
"Unternehmen, die in Russland bleiben, stehen unter einem gewaltigen Rechtfertigungsdruck", sagt der Marketingexperte Karsten Kilian von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg. Es seien spezielle Branchen, die mit Russland im Geschäft bleiben, stellt Michael Harms fest, der Chef des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft.
Vor allem sind es Unternehmen aus der Pharmaindustrie und der Agrarchemie, aber auch aus dem Handel mit Grundnahrungsmitteln, Konsumgütern und Landtechnik. Zu den bekanntesten gehören neben dem Pharma- und Agrarchemie-Unternehmen Bayer der Großhändler Metro, der Landmaschinenhersteller Claas sowie der Bau- und Lebensmittelmarkt Globus. Dazu kommen der Konsumgüterkonzern Henkel, die Pharmafirmen Merck und Stada, die Medizintechnikfirma Fresenius und etliche Banken wie die Deutsche Bank und die Commerzbank.
Bis zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs waren laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) rund 3.650 deutsche Firmen in Russland aktiv. Viele Firmen seien seit Jahrzehnten in Russland tätig und hätten Verantwortung für rund 280.000 Beschäftigte, sagt Michael Harms. Das bilaterale Handelsvolumen lag 2021 bei knapp 60 Milliarden Euro. Im Rekordjahr 2012, das war vor der Annexion der Krim, waren es deutlich über 6.000 Unternehmen und das Handelsvolumen erreichte 80 Milliarden Euro.
Unternehmen stehen unter großem Druck zu gehen

Fast alle Firmen die bleiben, haben in Stellungnahmen betont, dass sie den Krieg in der Ukraine ausdrücklich ablehnen. Der Bayer-Konzern, der weltweit zu den führenden Saatgut-Herstellern gehört, hat russischen Landwirten nach eigenen Angaben für die Anbausaison in diesem Jahr bereits "essenzielle" Betriebsmittel bereitgestellt. Über Lieferungen für 2023 und darüber hinaus wolle das Unternehmen aber erst später entscheiden - abhängig vom weiteren Vorgehen Russlands, sagte das Unternehmen gegenüber tagesschau.de.
Der Handelsexperte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Düsseldorf sagt dazu: „Es ist nicht einfach zu begründen, warum man weiterhin Geschäfte in einem Land macht, dass einen Krieg angefangen hat. Ein Unternehmen muss schon eine sehr gute Argumentation haben, wenn es den russischen Markt weiter beliefern will, sonst droht ein nachhaltiger Imageschaden.“
Michael Harms vom Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft begründet das folgendermaßen: „Das ist eine sehr schwierige Abwägung im Einzelfall, wir sehen das, die Politik sieht das und die betroffenen Firmen sehen das. Stand jetzt haben sich viele Firmen erst einmal entschieden, das Geschäft weiter beizubehalten."
Claas bleibt in Krasnodar – Bayer liefert Saatgut und Medikamente

Viele Firmen halten an ihrer Tätigkeit in Russland wegen der großen Investitionen aus den letzten Jahren fest. So hat Landmaschinenhersteller Claas in den vergangenen fünf Jahren die Produktion mit Mähdreschern in seinem südrussischen Standort in Krasnodar vervierfacht. 2021 hatte Claas erneut in das Werk investiert und die Zahl der Mitarbeiter auf 800 aufgestockt. Die Investitionen von insgesamt fast 150 Millionen Euro will die Firma trotz der aktuellen Lage offenbar nicht aufgeben, berichtet das Handelsblatt.
Doch diese Investitionen könnten gefährdet sein, weil „ausländische Unternehmen in Russland vor der Gefahr stehen, im äußersten Fall enteignet zu werden“, sagt Andreas Knaul von der Kanzlei Rödl & Partner im Handelsblatt. So dürfen westliche Firmen in Russland nicht mehr mit Kunden und Lieferanten zusammenarbeiten, die von den Sanktionen betroffen sind. Zudem müssen in Russland ansässige Firmen rückwirkend zum Jahresbeginn 80 Prozent ihrer Exporterlöse in Rubel umtauschen.
Der Pharmariese Bayer kündigte zwar an, alle "nicht-essenziellen Geschäfte" in Russland und Weißrussland zu beenden. Das bedeutet aber keinen vollständigen Lieferstopp. Vorerst will das Unternehmen weiterhin Gesundheits- und Landwirtschaftsprodukte nach Russland liefern, etwa Mittel zur Behandlung von Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Saatgut für Landwirte. Eine andere Entscheidung "würde die Zahl an Menschenleben, die dieser Krieg fordert, nur vervielfachen", teilte Bayer mit. Das Unternehmen beschäftigt in Russland rund 1.800 Mitarbeiter und macht dort zwei Prozent des Umsatzes.
Metro macht 10 Prozent ihres Umsatzes in Russland
Die Metro zählt zu den deutschen Firmen, deren Russlandgeschäft besonders groß ist: In 93 Märkten erwirtschaftet der Konzern fast ein Zehntel seines Umsatzes und ist dort deutlich profitabler als im Heimatmarkt.
Die Einstellung des Geschäftsbetriebs in Russland hätte „erhebliche Auswirkungen“ auf die Arbeitsplätze von 10.000 Menschen und das Geschäft von 2,5 Millionen Betrieben, sagt Unternehmenschef Steffen Greubel. „Deshalb haben wir uns entschieden, unser Russlandgeschäft aufrechtzuerhalten“.
Auch die Handelskette Globus hält ihre 19 Hypermärkte in Russland weiter offen und verweist dabei auf die knapp 10.000 russischen Beschäftigten. Globus-Chef Matthias Bruch sagt: „Als Lebensmittelhändler sehen wir uns in einer besonderen Verantwortung unseren russischen Kunden gegenüber. Wir sind mitverantwortlich für die Grundversorgung der Menschen.“
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