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Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels

Teure Lebensmittel: Diese vier Handelsriesen zocken die Verbraucher ab

Ein Einkaufswagen im Supermarkt
am Dienstag, 21.03.2023 - 15:37 (1 Kommentar)

Der Lebensmitteleinzelhandel ist ein Treiber der Inflation. Das sagen Ökonomen. Das Kartellamt soll genauer hinschauen.

Grafik zur Umsatzkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel

Ein Drittel der Inflation bei Nahrungs- und Genussmitteln ist auf die zunehmende Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel zurückzuführen. Zu diesem Schluss kommen die Ökonomen Prof. Rainer Lademann und Dr. Mitja Kleczka.

Die Wettbewerbsexperten haben die Strukturen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) in Deutschland genau untersucht. Auf Basis ihrer Analyse kommen sie zu dem Ergebnis, dass die vier Unternehmensgruppen Edeka, Rewe, Schwarz und Aldi eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. Im Jahr 2021 entfielen auf das Quartett 85,5 Prozent des Umsatzes mit Lebensmitteln im Einzelhandel.

„Die Konzentration hat bedenkliche Ausmaße erreicht“, sagt Prof. Lademann. Die Folge: Der Wettbewerb funktioniert nicht mehr. Die Verbraucher bezahlen überhöhte Preise. Darum fordern die Ökonomen, die vier Oligopolisten der Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt zu unterwerfen.

Der Vorwurf: Führende Lebensmittelhändler haben die Inflation angeheizt

Lange Zeit galt der intensive Wettbewerb zwischen den Einzelhandelsketten als Garant für sehr niedrige Lebensmittelpreise in Deutschland. Doch das Narrativ des „weißen Ritters“, der zum Wohl der Konsumenten wirkt, kann nach Einschätzung von Lademann und Kleczka nicht länger aufrechterhalten werden.

Eine ökonometrische Analyse zeige, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland gerade zu einem Zeitpunkt zu steigen begannen, als sich die Konzentration im Lebensmittelhandel beschleunigte. Um 2003 herum zeige die Datenlage eine signifikanten Strukturbruch. Rechnerisch hätten die führenden Händler die Inflation nicht gedämpft, sondern jährlich um etwa 0,5 Prozentpunkte erhöht.

Nahrungsmittelpreise steigen derzeit extrem schnell

Der Handel habe seit Anfang der 2000er Jahre deutliche Preissetzungsspielräume zulasten der Verbraucher genutzt, stellen die Ökonomen fest. Diese Analyse der Wirtschaftsexperten ist brisant im aktuellen Umfeld extrem hoher Inflationsraten: Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich im Februar 2023 um 21,8 % gegenüber dem Vorjahresmonat.

Als wesentliche Ursachen gelten die seit Beginn des Ukraine-Krieges stark gestiegenen Preise für Energie und Agrarrohstoffe. Die Untersuchung der Kartellexperten legt den Schluss nahe, dass zumindest ein Teil der Preissteigerung auch auf die Marktmacht des Handels zurückzuführen ist.

Gewinne im Lebensmittelhandel übersteigen die der Industrie

Die Ökonomen sehen ihre These zum Einzelhandel als Inflationstreiber durch die Gewinne der Handelsriesen gestützt. Inzwischen erziele der Lebensmitteleinzelhandel vermutlich höhere Eigenkapitalrenditen als die Ernährungsindustrie, schätzen Lademann und Kleczka.

Auf der Basis eigener Berechnungen beziffern sie die Eigenkapitalrendite für 2019

  • in den Regionalgesellschaften von Aldi Süd auf 19,7 Prozent,
  • bei Aldi Nord auf 18,1 Prozent,
  • bei den selbstständigen Rewe-Händlern auf 18,5 Prozent und
  • für die Edeka-Zentrale auf 17,3 Prozent.

Die Nahrungs- und Genussmittelindustrie kam hingegen im Durchschnitt auf eine Rendite von 12,9 Prozent.

Einzelhändler drohen und sanktionieren ihre Lieferanten

Erfahrungswerte aus dem Umgang mit Einkäufern des Lebensmitteleinzelhandels

Für ihre Analyse befragten die Kartellexperten zahlreiche Hersteller von Lebensmitteln, aber auch von Drogerieartikeln. Der überwiegende Teil der Befragten klagte über unfaire Handelspraktiken, wie sie nach dem Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich (AgrarOLkG) verboten sind.

Die Mehrheit war von den Einkäufern des Einzelhandels schon einmal mit starken Drohungen und Sanktionen konfrontiert worden. 85 Prozent sagten, die Verhandlungen fänden allgemein nicht auf Augenhöhe statt. Neun von zehn Herstellern können es sich aber nicht leisten, sich mit der Spitzengruppe des Handels nicht zu einigen. Dann wären sie aufgrund der einseitigen Abhängigkeit in ihrer Existenz gefährdet.

Der Lebensmittelhandel baut eigene Produktionskapazitäten auf

Die Wirtschaftsexperten warnen, dass ein zunehmender Teil der Ernährungsindustrie zum verlängerten Arm des Lebensmitteleinzelhandels, zum reinen Zulieferer wird. Den Hersteller bleibt nicht genug Geld in den Kassen, um innovative Produkte zu entwickeln.

Außerdem baue der Handel zunehmend eigene Fertigungskapazitäten auf oder übernehme sie von der Industrie. Beispielsweise übernahm die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) im Oktober 2022 mit der Firma Erfurter Teigwaren den größten Nudelhersteller Deutschlands. Das Kartellamt hatte die Übernahme freigegeben. Nur einen Monat später kaufte die Schwarz-Gruppe die Papierfabrik Maxau.

Edeka, Deutschland größter Lebensmittelhändler, betreibt inzwischen 14 Fleischwerke, 14 regionale Backbetriebe, zwei Mineralbrunnen und zwei Weinkellereien.

Viereroligopol aus Edeka, Rewe, Aldi und Schwarz genauer untersuchen

Lademann und Kleczka haben die Ergebnisse ihrer Untersuchungen in dem Buch „Marktbeherrschung im Lebensmitteleinzelhandel?“ zusammengefasst, das im März in der ZLR-Schriftenreihe erschienen ist. Sie stellen darin fest, dass der LEH viele Konditionen mit der Industrie nicht mehr verhandelt, sondern „setzt“, sprich vorschreibt. Die große Mehrheit der Lieferanten werde regelmäßig diszipliniert und bedroht.

Die Ökonomen schlagen darum nicht nur vor, dass das Kartellamt das Viereroligopol aus Edeka, Rewe, Aldi und Schwarz der Missbrauchsaufsicht unterstellt. Zu prüfen wäre auch, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) um Vorschriften aus dem AgrarOLkG zu den verbotenen Handelspraktiken zu ergänzen.

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