Die Corona-Pandemie stürzt die globalen Agrarmärkte ins Chaos. Immer mehr Länder verhängen Exportstopps, um die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern. Andere Staaten versuchen verzweifelt große Mengen Reis, Weizen und andere Grundnahrungsmittel zu kaufen. Bei internationalen Organisationen wie Welternährungsorganisation (FAO) schrillen die Alarmglocken.
Die FAO warnt, dass die globale Ernährungssicherheit gefährdet ist – obwohl eigentlich genug Nahrungsmittel vorhanden sind. Abdolreza Abbassian, leitender Ökonom der FAO sagt: „Sie brauchen nur Panikkäufe von großen Importeuren oder Regierungen, um eine Krise auszulösen. Was ist, wenn einige Großabnehmer glauben, im Mai oder Juni keine Weizen- oder Reisimporte mehr erhalten zu können? Das würde zu einer globalen Nahrungsmittelkrise führen.“
Ökonomen wie Fabrizio Zilibotti von der Universität Yale sprechen deshalb von einem globalen Angebotsschock.
Wird es für die Märkte noch schlimmer?
Doch die Pandemie breitet sich immer weiter aus und mit ihr die Panik in den betroffenen Ländern. Hinzu kommt: Immer mehr Menschen sind von Quarantäne betroffen, um die sich rasend schnell ausbreitende Pandemie einzudämmen. Mitte April waren über 1.997.321 Menschen in 200 Ländern infiziert und bereits mehr als 127.601 Menschen gestorben.
In fast allen vom Virus betroffenen Regionen kommt es zu Panikkäufen bei Grundnahrungsmitteln. Leere Regale in den Supermärkten und Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung waren die Folge. Und die meisten Fachleute glauben, dass es noch schlimmer kommt.
"Dem Export und den Lieferketten steht das Schlimmste erst noch bevor“, befürchtet Larry Hu, Chefvolkswirt bei der Macquarie Bank. Und das gilt offenbar in gleichem Maße für Europa, die USA, China, Indien, Afrika und Südamerika.
Es ist Panik und nicht rational
Die Sorge, dass sich die Versorgungskrise weiter zuspitzt, scheint sich jeden Tag aufs Neue zu bestätigen. Immer mehr Länder beginnen den Export von Grundnahrungsmitteln einzuschränken, um sicherzustellen, dass die eigene Bevölkerung – trotz Quarantäne – über genügend Lebensmittel verfügt. Damit werden die globalen Lieferketten aber immer stärker gestört.
"Viele Leute machen sich große Sorgen", sagt Phin Ziebell, Agrarökonom bei der National Australia Bank. "Wenn große Exporteure anfangen, Getreide im Land zu behalten und einzulagern, dann werden die Käufer wirklich besorgt. Es ist eine Panik und nicht rational, da die Welt eigentlich gut mit Lebensmitteln versorgt ist", betont, Ziebell. Doch die Ereignisse entwickeln eine eigene Dynamik und schaffen Fakten.
Ende März haben Vietnam, der drittgrößte globale Reisexporteur, und Kasachstan, ein wichtiger Weizenexporteur, den Export von Reis und Weizen gestoppt. Vietnam hat zudem angekündigt mehrere 100.000 Tonnen Reis einzulagern, um die Versorgung bei Störungen der Lieferketten sicherzustellen. Kurz zuvor waren die vietnamesischen Reispreise auf ein 7-Jahreshoch gestiegen. Für Vietnam hat die Ernährungssicherung der Bevölkerung oberste Priorität ", teilte das vietnamesische Finanzministerium mit. Andere südostasiatische Staaten kündigten daraufhin ähnliche Maßnahmen an.
Chaos in Indien, Exportobergrenze in Russland
Ende März hat dann auch Indien, der weltweit größte Reisexporteur, eine Quarantäne über das ganze Land verhängt. Auf dem Subkontinent sind mehr als die Hälfte der 1,3 Milliarden Menschen von der Landwirtschaft abhängig. Die Quarantäne hat die Transport-Logistik im Inland und im Export zum Erliegen gebracht und massive Hamsterkäufe und Preisturbulenzen ausgelöst. Mit spürbaren Folgen für alle umliegenden Länder. "Mühlen und Bauern lagern mittlerweile Reis ein, da die Sorge über eine Nahrungsmittelknappheit zunimmt, falls der Ausbruch des Coronavirus sich weiter verschlimmert", berichtet ein Reishändler aus Bangkok.
Ende März haben Russland und die Ukraine angekündigt, ihre Getreideausfuhren auf eine bestimmte Menge zu begrenzen – und sie behalten sich weitere Maßnahmen vor. "Es ist zwar nur eine symbolische Geste, aber eine besorgniserregende", sagte ein europäischer Händler. Beide Länder gehören zu den globalen Top-Exporteuren bei Weizen - aber auch bei Gerste und Mais. Auslöser für diese Maßnahmen waren ebenfalls Hamsterkäufe und steigende Preise für Brot und Grundnahrungsmittel.
Ein besonderer Fall ist China. Während Störungen in der Lieferkette die Lebensmittelpreise kräftig nach oben treiben, hat die wegbrechende Nachfrage die Preise für Waren und Dienstleistungen belastet“, sagte Julian Evans-Pritchard, leitender Ökonom bei Capital Economics. Zudem hat das Reich der Mitte hat seine Reisexporte ebenfalls gestoppt, nachdem die Nahrungsmittel so teuer wurden wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Dabei verfügt China bei den meisten Grundnahrungsmitteln über gigantische Reserven. Doch die Versorgungsketten sind oft weiterhin unterbrochen und außerdem kämpft das Land weiter massiv mit den Folgen der Afrikanischen Schweinepest (ASP).
Preisturbulenzen mit Ansage
„Die Folge der Versorgungskrise könnte ein sehr kräftigen Anstieg der globalen Nahrungsmittelpreise sein“, befürchtet der FAO-Ökonom Abdolreza Abbassia und dass obwohl es in den wichtigen Exportnationen eigentlich reichlich Grundnahrungsmittel wie Getreide und Reis gibt.
Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums soll die weltweite Produktion von Reis und Weizen – den wichtigsten und am meisten gehandelten Grundnahrungsmittel – in diesem Jahr einen Rekordwert erreichen. Die Produktion übertrifft auch den Verbrauch und würde theoretisch zu einem Anstieg der Lagerbestände auf einen Rekordwert führen. Doch das sind nur Zahlen und die Aktivitäten der Menschen und der Länder richten sich nicht danach.
Fakt ist: Wenn Handel und Logistik gestört sind, hat dies massive Auswirkung auf die Versorgung und auf die Agrarpreise. In welche Richtung es mit den Preisen jedoch geht, ist je nach Produkt, Region und Zeitpunkt sehr unterschiedlich. So sind die Preise für Reis und Weizen zuletzt kräftig gestiegen – während es für landwirtschaftliche Energierohstoffe – und zeitweise auch für Milch und Fleisch – wegen der unterbrochenen Lieferketten – steil nach unten ging.
Agrarhandel wird wohl oder übel leiden
Doch die aktuellen Entwicklungen sind nur eine Momentaufnahme. Die Märkte sind extrem nervös und reagieren auf die kleinste Veränderung. Einschränkungen im Personen- und Warenverkehr, die zahlreiche EU-Länder an ihren Grenzen als Reaktion auf die Pandemie eingeführt haben, stören auch in Europa die Lebensmittelversorgung massiv, berichten Vertreter aus Industrie und Handel.
Die Regierungen der G20-Gruppe führender Volkswirtschaften haben deshalb der Lebensmittelversorgung im Rahmen von Sofortmaßnahmen Priorität eingeräumt, und sich verpflichtet, im Rahmen ihrer Reaktion auf die Corona-Krise den internationalen Strom landwirtschaftlicher Güter sicherzustellen. Der Chef der Welthandelsorganisation (WTO) Roberto Azevedo sagte in einer Videobotschaft: "Jüngste Prognosen erwarten einen wirtschaftlichen Abschwung und Arbeitsplatzverluste, die schlimmer sind zur globalen Finanzkrise vor einem Dutzend Jahren".
Konkrete Daten seien noch nicht verfügbar, aber die WTO-Ökonomen erwarteten auch einen starken Rückgang des Handels – auch im Agrarbereich. Azevedo warnte deshalb: "Die Unsicherheit über die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln kann eine Welle von Exportbeschränkungen auslösen und zu einem Mangel auf dem Weltmarkt führen." „Solche Reaktionen können das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage von Nahrungsmitteln massiv stören, was zu Preisspitzen und einer hohen Preisvolatilität führt“, befürchtet der WTO-Chef.
Kommt eine zweite Schockwelle?
„Am Anfang der Krise stand ein Angebotsschock. Darauf könnte aber ein eben so heftiger Nachfrageschock folgen“, befürchte der Yale-Ökonom Zilibotti. Ursache ist das viele große Importländer und Regionen wie die USA und die EU, aber auch Indien und andere Staaten in Asien, weitreichende Quarantäne-Maßnahmen verhängt haben. Dadurch bricht die Wirtschaft in diesen Ländern massiv ein, weshalb die Nachfrage nach Gütern ebenfalls kollabiert. „Das ist definitiv eine zweite Schockwelle für die Wirtschaft“, sagt Xing Zhaopeng von der Australia & New Zealand Bank.
Abstürzende Preise, wegbrechender Absatz, fehlende Arbeitskräfte und schrumpfende Einnahmen, sowie mögliche Massenarbeitslosigkeit und Kaufkraftverlust, sind nur einige der Krisensymptome. Lange halten Bauern und Agrarwirtschaft das nicht durch. Natürlich auch die Gesamtwirtschaft nicht. Die Bundesregierung beschloss deshalb Notpakete von mehreren hundert Milliarden Euro. Ökonomen warnen jedoch davor, dass Geld allein unsere Wirtschaft nicht rettet.
Die große Frage lautet nämlich: Wie lange lässt sich der Shutdown der Wirtschaft überhaupt durchalten? Der Chef des Münchner Ifo-Instituts Clemens Fuest befürchtet: „Wenn der Shutdown länger dauert, beispielsweise drei Monate und dann ein paar Monate bis wir wieder das Normalniveau erreicht haben, dann ist man sehr schnell bei sehr hohen Wachstumseinbrüchen von bis zu 20 Prozent“.
Und noch eine Sache drückt mächtig auf die Nachfrage: Der massive Verfall der Ölpreise, um etwa zwei Drittel auf ein 20-Jahrestief. "Die Fähigkeit der Ölexporteure, Getreide und andere Nahrungsmittel zu kaufen, ist angesichts des Absturzes der Ölpreise und der Abwertung ihrer Währungen erheblich gesunken", sagte FAO-Ökonom Abbassian. "Es wird in diesen Ländern auch weniger Kapazitäten geben, um politische Maßnahmen zur Ankurbelung der Volkswirtschaften zu ergreifen." Das war übrigens auch schon in der Finanzkrise so.
Landwirtschaft ist systemrelevant
Die Landwirtschaft ist bereits massiv vom Shutdown und den Folgen der Corona-Epidemie in Deutschland und Europa betroffen. Analysten der Allianzversicherung rechnen mit einer beispiellosen Pleitewelle in Europa. Zu den am stärksten gefährdeten Sektoren gehört danach auch die Agrar- und Ernährungswirtschaft. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hat deshalb einen Maßnahmenplan vorgelegt, mit dem sie drohende Engpässe bei der Lebensmittelversorgung verhindern will.
Außerdem hat die Ministerin ein Hilfspaket für die Land- und Ernährungswirtschaft vorgeschlagen. Und sie will die Lebensmittelversorgungsketten in Takt halten. "Was nicht gesät, gepflanzt, geerntet, verarbeitet und transportiert wird, fehlt am Ende zur Versorgung unserer Bevölkerung“, sagt sie. Zudem drohe nach Einschätzung von Frau Klöckner „ein massiver Engpass an Arbeitskräften mit enormen Auswirkungen auf unsere Urproduktion". Eine Ursache ist: Zwischenzeitlich hatte das Bundesinnenministerium ein Einreiseverbot für Saisonarbeiter angeordnet. Hinzu kommen aber auch umfassende Quarantänemaßnahmen und Reisebeschränkungen in den Herkunftsländern der Arbeiter - und natürlich Ausfälle durch Erkrankungen.
Ein zentraler Punkt im Plan Frau Klöckner war deshalb: Die Agrar- und Lebensmittelbranche muss als „systemrelevante Infrastruktur" anerkannt und behandelt werden. Diesen Punkt hat das Bundeskabinett dann auch am 23. März 2020 beschlossen. Am am wichtigsten scheint jedoch zu sein, dass sämtliche Maßnahmen und Vorschläge möglichst schnell umgesetzt werden. Nur so kommen die Bauern einigermaßen durch diese schlimme Krise.
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