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Landwirtschaft und Gesellschaft

Agrarstruktur: Von Heuschrecken und Großbetrieben

Agrarflächen
am Freitag, 01.11.2019 - 17:00 (1 Kommentar)

Nicht nur die kleinen Höfe kämpfen ums Überleben. Im Osten kaufen Investoren große Agrarbetriebe und Flächen.

Es entstehen ganz neue  - meist noch größere Unternehmen. Andreas Tietz vom Thünen-Institut hat sich lange mit dieser Entwicklung befasst. Er sagt: „Landwirtschaftsfläche ist in Zeiten niedriger Zinsen und unsicherer Finanzmärkte eine gefragte Wertanlage. Die Böden sind aber die Existenzgrundlage der Landwirtschaft. Es wird für Landwirte zunehmend schwierig, diese Existenzgrundlage zu sichern“.

Dabei ist die Geschichte der ostdeutschen Großbetriebe eigentlich eine Erfolgsstory. Nach dem Ende der DDR entstanden in sehr kurzer Zeit moderne und wettbewerbsfähige Agrarunternehmen. Eine Besonderheit war: Die ostdeutschen Agrarbetriebe wurden überwiegend von Ostdeutschen geführt. Sie sicherten Arbeitslätze in strukturschwachen ostdeutschen Regionen, in den es kaum andere Arbeit gab. Sie zahlen Steuern und sind wie in Ostzeiten auch in den Gemeinden engagiert.

Ein Nebeneffekt: Im Osten entstanden auch gigantische Ökobetreibe mit mehreren Tausend Hektar. Doch die Zeiten ändern sich: Viele Betriebsleiter gehen in Rente oder finden keinen Nachfolger. Mehrere ökonomisch sehr schlechte Jahre brachten viele Unternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage – also muss frisches Geld her. Und außerdem: Die explodierenden Preise am Pacht- und Bodenmarkt sorgten für steigende Kosten. Und sie locken reihenweise außerlandwirtschaftliche Investoren an. Die Folgen sind derzeit zu besichtigen.

Ein Drittel in fremder Hand

agrarflächen

Das sind die Fakten: Andreas Tietz vom Thünen-Institut hat in den fünf ostdeutschen Bundesländern untersucht, wie sich die Eigentümer-Strukturen seit 2007 verändert haben. Das Ergebnis: Anfang 2017 waren bei jedem dritten Agrarbetrieb ortsfremde, überregional aktive Investoren die Mehrheitseigentümer.

Am höchsten war der Anteil der ortsfremden Investoren mit 41 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch in den anderen Bundesländern wächst die Quote rasant: In Brandenburg befanden sich 36 Prozent  der Betriebe überwiegend in der Hand von ortfremden Investoren, in Sachsen waren es 32  Prozent, in Thüringen 23 Prozent und in Sachsen-Anhalt 22 Prozent.

In knapp drei Viertel aller Fälle waren die Käufer überregional aktive Investoren. Dabei ging etwa die Hälfte der Fläche an landwirtschaftsnahe Investoren – das waren überwiegend Landwirte aus dem Westen. Die andere Hälfte der Flächen kauften Investoren aus anderen Wirtschaftsbereichen. Eine Folge dieser Entwicklung ist der horrende Anstieg der Bodenpreise. Während sich die Preise im Westen etwa verdoppelten, haben sie sich im Osten seit 2007 verdreifacht.

Wer sind die Heuschrecken?

Rinder Weide

Wer aber sind diese Investoren und neuen Eigentümer – die sogenannten Heuschrecken?  Der bekannteste Fall ist sicher die KTG-Agrar. Das Unternehmen bewirtschaftete vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg zeitweise bis 45.000 Hektar Land. Davon etwa 20.000 Hektar als Eigentum. Nach der Pleite 2016 übernahm die neu gegründete Deutsche Agrar Holding (DAH) den Großteil der Flächen und bewirtschaftet sie weiter. Die DAH ist ein Tochterunternehmen der Gustav Zech Stiftung, mit Sitz in Bremen. Dahinter steckt eine Bau- und Beteiligungsfirma. Auch der Versicherungskonzern MunichRe kaufte aus der Vermögensmasse von KTG Agrar Land.

Beispiel Mecklenburg-Vorpommern: Große Investoren mit vielen Tausend Hektar sind das Pharma-Unternehmen Merkle, Remondis-Gründer Rethmann, Heiztechnik-Hersteller Martin Viessman, Möbelfabrikant Steinhof, der Großindustrielle Silvio Dornier oder die Eigentümer des Logistik-Unternehmens Fiege. Um nur einige zu nennen. Letztere haben einen der größten Ökobetriebe in Ostdeutschland zusammengekauft - insgesamt mehrere Tausend Hektar.

„Wie groß diese Unternehmen wirklich sind weiß niemand so genau“, sagt der Bauernpräsident von MV Detlef Kurrek. Für ihn ist die Geldpolitik – also die niedrigen Zinsen der EZB – verantwortlich für diese Entwicklung. „Konzerne legen billiges Geld an und kaufen den Markt leer. Es brauche mehr Regeln“, sagt Kurreck. Er kritisiert – wie andere ostdeutsche Bauernverbände auch – die Agrarpolitik, „die fremde Großkonzerne und ansässige Bauern mit viel Land in einen Topf werfen wollte.

Dem können wir nicht zustimmen“, sagt Kurreck. Aus Sicht des Bauernverbandes sei es entscheidend, „dass beim Besitzwechsel der Betrieb erhalten bleibt, dass regional produziert wird, die Betriebe breit aufgestellt sind und sich im Dorf engagieren.“

Einkaufen über Share Deals

Acker

Und wie läuft die Übernahme ab? Dem Grundstückverkehrsgesetz zufolge müsste der Kauf von Landwirtschaftsflächen behördlich genehmigt werden. Der Grund: Bauern aus der Region erhalten ein Vorkaufsrecht um die regionale Landwirtschaft zu schützen. Aber es gibt eine Lücke: Das meiste Land geht nämlich über so genannte Share Deals weg.

Das bedeutet: Ein Investor übernimmt mehrheitlich die Anteile des Agrarunternehmens, dem das Land gehört. Damit braucht er den Acker nicht direkt zu kaufen. Er geht indirekt in sein Eigentum über. Und die ostdeutschen Großbetriebe haben in den Letzen Jahren immer mehr Flächen gekauft: Im Jahr 1999 waren nur 5 Prozent der bewirtschaften Flächen im Eigentum der Agrarunternehmen - 95 Prozent war Pachtland. Bis 2017 hat sich der Eigentumsanteil jedoch auf 25 Prozent erhöht.

Ein Grund für die Flächenkäufe waren die rasant steigenden Pacht- und Bodenpreise. Darauf reagierten viele Betreibe – wenn dies finanziell möglich war - mit  Zukäufen. Diese im Betriebseigentum befindlichen Flächen gehen an die neuen Kapitaleigentümer über.

Behörden schauen zu

Und der Anteil der über ShareDeals gehandelten Flächen ist beträchtlich. Andreas Tietz vom Thünen-Institut sagt: „Die Eigentumsflächen die auf diese Weise übertragen wurden machten etwa 18 Prozent der behördlich genehmigten Flächenverkäufe im Untersuchungszeitraum aus.“ Auf diese Weise geht auf dem Weg der ShareDeals immer mehr Land indirekt auf die neuen Eigentümer über. Auch ohne behördliche Genehmigung.

Kauft der Investor weniger als 95 Prozent der Unternehmensanteile, spart er außerdem noch die Grunderwerbsteuer. Hinzu kommt: Die Eigentümer versteuern ihre Gewinne an ihren Firmensitzen. Die Gemeinden vor Ort schauen in die Röhre. „Diese Entwicklung führt dazu, dass das Grundstückverkehrsgesetz in Ostdeutschland faktisch an Wirksamkeit verliert“, kritisiert Andreas Tietz die Entwicklung.

Tietz fordert, die Geschäfte mit Boden in der Öffentlichkeit transparenter zu machen. Die Bundesregierung hat in deshalb einen Gesetzentwurf zur Eindämmung der Share Deals vorgelegt. Der Beschluss wurde jedoch Ende Oktober verschoben, so dass die Neuregelung nicht am 1. Januar 2020 in Kraft treten kann.

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