Das Höfesterben setzt nicht nur den Bauern in Deutschland zu. In anderen EU-Ländern werfen noch viel mehr Landwirte das Handtuch. Allerdings sind die Betriebe in Osteuropa erheblich kleiner als hierzulande – und damit kaum in der Lage, im internationalen Wettbewerb zu bestehen.
Auf die massiven Probleme des Höfesterbens in der europäischen Landwirtschaft hatte der designierte polnische EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski in seiner ersten Anhörung vor dem EU-Parlament aufmerksam gemacht. Möglicherweise haben seine Ausführungen nicht allen Parlamentariern gefallen, denn er ist zunächst durchgefallen. Erst in dieser Woche wurde Janusz Wojciechowski vom EU-Parlament bestätigt.
Immerhin sind zwei Drittel aller Bauernhöfe in der EU kleiner als 5 Hektar. In Deutschland und Frankreich liegt die durchschnittliche Größe der Betriebe bei etwa 60 ha. Im Vereinigten Königreich waren es fast 100 ha. Gleichzeitig befinden sich jedoch ein Drittel aller erfassten Bauernhöfe in Rumänien, etwa 13 Prozent in Polen und knapp 10 Prozent in Italien. Der Anteil Deutschlands an allen europäischen Landwirtschaftsbetrieben liegt gerade einmal bei 2,6 Prozent. In Frankreich wirtschaften 4,3 Prozent der europäischen Bauern.
400.000 Bauernhöfe im Jahr verschwinden
Bei der Anhörung vor dem EU-Parlament sagte Wojciechowski: "In nur einem Jahrzehnt, von 2005 bis 2015, haben wir 4 Millionen landwirtschaftliche Betriebe in der EU verloren. Im Jahr 2005 betrug die Zahl der Höfe fast 15 Millionen. Ein Jahrzehnt später waren es weniger als 11 Millionen. Das bedeutet: Wir haben 400.000 Bauernhöfe pro Jahr verloren, mehr als 30.000 pro Monat und mehr als 1.000 pro Tag."
Der designierte Agrarkommissar sagte weiter: „Unsere Debatte ist für drei Stunden angesetzt. Während dieser Zeit werden mehr als 100 Landwirte ihren Betrieb und ihre Arbeit verlieren. Für viele von ihnen wird es eine sehr traumatische Situation sein“. Wojciechowski wies auch auf das Problem der Selbstmorde unter den Landwirten hin – unter anderem in Frankreich.
Er sagte: "Vielleicht bin ich ja zu pessimistisch, aber es gibt eine Anekdote, die sagt, dass der Unterschied zwischen einem Pessimisten und einem Optimisten darin besteht, dass der Pessimist im Allgemeinen besser informiert ist". Wojciechowski findet es deshalb sehr wichtig, ein realistisches Bild der Situation in der europäischen Landwirtschaft zu haben.
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Neue Agrarpolitik für kleine Betriebe?
Während der Anhörung sagte der polnische Politiker wiederholt, dass eine "langfristige Vision“ für die Landwirtschaft in der EU erforderlich sei. "Wir haben eine langfristige Vision für die Klimapolitik, eine langfristige Vision für die Energiepolitik - wir haben aber keine langfristige Vision für die Zukunft der Landwirtschaft", sagte Wojciechowski. Er fügt hinzu: „Es ist aber sehr wichtig, eine solche Vision zu haben, denn die Bauern fragen uns, was ihre Zukunft sein wird, was die Zukunft für ihrer Kinder sein wird".
Dem designierten Kommissar zufolge muss die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) reformiert werden, da das Thema nicht nur die Landwirte betrifft, sondern die Gesellschaft insgesamt. Er sagte: „Die Probleme für die gesamte Gesellschaft sind: Die Ernährungssicherheit, die Lebensmittelsicherheit, der Klimaschutz, die Umwelt, die Artenvielfalt und der Tierschutz".
Wojciechowski weiter: “Eine meiner ersten Maßnahmen wird darin bestehen, einen Bericht über den aktuellen Stand der europäischen Landwirtschaft in Auftrag zu geben. Es ist sehr wichtig, ein genaues Bild von der Situation zu haben". Der Bericht soll sich mit den Fragen "Wo wir sind; wohin wir gehen; wie viele Höfe haben wir; wie viele Bauern gibt es; und wie ist die Generationensituation“ befassen. Er fügte hinzu, dass dieses „wahre Bild“ die Grundlage für das Programm der künftigen Entwicklung der europäischen Landwirtschaft sein werde.
Kleine Betriebe können nicht mithalten
Die Daten des europäischen Statistikamtes Eurostat zeigen: Während die Anzahl der Betriebe in der EU rasant schrumpft, geht die landwirtschaftlich genutzte Fläche kaum zurück. Also: Ein sehr deutlicher Konzentrationsprozess. Danach wurden im Jahr 2016 etwas mehr als 171 Millionen Hektar in der Europäischen Union für die landwirtschaftliche Erzeugung genutzt - rund 40 Prozent der gesamten Landfläche. Gegenüber dem Jahr 2013 wären das knapp 4 Mio. ha bzw. gut 2 Prozent weniger.
Gleichzeitig zählte das europäische Statistikamt 10,3 Millionen Betriebe und Betriebsleiter. Gegenüber dem Jahr 2013 ist dies ein Rückgang von gut 500.000 Betrieben und im Vergleich zum Jahr 2010 sogar eine Abnahme um rund 2 Mio. Betrieben. Im Vergleich zum oben von Wojciechowski genannten 10-Jahreszeitraum (2005 bis 2015) hat sich das Höfesterben damit offenbar etwas verlangsamt.
Die Wirtschaftskraft verteilt sich jedoch völlig anders als die Höfe: Rund 17 Prozent des in der EU erzeugten Agrar-Standardoutputs stammte 2016 von Betrieben in Frankreich. Deutschland steuerte 13 Prozent zum europäischen Agrarprodukt bei, Italien 12 Prozent und Spanien 11 Prozent. Obwohl sich in Rumänien ein Drittel aller Betriebe befindet, kann das Land nur 3,4 Prozent zum EU-Agrarprodukt beisteuern. Die Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit der überwiegend sehr kleinen rumänischen Betriebe ist also sehr schwach.
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