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Messstellen und Überdüngung

Düngeverordnung: Bauern misstrauen den Daten

Acker und Fluss
am Dienstag, 17.03.2020 - 08:30 (1 Kommentar)

Die neue Düngeverordnung kommt. Doch ihre Grundlagen werden bezweifelt. Nicht zu unrecht, wie fehlerhafte Messungen zeigen.

Angefangen hat alles mit dem Wissenschaftler Peter Seel. Er arbeitet im hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie und hat über mehrere Jahre den Phosphoreintrag in Flüssen gemessen. Dabei kam er zu völlig anderen Ergebnissen als das Bundesumweltamt (UBA), das die Quellen der Phosphor-Belastungen durch Modellrechnungen ermittelt.

Seel sagt dazu: „Modellrechnungen haben bisher den Beitrag der Kläranlagen deutlich unter- und den Beitrag der Landwirtschaft überschätzt.“ Das UBA sieht trotz aussagekräftiger Daten jedoch keinen Grund etwas an der Methodik der Messungen zu ändern. Auch die politisch Verantwortlichen sehen in den meisten Fällen keinen Handlungsbedarf. Das macht die Bauern misstrauisch. Sie bezweifeln vielerorts die möglicherweise fehlerhaften offiziellen Messergebnisse.

Doch das ist noch nicht alles: Die gleichen Probleme gab es bei der Messung der Nitratbelastung im Grundwasser. Dennoch wurden die methodisch fehlerhaften Daten nach Brüssel gemeldet. Das ist brisant, bilden sie doch die Grundlage für die verschärfte Düngeverordnung. Das ist zumindest fragwürdig. Eine Folge dieser Vorgehensweise sind jedenfalls die massivsten Bauernproteste der letzten Monate.

Kläranlagen als Quelle

Kläranlagen

Bei der Düngeverordnung steht Diskussion über die Nitratbelastung des Grundwassers im Vordergrund. Aufgefallen ist sind die fehlerhaften Messungen aber zuerst beim Phosphor. Dort ging das UBA davon aus, dass die Bauern mindestens für die Hälfte der Phosphatbelastung der Gewässer verantwortlich sind.

Doch die Messungen von Peter Seel zeigen: „Der Phosphor in den Gewässern stammte in Hessen zu etwa zwei Dritteln aus kommunalen Kläranlagen. Dagegen ist der Anteil der bisher als Hauptverursacher angesehenen Landwirte relativ gering.“ Zumindest das Bundesland Hessen hat schnell auf die neuen Erkenntnisse reagiert: Es wurden die technischen Auflagen für Kläranlagen verschärft.

Das hat sich ausgezahlt. Die Konzentration in den Gewässern ist „signifikant niedriger“, sagt ein Ministeriumssprecher.

Ergebnisse aus Hessen übertragbar?

Fluss

Die Daten von Peter Seel bezogen sich aber nur auf Hessen. Der hessische Umweltexperte glaubt jedoch, dass die Messungen sich zumindest auf andere Mittelgebirgsregionen übertragen lassen. Solche finden sich etwa in Rheinland-Pfalz, im Saarland oder auch in Thüringen. In Teilen von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es ebenfalls Mittelgebirge.

Möglicherweise trifft das Problem aber auch auf Regionen ohne Gebirgslandschaften zu. Ein Landwirt aus Brandenburg berichtete jedenfalls, dass nach offiziellen Messungen in der Region Ketzin an der Havel, 77 Prozent der Phosphoreinträge kommunaler Herkunft waren und nur 23 Prozent aus anderen Quellen stammen. Das sind ähnliche Ergebnisse wie in Hessen.

Doch um sicher zu gehen, müsste man wirklich messen. Und dazu ist man noch nicht überall bereit. Das Umweltministerium in Stuttgart hatte mitgeteilt, „dass sich die Erkenntnisse aus Hessen nur begrenzt auf Baden-Württemberg übertragen lassen.“ Außerdem ließen sich „diffuse Einträge wie aus der Landwirtschaft nur schwer durch Messungen erfassen, ohne Modellrechnungen komme man nicht aus“, hieß es weiter.

Umweltbundesamt bleibt stur

Kläranlagen

Das Umweltbundesamt (UBA) geht weiter davon aus, dass Landwirtschaft und Kläranlagen gleichermaßen Verursacher von Phosphoreinträgen sind. „Die Bauern tragen etwa zur Hälfte zur Phosphatbelastung in den deutschen Gewässern bei,“ ist die offizielle Meinung. Volker Mohaupt, UBA-Fachgebietsleiter sagt dazu: „Wir haben nie gesagt, dass die Landwirtschaft Haupteinträger von Phosphor ist, sondern das Landwirtschaft und kommunale Kläranlagen etwa gleich groß sind. Und daran ändern die neuen Informationen auch nichts.“

Dass die Messungen in Hessen die Bedeutung der Kläranlagen bei der Phosphorbelastung höher einstufen als die der Landwirtschaft, erklärt das Umweltbundesamt mit der unterschiedlichen „Bioverfügbarkeit“ des Phosphors. Das soll heißen: „Chemische Verbindungen, die aus Kläranlagen in die vergleichsweise kleinen Gewässer in Hessen gelangen, lösen sich schneller auf als die Stoffe, die großflächig aus der Landwirtschaft in die Flüsse und Ströme gespült werden“.

Nitratmessung: Methodik ist fragwürdig

Nitratmesstellen

Bei der Messung der Nitratbelastung des Grundwassers sind die Probleme aber größer. Offenbar hat Deutschland Nitratmesswerte nach Brüssel gemeldet, die nicht repräsentativ waren. Der Grund: Die genutzten Messstellen wurden ursprünglich gar nicht zur repräsentativen Messung eingerichtet. Vielmehr standen sie häufig an Stellen, wo von vornherein mit hohen Nitratwerten gerechnet wurde. Die Daten dieser Messstellen bildeten dann aber die Grundlage für die Meldungen nach Brüssel.

Das Ergebnis: Deutschland rangiert bei der Wasserqualität auf dem vorletzten Platz in der EU – nur knapp vor Malta. Auf dieses Paradox wies der Landwirt Albert Bosche aus Damme bei einer Veranstaltung mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil hin. Er sagte dort: „Deutschland hat von den etwa 8.600 zur Verfügung stehenden bis 2012 etwa 170 nach Brüssel gemeldet. Im Jahr 2016 waren es dann 700. Das sind weniger als 10 Prozent.“

Doch das ist noch nicht alles: „Diese wenigen Meldungen kommen ganz überwiegend aus so genannten „belasteten Gebieten“. Dass diese Daten am Ende nicht mit den repräsentativen Meldungen anderer EU-Staaten zu vergleichen sind, ist wissenschaftlich und statistisch sicher nachvollziehbar“, kritisiert Bosche die Vorgehensweise.

Bauern messen selber

Nitratmesstelle

Das Misstrauen ist also groß. Deshalb messen immer mehr Bauern selbst und überprüfen ihre Messstellen. Ende 2019 haben Landwirte deshalb die Initiative „Nitratbelastung in Deutschland - Tierhaltung unter Beschuss“ gegründet. Dort kann man sich im Internet über die Nitrat-Messstellen informieren und selbst Daten einstellen.

Ziel ist es, einen Katalog mit Informationen zu allen Messstationen zu erarbeiten, die im EU-Nitratmessnetz und im Messnetz der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) enthalten sind und bei denen Werte von mehr als 45 mg/l Nitrat gemessen wurden“, teilen die Initiatoren mit. Andere Landwirte haben das auch versucht.

Im April 2019 hatte der Bauernverband im Nordosten Niedersachsens 130 Wasserproben untersuchen lassen. Landwirte hatten die Proben aus ihren Beregnungsbrunnen zur Verfügung gestellt. Mit erstaunlichen Ergebnissen: „Mindestens 95 Prozent der Proben seien deutlich unter dem Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat gewesen“, hieß es. Von Hysterie sprach deshalb der Vorsitzende des Bauernverbandes Nordostniedersachsen Thorsten Riggert. Denn nach den offiziellen Messergebnissen war der Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter an mehreren Messstellen deutlich überschritten worden.

Daten oft nicht plausibel

Agrarlandschaft und Fluss

Die Brisanz der Lage wird auch von der Politik erkannt. Martin Bäumer, umweltpolitischer Sprecher der niedersächsischen CDU-Landtagsfraktion, sagte im November: „In einigen Regionen werden die Messwerte stark angezweifelt. Selbst Wasserschutzkooperationen, welche seit Jahrzehnten vorbildlich arbeiten und den Nitrateintrag deutlich verringert haben, wiesen belastete Messstellen auf. Dies gilt es zu hinterfragen.“

Im letzten niedersächsischen Nitratbericht aus dem Jahre 2016 lag der Anteil der Messstellen mit einem kritischen Nitratgehalten von mehr als 50 mg/l bei etwa 28 Prozent – im Jahr 2012 waren es noch fast 50 Prozent. Landwirt Albert Bosche sagt dazu: „Für mich, und auch für jeden anderen, der sich sachlich mit der Thematik auseinandersetzt, belegt das eindeutig, dass die Grundwasserbelastung durch Nitrat zurückgegangen ist.“

Fakt ist jedenfalls: Bei einer flächenmäßigen Betrachtung werde bei etwa 16 Prozent der Messstellen der Grenzwert überschritten. Dennoch wurden fast 40 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche zum Roten Gebiet erklärt. Deshalb ist auch für Landvolkpräsident Schulte to Brinke die Ausweisung der roten Gebiete nicht nachvollziehbar. Er sagt: „Die Bewertung einzelner belasteter Messstellen verzichtet auf eine Ursachenanalyse, und es wird nicht dargelegt, wer die erhöhten Nitratwerte verursacht.“

Viele Messstellen sind fehlerhaft

Doch nicht nur die Bauern kommen zu überraschenden Ergebnissen. Ein bislang unveröffentlichtes hydrogeologisches Gutachten der privaten Firma HYDOR aus dem Jahr 2018 stellt fest, dass in Nordrhein-Westfalen zwei Drittel der Messstellen nicht ordnungsgemäß funktionieren. Zwar wurden lediglich 300 der insgesamt 1.500 vorhandenen Messstellen überprüft.

Doch dürfte die Situation bei den übrigen Messpunkten nicht viel besser sein. Und die Mängelliste war lang. Viele der geprüften Messpunkte galten danach als nicht funktionsfähig. Und im Hinblick auf die Nitratmessung ist die Aussagekraft ebenfalls begrenzt.

Thomas Delschen, Präsident des zuständigen Landesamtes (LANUV), sagt jedoch, dass von den 300 überprüften Messstellen lediglich 10 Prozent Mängel hinsichtlich der Nitratmessung aufwiesen. Man sei zudem dabei, fehlerhafte Messstellen zu sanieren oder zu ersetzen. In Niedersachsen und auch in Sachsen überprüfen hydrogeologische Fachbüros derzeit ebenfalls die Qualität der Messstellen. „Klarheit und Wahrheit können auch hier nur der Sache dienen“, sagt Landvolkpräsident Schulte to Brinke dazu.

Streit der Ministerien

Agrarlandschaft und Fluss

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ist mittlerweile ebenfalls umgeschwenkt. Sie fordert das Bundesumweltministerium (BMU) und die Länder auf, für mehr Transparenz bei den Messstellen zu sorgen. Außerdem möchte sie einheitliche Messmethoden sowie eine verpflichtende Binnendifferenzierung. „Bauern lehnen es nicht ab, dort, wo zu viel gedüngt wird, umzusteuern. Aber sie wollen dann auch Gewissheit haben, wo genau, wann und was gemessen wurde und ob der Ort der Messstelle wirklich plausibel gewählt worden ist“, sagt Klöckner.

Dagegen sieht Bundesumweltministein Svenja Schulze bisher wenig Anlass etwas zu ändern. Von dort heißt es: „Die Länder haben das EU-Nitratmessnetz selbstständig zum Nitratbericht 2016 angepasst und die Anzahl der Messstellen deutlich erhöht. Es liegt nunmehr ein Messnetz vor, das für die landwirtschaftlichen Nutzflächen in Deutschland repräsentative, belastbare Ergebnisse liefert.“ Diese Aussage wundert einen angesichts der hohen Fehlerquote bei den überprüften Messstellen.

Fakt ist aber: Am 3. April soll der Bundesrat die neue Düngeverordnung beschließen. Sonst droht ein teures Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Die Detailregelungen zur besseren Abgrenzung der Roten Gebiete werden aber in einer eigenen Verwaltungsvorschrift festgelegt. Dafür hat Brüssel der Bundesregierung eine Frist von einem halben Jahr nach Inkrafttreten der geänderten Düngeverordnung gegeben. So hat die Politik noch etwas Zeit, an einer stärkeren Differenzierung belasteter Gebiete zu arbeiten und damit an einer etwas faireren Lösung für die betroffenen Bauern.

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