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Ernährung

Flächenverbrauch-Studie: Selbstversorgung weit von Realität entfernt

Eine Studie hat ergeben: Theoretisch könnten die Landwirte in Hessen ihre Bevölkerung im Bundesland mit Lebensmitteln versorgen. Dazu müsste sich in der gesamten Lebensmittelkette aber eine Menge ändern.
am Samstag, 02.09.2023 - 05:45 (3 Kommentare)

Der Frage nach dem Flächenverbrauch bei verschiedenen Ernährungsweisen sind zwei Wissenschaftlerinnen der Hochschule Fulda erneut auf den Grund gegangen. Ihr Ergebnis: Rein rechnerisch könnte sich das Bundesland Hessen selbst mit Nahrungsmitteln versorgen. Doch die Veränderungen, die damit für alle Beteiligten einhergehen würden, wären tiefgreifend und weit vom Ist-Zustand entfernt.

In den letzten Jahren ist die Herausforderung, den Hunger auf der Welt zu bekämpfen, wieder größer geworden. Neben Kriegen, Konflikten oder der Corona-Pandemie als scheinbar vorübergehende Krisen steht der Klimawandel als kaum zu überwindende Ursache für Hungerkatastrophen im Raum.

Mit seinen fruchtbaren Ackerböden gilt Deutschland insgesamt als begünstigt für die Landwirtschaft. Zugleich steht der hohe Fleischkonsum der Bevölkerung, der viele Ressourcen verbrauche, immer wieder in der Kritik. Es stellt sich deshalb die Frage, ob und unter welchen Umständen hierzulande ein autarkes Ernährungssystem möglich wäre.
Eine mögliche Selbstversorgung untersuchten die Wissenschaftlerinnen Anna-Mara Schön und Marita Böhringer von der Hochschule Fulda – heruntergebrochen auf das Bundesland Hessen sowie auf sechs einzelne Regionen in Hessen. Die Studie erschien im Fachmagazin Sustainability.

Hessen hat genug Fläche, um sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen

Theoretisch könne sich das Bundesland Hessen selbst versorgen. Die Acker- und Weideflächen im Bundesland würden allerdings nur ausreichen, wenn die 6,3 Mio. Menschen auf einen großen Teil an tierischen Produkten verzichteten. Pro Person stünden in Hessen im Moment 467 Quadratmeter Grünland zur Verfügung. Für den derzeitigen Konsum von tierischen Produkten sind laut den Berechnungen aber 767 Quadratmeter Grünland pro Person nötig.
Wie die Autorinnen erklären, sei die Studie besonders, weil sie lokale Daten auswertet und so auf die Bedingungen vor Ort eingeht. Andere Studien über Flächenverbräuche für Nahrungsmittel behandelten meist globale Fragestellungen. Ziel der Studie sei es, den Menschen ein Werkzeug an die Hand zu geben, mit dem sie den Flächenverbrauch für ihre Ernährung selbst berechnen und die Auswirkungen auf die Landwirtschaft nachvollziehen können. Ermittelte Rückgänge beim Flächenverbrauch sollen motivierend wirken.

Aktuellen und empfohlenen Verbrauch tierischer Produkte errechnet

In einem ersten Schritt untersuchen die Wissenschaftlerinnen, wie viele Tiere nötig wären, um den aktuellen Bedarf der Bevölkerung an tierischen Produkten (rotes und weißes Fleisch, Milch, Milchprodukte, Eier) zu decken.
Anschließend wurde untersucht, ob einerseits genügend eigenes Futter für die gehaltenen Nutztiere produziert werden kann und wie hoch andererseits der Futterbedarf bei einem Selbstversorgungsgrad von 100 Prozent für tierische Produkte wäre.
Um die Auswirkungen einer veränderten Ernährungsweise der Menschen ging es im dritten Schritt. Dabei wurden die Empfehlungen der Planetary Health Diet-Strategie zugrunde gelegt. Diese Empfehlungen berücksichtigen neben einer gesunden Ernährung auch die Auswirkungen der Ernährung auf den Planeten.
Schließlich ermittelten die Forscherinnen, wie sich der Landverbrauch ändern würde, wenn die Menschen weniger tierische Produkte verzehrten.

Fläche würde für Ernährung der Bevölkerung theoretisch ausreichen

Beim tatsächlichen Konsum tierischer Produkte kamen die Wissenschaftlerinnen zu dem Schluss, dass der Verbrauch die eigene Erzeugung fast immer übersteigt. Keine der untersuchten Regionen Hessens wäre in der Lage, für den Speiseplan der Bevölkerung über die eigenen Flächen aufzukommen. In der jetzigen Situation könne es nicht gelingen, sich von unabhängiger von Lebensmittelimporten zu machen. Auch das Futter für die eigenen Nutztiere könne in den Regionen nicht ohne Hilfe von außen bereitgestellt werden.
Die Anforderungen der Planetary Health Diet drücken den Bedarf an Nutztieren erheblich – und zwar so weit, dass auch der heutige Nutztierbestand viel zu groß wäre. So könnte der hessische Milchkuhbestand von 125.000 Tieren halbiert werden, wenn die Regeln dieser Ernährungsstrategie mit weniger Milch und Milchprodukten befolgt würden. Bei den Mastschweinen würde ein Fünftel der derzeit gehaltenen Tiere ausreichen, wenn nur noch die empfohlene Fleischmenge gegessen werden würde. Nach Angaben des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen wurden im Bundesland letztes Jahr etwa 195.000 Mastschweine gehalten.
Pro Einwohner würden anstatt der realen 767 Quadratmeter Grünland nur noch 128 Quadratmeter Grünland benötigt. Beim Ackerland würde eine Person laut Planetary Health Diet 482 Quadratmeter beanspruchen. Zur Verfügung stehen würden ihr 648 Quadratmeter. Die Ackerfläche würde für die Einwohner Hessens also ausreichen.

Landwirte müssten ihre Fruchtfolge erweitern

Aus Sicht der Autorinnen zeigen die Ergebnisse, dass eine bäuerliche Landwirtschaft beim Klimaschutz und beim Aufbau eines resilienteren Ernährungssystems helfen würde. Für eine abwechslungsreiche und gesunde Ernährung nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) reichten die angebauten Kulturen aber nicht aus. Durch eine siebengliedrige Fruchtfolge lasse sich das ändern. Im Vergleich zum Ist-Zustand müsse das regionale Lebensmittelangebot also vielfältiger werden. Bei einer fairen Entlohnung seien die Betriebe dazu bereit, hätten Nachfragen bei Landwirten ergeben.
Auch merken die Wissenschaftlerinnen an, dass der errechnete, viel geringere Nutztierbestand extensivere – und zugleich umweltschonendere – Haltungsformen ermögliche.

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