Der Alpen.Gipfel.Europa.2022, den das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt am 23. Juni auf der unteren Firstalm am Spitzingsee präsentiert, steht unter dem Motto: „Biodiversität – Bleibt der Bauer, lebt die Alm“. Er stellt die Rolle der Berglandwirtschaft für diesen einzigartigen Natur- und Lebensraum in den Fokus. Politiker, Verbände, Naturschützer, Touristiker und Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, Südtirol und der Schweiz treten in einen konstruktiven Dialog und zeigen Lösungsansätze für die Zukunft der Berglandwirtschaft mit ihren der Almwirten und Alpwirten auf.
Sind die Alpen unberührte Natur?

Die meisten Menschen glauben, sie bewegen sich in unberührter Natur, wenn sie in den Bergen unterwegs sind. Die Bäuerinnen und Bauern, die Sennerinnen und Hirten wissen, dass das nicht stimmt. Josef Steinmüller vom Sockhof bei Oberaudorf sagt mit einem stolzen Unterton: „Unseren Hof gibt es seit 600 Jahren, den Nachbarhof seit 1000 Jahren.“ Seit dieser Zeit wird die Landschaft vom Menschen kultiviert. Leichtfüßig marschiert Steinmüller über die Wiese vor seinem Hof und vergleicht die Almen mit natürlichen Graslandsystemen wie der Prärie in den USA oder der Serengeti in Afrika, wo ebenfalls Wiederkäuer durch die Beweidung das Ökosystem erhalten.
Warum die Artenvielfalt auf bewirtschafteten Almen hoch ist

„Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir mit unserem Bewirtschaftungssystem über Jahrhunderte die kompletten Ökosystemfunktionen aufrecht erhalten konnten“, so Steinmüller weiter. Er verweist besonders auf die sehr hohe Biodiversität und zählt Blumen, Gräser, Kräuter, Singvögel und Greifvögel sowie die sauberen Gewässer auf. Dabei sei die Qualität der Böden durch die Bewirtschaftung keineswegs schlechter, sondern sogar besser geworden. „Wir haben über zehn Prozent Humus, das ist enorm“, betont der Landwirt.
Warum Almen und Alpen keine Wildnis sind

Dennoch, so stellt Almbäuerin Brigitta Regauer aus Hagnberg bei Fischbachau heraus, sind die Almen und Alpen keine Wildnis. Wildnis, das sind Gebiete, in denen der Mensch überhaupt nicht eingreift. Almen und Alpen dagegen sind durch gezielte Weideführung, durch Entbuschen und durch gezieltes Steuern des Baumbestandes entstanden und werden so gestaltet, dass es für die Almwirtschaft am besten ist. Würden die Almen nicht mehr bewirtschaftet, stiege aufgrund der Klimaerwärmung die Baumgrenze, die Flächen würden verbuschen und verwalden und die Erosion nähme zu.
Bergbauern wollen sich Zeit für andere nehmen
Sich Zeit nehmen für die Menschen, das ist dabei ein ganz wichtiger Baustein. Sepp Steinmüller sagt: „Es ist heute nicht mehr selbstverständlich, dass die Menschen Ahnung haben von der Landwirtschaft.“ Auf dem Sockhof, der auch Urlaub auf dem Bauernhof anbietet, nutze man jede Gelegenheit zum Gespräch, bei der Arbeit auf den Flächen oder auf dem Hof. Die Menschen wollen Natur genießen, entspannen und eine schöne Landschaft sehen. „In dem Moment kann man sie sehr gut abholen, ich glaube, wir bringen unsere Botschaft ganz gut an“, so Steinmüller.
Warum es Weideschutzgebiete als Schutz vor dem Wolf braucht

Sorgenvoll sehen die Bergbauern beim Thema Wolf in die Zukunft. Brigitta Regauer blickt sorgenvoll auf die Alpenkette vor Hagnberg bei Fischbachau. Es könne nicht sein, dass eine Art, die weltweit vorkommt und nicht gefährdet ist, die Almwirtschaft unmöglich macht, betont sie. Damit würden auch Arten verdrängt, die Lebensräume brauchen, die durch die Berglandwirtschaft geschaffen wurden. „Wir brauchen Weideschutzgebiete“, fordert Regauer, also Regionen, aus denen der Wolf komplett herausgehalten wird. Herdenschutzhunde seien eine Lösung für abgelegene Täler, wo nur der Eigentümer hinkomme. Auf den touristisch intensiv genutzten Almen und Alpen gebe es dagegen großes Konfliktpotenzial mit Wanderern, Radfahren und Hunden. „Das ist nicht lustig, da steht man als Bewirtschafter mit einem Bein im Gefängnis“, so Regauer. Zäunen funktioniere auch nicht, weil auf unebenem und felsigem Untergrund ein Untergrabschutz nicht möglich ist und weil die Wölfe von der Bergseite her leicht einspringen können. „Wolf und Weidewirtschaft haben noch nie zusammenpasst“, so Regauers Fazit: „In meinem Schlafzimmer steht ein Schrank aus dem Jahr 1783. Darauf ist eine Heilige abgebildet, zu der sich Schafe geflüchtet haben. Und sie zielt mit einem Speer auf einen Wolf.“
Wer steht hinter dem Alpengipfel?
Walter Heidl, Präsident des Bayerischen Bauernverbands, freut sich besonders, dass beim Alpengipfel eine breite Allianz an Organisationen vor Ort ist. Sie wollen gemeinsam aufzeigen, „dass die Bergbauern tagtäglich mit harter Arbeit dafür sorgen, dass alle Menschen, die in die Alpen kommen, eine wunderbare Kulturlandschaft genießen und sich in ihr erholen können.“ Es brauche aber Rahmenbedingungen, die den Bergbauern Wertschätzung entgegenbringen und Wertschöpfung ermöglichen.
Welche Politikerinnen und Politiker sind beim Alpengipfel vor Ort?
Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber ist ebenso beim Alpengipfel vor Ort mit dabei, wie der Südtiroler Europaabgeordnete Herbert Dorfmann und Österreichs neuer Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig. Den bäuerlichen Berufsstand vertreten Walter Heidl (Bayerischer Bauernverband), Joachim Rukwied (Deutscher Bauernverband), Leo Tiefenthaler (Südtiroler Bauernbund), Georg Strasser (Bauernbund Österreich) und Thomas Roffler (Bündener Bauernbund).
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