Das Ende der betäubungslosen Ferkelkastration wird den Schweinemarkt stark verändern. Wo die Reise hingeht, vermag heute niemand genau zu sagen. Sicher ist: Einen Königsweg, der zu jeder betrieblichen Situation passt, gibt es nicht. Dennoch müssen schweinehaltende Landwirte ab dem 1. Januar 2021 eine der vier verfügbaren Alternativen anwenden: Jungebermast, Immunokastration, Kastration unter Isofluran- oder Injektionsnarkose.
Welche dabei die Beste ist, liegt im Auge des Betrachters. Und auch wenn die drei großen deutschen Schlachthöfe Tönnies, Vion und Westfleisch immer wieder betonen, grundsätzlich alle Alternativen zu akzeptieren, sollten Erzeuger die Ökonomie, die Arbeitswirtschaft und ihre einzelbetriebliche Vermarktungssituation nicht außer Acht lassen. Die Aussage der Schlachtunternehmen, alle Schweine abzunehmen, ist derzeit von der knappen Marktversorgung geprägt. Doch das kann sich schnell ändern.
Sauenhalter müssen sich darüber im Klaren sein, dass Eber, wie bereits in den vergangenen Jahren, aufgrund der eingeschränkten Vermarktung und der abweichenden Schlachtkörperqualität von den Schlachthöfen preislich abgestraft werden. Der zu erwartende Abzug für Schlachteber wird aller Voraussicht nach in Abhängigkeit von der Marktlage variieren. Sollten von den Erzeugern mehr Eber angeliefert werden, als vermarktet werden können, dürften die Preisabzüge deutlich über das bisher bekannte Maß hinausgehen.

Momentan wenden die Schlachthöfe unterschiedliche Ebermasken an, die zu einem Preisnachteil im Vergleich zur Vermarktung von Börgen und Sauschweinen von 3 bis 4 Euro je Tier führen. In den vergangenen Jahren haben die Schlachthöfe relativ spontan auf Marktänderungen reagiert. Das bedeutete leider, dass sie die Abrechnungssysteme schrittweise zuungunsten der Ebervermarktung verschlechtert haben.
Da Maskenänderungen oft nur mit einem zeitlichen Vorlauf von wenigen Wochen durchgeführt werden, können Züchter, Ferkelerzeuger und Mäster in der Regel nicht kurzfristig reagieren. Im Übrigen leidet die Markttransparenz durch die Vielfalt der angewendeten Abrechnungssysteme.
Die Schlachthöfe werden auch ab 2021 weiterhin weibliche Tiere (Sauschweine) und Börge bevorzugen. Denn die eingeschränkten Vermarktungsmöglichkeiten der Fleischteile von Ebern führen bereits jetzt in der Vermarktung zu niedrigeren Erlösen in der Gesamtkalkulation der großen Schlachtunternehmen. Betrachtet man die Situation regional, kann man erkennen, dass der süddeutsche Markt bis auf wenige Ausnahmen ganz überwiegend die Kastration der männlichen Ferkel präferiert. Da die Vollnarkose mit Azaperon und Ketamin bis auf wenige Ausnahmen nicht in der Breite angewendet werden dürfte, verbleibt nach derzeitigen Stand nur die Isoflurannarkose.
Ebermast stagniert
Bis 2016 war die Ebermast deutlich im Aufwind. Vor allem die drei großen Schlachtunternehmen verarbeiteten deutlich mehr unkastrierte Tiere. Im Süden der Republik baute die Müller-Gruppe die Ebermast geringfügig aus. Auch der Anteil niederländischer Herkünfte war durchaus marktrelevant. Seit einigen Jahren stagniert allerdings der Anteil der Jungebermast. Zuletzt ist der Anteil niederländischer Eber nochmals geschrumpft.
Im Wesentlichen sind es fünf Schlachtunternehmen, die in diesem Jahr rund 4 Mio. Eber deutscher Herkunft schlachten werden. Dies entspricht etwa einem Marktanteil von 15 Prozent aller männlichen Tiere.
Der Marktanteil von Improvac-geimpften Ebern bewegt sich augenblicklich noch deutlich unter einem Prozent. Zum Jahresende könnte sich die Situation jedoch schlagartig ändern. Denn die schleppende Zulassung von Narkosegeräten führt dazu, dass viele Betriebe ihre Investitionsentscheidungen aufschieben. Bevor sie Geld in die Hand nehmen, wollen sie Sicherheit.
Doch bis zum 21. März 2020 hatte die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) noch kein Gerät zertifiziert. Zudem sind die norddeutschen Bundesländer mit der Ausarbeitung von zweitägigen Schulungen noch nicht so weit fortgeschritten, dass Sachkundelehrgänge angeboten werden. Darüber hinaus ist fraglich, ob die Schulungskapazitäten ausreichen werden, um die Nachfrage zu bedienen. Nordrhein-Westfalen beabsichtigt beispielsweise, nur für 300 Teilnehmer Schulungen durchzuführen.
Möglicherweise verschieben viele Betriebe ihre Entscheidung über den künftigen Weg bis zum Jahreswechsel 2020/21. Sollten dann die betrieblichen Voraussetzungen für die Isoflurannarkose nicht gegeben sein, wird vielen Betrieben nur noch die Impfung offenstehen. Wie der Markt damit preislich umgeht, muss abgewartet werden.
Viele Ferkelerzeuger werden voraussichtlich zu Beginn des Jahres 2021 unkastrierte Ferkel am Markt anbieten. Die Mäster müssen dann gezielt zwei Impfungen einsetzen, um möglicherweise ein marktfähigeres Produkt als bei der reinen Ebermast anzudienen. Betriebsleiter sollten allerdings die Sicherheit haben, dass geimpfte Schweine vom Schlachthof angenommen werden.
Auch über die Preise und Konditionen muss Klarheit herrschen. Grundvoraussetzung ist, dass die Tiere im Schlachthof als Kastrate nicht über die finanziell nachteilige Ebermaske abgerechnet werden. Eine einheitliche Branchenregelung könnte dafür die nötige Planungssicherheit geben. Mittelfristig könnten die Impfkosten durch auslaufende Patente weiter sinken und damit die Impfung wettbewerbsfähiger machen.
Regionale Unterschiede
Im Norden und Osten der Republik wird möglicherweise die Impfung in einigen Betrieben der richtige Anpassungsweg sein. Insbesondere in geschlossenen Systemen könnte die Anwendung von Improvac eine Alternative darstellen, wenn zuvor geklärt ist, ob der Schlachthof auch bei kleineren Partien die geimpften Eber ohne Preisabzüge einkauft.
Bis Mitte März 2020 haben sich in Deutschland nur wenige Schlachthöfe bereit erklärt, im Rahmen von Projektversuchen geimpfte Eber ohne Preisabzüge abzunehmen. Dazu gehören das Familienunternehmen Tummel im Landkreis Borken sowie Manten im rheinischen Geldern. Tönnies nimmt in Rheda-Wiedenbrück und in Sögel ebenso wie die Westfleisch zwar geimpfte Eber ab. Beide ziehen jedoch 3 Cent/kg Schlachtgewicht ab.
Im Süden Deutschlands werden sowohl die Ebermast als auch die Impfung nach 2020 kaum eine Rolle spielen. Die Müller-Gruppe ist einer der wenigen süddeutschen Schlachter, der in nennenswerten Zahlen unkastrierte Tiere abnimmt. Für den süddeutschen Markt präferieren viele mittelständische Schlachthöfe die Kastration unter Isofluran. Kunden auf den EU-Zielmärkten, speziell in Italien, lehnen Eber oder Immunokastraten ab. Der Grund sind technologische Probleme bei der Schinken- und Bauchspeckproduktion.
Doch nicht nur im Ausland, sondern auch bei mittelständischen Kunden des süddeutschen Metzgerhandwerks treffen Eber und Immunokastraten auf Widerstand. Gerade Rohschinkenhersteller lehnen die Tiere ab.
Sauenhalter sollten sich rechtzeitig mit ihren Mästern abstimmen und gemeinsam die Abnahmesituation anhand der Anforderungen der Schlachthöfe analysieren. Die meisten Marktexperten schätzen die Situation so ein, dass auch ab 2021 die Mehrzahl der in Deutschland gemästeten Ferkel kastriert werden muss, um die Anforderungen des Marktes erfüllen zu können.
Wettbewerbsverzerrungen
Deutschland ist unter den führenden EU-Schweineproduzenten in puncto Ferkelkastration eindeutig Vorreiter. Dänemark und die Niederlande haben sich auf pragmatische Lösungen eingestellt, die Landwirte in Eigenregie durchführen. Dies wird mittelfristig zu Preisvorteilen von schätzungsweise 3 bis 5 Euro je Ferkel führen.
Zwar sind 2018 und 2019 insgesamt weniger Ferkel aus den Niederlanden und Dänemark nach Deutschland verkauft worden. Dies könnte sich allerdings rasch ändern, und zwar spätestens, wenn Polen aufgrund der dort ausufernden Afrikanischen Schweinepest weniger Ferkel nachfragt. Zudem ist seit geraumer Zeit in den Niederlanden und in Dänemark aufgrund des hohen Preisniveaus wieder ein Ausbau der Sauenhaltungen zu beobachten.
Im Hinblick auf die Marktfähigkeit der Importferkel müssen niederländische und dänische Ferkelerzeuger keine Nachteile erwarten. Die QS GmbH akzeptiert programmgemäß ausländische Ferkel, die nach den dort geltenden Regeln kastriert worden sind. Das bedeutet, dass Landwirte Ferkel ohne Tierarzt selbst betäuben (mit CO2 in den Niederlanden) oder mit einem Lokalanästhetikum (zum Beispiel Procain in Dänemark) behandeln können. In Deutschland sind beide Verfahren tierschutz- und arzneimittelrechtlich nicht zugelassen. Dadurch entsteht deutschen Ferkelerzeugern ein deutlicher Wettbewerbsnachteil.
Viele werden aussteigen
Egal, welche Methode er wählt – jeder Landwirt muss sich in Kürze entscheiden. Der Tierschutz ist ein wichtiger Aspekt, jedoch nicht der einzige. Das Verfahren muss praktikabel und wirtschaftlich tragfähig sein und hängt vor allem von den Anforderungen der regionalen Fleischvermarkter ab.
Größere spezialisierte Ferkelerzeuger sind gut beraten, sich mehrere Wege offenzuhalten. Sie setzen vielfach auf die Inhalationsnarkose, um Preisabzüge bei der Ferkelvermarktung zu vermeiden. Nur bei einer festen Abnahmezusage des Mästers verzichten sie auf die Kastration. Allerdings können derzeit nur rund 15 Prozent der Eber zu vertretbaren Konditionen vermarktet werden. In Süddeutschland mit der starken Metzgerstruktur und dem Export nach Italien sind Eber und geimpfte Eber überhaupt nicht zu vermarkten.
Für das kommende Jahr ist von einer nochmals deutlich rückläufigen deutschen Schweinefleischerzeugung auszugehen. Viele kleinere Ferkelerzeugerbetriebe werden aus der Produktion aussteigen. Vor diesem Hintergrund bleibt die Forderung nach einem vierten Weg wie in Skandinavien oder Australien weiterhin aktuell.
Hier ist Ihre Meinung gefragt
Werden Sie Teil unserer Community und diskutieren Sie mit! Dazu benötigen Sie ein myDLV-Nutzerkonto.