsindustrie im Durchschnitt zwei Drittel ihres Umsatzes mit nur drei Hauptkunden – eine Steigerung um 15 Prozentpunkte innerhalb von zehn Jahren. „Die Industrie gerät immer weiter in die Defensive“, sagt Prof. Rainer Lademann. Er spricht von einer „strukturellen Abhängigkeit“ der Industrie.

Unlautere Handelspraktiken noch weit verbreitet

Grafik zu den Verhandlungspraktiken des Lebensmitteleinzelhandels

Für die Untersuchung befragte L&A 156 Verhandlungsleiter der Ernährungsindustrie. Die Befragung fand anonym im vierten Quartal 2021 statt. Ihre Antworten liefern zahlreiche Indizien dafür, dass die führenden Handelskonzerne die Abhängigkeit der Industrie ausnutzen.

Fast zwei Drittel der Hersteller müssen umfangreiche Vorbedingungen erfüllen, damit sie überhaupt am Verhandlungstisch Platz nehmen dürfen. Das betrifft zum Beispiel lange Zahlungsziele, das Einverständnis zu Kontrollbesuchen oder die Offenlegung der eigenen Kalkulation.

Knapp 70 Prozent gaben an, von unlauteren Handelspraktiken betroffen zu sein, wie sie eigentlich voriges Jahr durch das Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz (AgrarOLkG) verboten wurden. Die Industriemanager bezweifeln, dass das Verbot der unlauteren Handelspraktiken wirklich durchgesetzt werden kann.

80 Prozent haben schon Drohungen des Handels erlebt

Zahlreiche Hersteller schrecken nämlich davor zurück, auf ihren vertraglichen oder gesetzlichen Rechten zu bestehen. Das Droh- und Sanktionspotenzial vor allem der vier Einzelhandelsriesen Aldi, Edeka, Rewe und Schwarz ist einfach zu groß. Denn diese Spitzengruppe vereint über 85 Prozent des Absatz- und des Beschaffungsmarktes auf sich. 60 Prozent der Befragten haben bereits unter Sanktionen der Handelsriesen gelitten.

Vier von fünf Befragten sahen sich bereits starken Drohungen ihrer „Handelspartner“ ausgesetzt. Dann müssen die Hersteller regelmäßig nachgeben, denn ein durchschnittliches Unternehmen der Ernährungsindustrie würde bereits beim Wegfall nur seines drittgrößten Abnehmers in die Verlustzone rutschen.

Handelskonzerne beherrschen die Beschaffungsmärkte

„Ihre Marktposition und ihre Unverzichtbarkeit für weite Teile der Lieferanten ermöglicht den führenden Handelskonzernen eine kollektive Beherrschung der Beschaffungsmärkte“, sagt Lademann. Durch den ständigen Preisdruck sieht der Experte die Möglichkeit der Industrie geschwächt, Innovationen zu entwickeln und die Produktqualität und -vielfalt zu verbessern.

Lademann sieht in den Ergebnissen der Untersuchung daher eine Unterstützung für die Absicht des Wirtschaftsministeriums, bis 2025 die Missbrauchsaufsicht zu verstärken und unfaire Handelspraktiken zu unterbinden.

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