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Außenhandel und Agrarpreise

Brexit: Landwirte zahlen die Rechnung

Britische und Europa-Flagge
am Mittwoch, 20.02.2019 - 11:50

Der bevorstehende Brexit dürfte für heftige Turbulenzen an den Agrarmärkten sorgen.

Das bestätigte auch der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) auf seiner Bilanzpresse-Konferenz in Berlin. Egal ob es am Ende einen harten oder weichen Ausstieg gibt, die Agrarpreise in Deutschland und anderen europäischen Exportländern dürften erheblich unter Druck geraten.

Grund sind die massiven Veränderungen der Handelsströme durch die neuen politischen und  regulatorischen Rahmenbedingungen. Ein erheblicher Teil der bisher im Vereinigten Königreich abgesetzten Agrarprodukte dürfte nach dem Brexit auf den europäischen und vor allem auf den deutschen Binnenmarkt drücken. 

Möglicherweise wurden die direkten und indirekten Auswirkungen des Brexit auf die Landwirtschaft und auf die Agrarpreise am europäischen Binnenmarkt bislang unterschätzt. Das könnte sich rächen.

Schlimmer als das Russland-Embargo

Containerschiff

„Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem ungeordneten Brexit kommt, ist gestiegen. Dies betrachten wir mit großer Sorge“, sagte der DRV-Hauptgeschäftsführer Dr. Henning Ehlers auf der DRV-Bilanz-Pressekonferenz in Berlin. „Insgesamt dürften Exporte aus Deutschland nach Großbritannien – immerhin dem viertwichtigsten Abnehmerland – zurückgehen.

Gleichzeitig wird mehr Ware aus anderen EU-Ländern, die ursprünglich für den britischen Markt bestimmt war, auf den deutschen Markt umgeleitet werden. Die Folge der Verschiebung der Warenströme wäre ein deutlich höherer Preisdruck auf vielen Agrarmärkten“, sagte Ehlers weiter.  

Vor einigen Wochen hatte bereits Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), vor den Folgen eines harten Brexit gewarnt. Die Folgen eines „no deal“ beim Austritt der Briten aus der EU könnten dramatischer als beim Russland-Embargo 2014 werden, hatte Rukwied prognostiziert. Wegen des Russlandembargos musste die deutsche Landwirtschaft Einkommensverluste von einer halben Milliarde Euro verkraften.

Je härter der Brexit, je höher die Kosten

Das Thünen-Institut hatte 2018 in einer Studie die Folge eines „weichen“ und eines „harten“ Brexit-Szenarios untersucht. Die Begriffe "hart" und "weich" bezeichneten dabei die Art und Weise, in der die administrativen Verhältnisse nach einem Austritt zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU geregelt werden.

Auf jeden Fall würden auch bei einem weichen Brexit zusätzliche administrative Kosten im Handel entstehen. Je härter der Brexit ausfällt, desto stärker werden die Veränderungen und je höher werden die Kosten für die Exporteure sein, ist ein Fazit der Studie. Für die deutsche und europäische Landwirtschaft hätte ein harter Brexit deutlich höhere Zölle sowie ein stärkeres regulatorisches Auseinanderdriften zur Folge.

Auch ein weicher Brexit hat Folgen

Für das „weiche“ Brexit-Szenario geht das Thünen-Istitut davon aus, dass im Rahmen eines Freihandelsabkommens nicht-tarifäre Handelskosten in Höhe von 10 Prozent für alle gehandelten Güter entstehen. Dies lässt sich mit möglichen Unterschieden von Regularien und Produktstandards nach dem Brexit erklären. Möglich wäre etwa, dass eine vorher bestandene gegenseitige Anerkennung von Standards entfällt oder dass bereits harmonisierte Standards im Laufe der Zeit auseinanderdriften. Beides würde eine Zunahme nicht-tarifärer Handelskosten bedeuten.

Bei einem „harten“ Brexit würden zusätzlich zu den nicht-tarifären Handelskosten außerdem noch Zölle eingeführt. Diese ergeben sich, wenn das Vereinigte Königreich und die EU unter den üblichen WTO-Bedingungen handeln würden. Betroffen von dieser Regelung wären vor allem Fleischprodukte, Molkereierzeugnisse sowie Zucker. Dabei wäre der Effekt eines "harten" Brexit  auf den Agrarhandel etwa dreimal so hoch wie bei einem „weichen“ Ausstieg.

Handelsüberschuss schrumpft drastisch

Einzelne Produktgruppen wären besonders stark vom Brexit betroffen. Insbesondere Fleisch und Milchprodukte, aber auch Qualitätsweizen wurden in der Vergangenheit in großem Umfang von Deutschland in das Vereinigte Königreich exportiert. Nach den Niederlanden, Frankreich und Italien sind die Briten der viertwichtigste Exportmarkt für deutsche Agrarprodukte.

Die wertmäßigen Ausfuhren beliefen sich im Jahr 2016 auf rund 4,7 Mrd. Euro. Gleichzeitig wurden Agrargüter im Wert von ca. 1,6 Mrd. Euro von den britischen Inseln importiert. Damit übertrafen die deutschen Agrarexporte die Importe um mehr als 3,1 Mrd. Euro. Aus deutscher Sicht ist das Vereinigte Königreich damit der Handelspartner, mit dem Deutschland den mit Abstand größten Agrarhandelsüberschuss aufweist.

Die Berechnungen des Thünen-Instituts zeigen außerdem, dass der Agrarhandelsüberschuss Deutschlands bei einem harten und auch bei einem weichen Brexit deutlich schrumpfen würde. Bei einem "weichen" Brexit würde sich der Agrarhandelsüberschuss um etwa ein Fünftel verringern. Bei einem "harten" Brexit käme es zu einer Halbierung.