
Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft haben sich mit dem zweiten Lockdown erheblich verdüstert. Zu dieser Einschätzung kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Die zweite Corona-Infektionswelle ist in Deutschland angekommen und droht, den wirtschaftlichen Aufschwung abzuwürgen“, heißt es Seites des DIW.
"Die Wirtschaft lässt sich nicht wie eine Lampe ein- und abschalten, ohne dass es zu Schäden kommt“, sagt der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Das gilt im Übrigen auch für die Landwirtschaft. Der Ökonom warnte davor, dass auch ein teilweises Herunterfahren die konjunkturelle Erholung stoppen dürfte. Der Bund will mit seinen Maßnahmen die starke Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland stoppen.
Neue Corona-Bestimmungen im November
Deshalb sollen im November unter anderem die Gastronomiebetriebe schließen, vereinbarte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder. Gleichzeitig drückt die rasant steigende Zahl der Corona-Neuinfektionen bereits massiv auf die Stimmung in der Wirtschaft.
„Die Unternehmen blicken deutlich skeptischer auf die Entwicklung in den kommenden Monaten", stellte Ifo-Präsident Clemens Fuest jüngst fest. Der Rückgang des Ifo-Geschäftsklima-Index war stärker als von Analysten erwartet. Der Rückgang sei wohl nur ein Vorgeschmack dafür, was noch bevorstehen könnte, falls der explosionsartige Anstieg der Infektionszahlen nicht bald eingedämmt werden könne, kommentierte Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg, die Ifo-Daten.
Auch die Kauflaune der Verbraucher erhielt nach Angaben des Nürnberger Konsumforschungsunternehmens GfK einen sehr kräftigen Dämpfer.
Gastronomie-Schließungen und Hamsterkäufe
Direkte Folgen der zweiten Corona-Welle sind unter anderem:
- Restaurant-Schließungen
- Anstieg der Kurzarbeit
- Umsatzeinbrüche
Auf der anderen Seite boomen die Verkäufe und Umsätze in der Lebensmittelbranche. Hinzu kommt die Verlagerung der Nachfrage auf andere Produkte. Doch die Landwirte profitieren schon während der ersten Corona-Welle kaum vom Nachfrageboom im Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Ein Grund war der Absatzeinbruch in der Gastronomie, bei Hotels und in Teilen der Lebensmittelindustrie und des Großhandels.
Corona-Krise: Preisdruck auf Lebensmittel?
„Viele Konsumenten haben in der ersten Coronawelle erhebliche Vorräte an Lebensmitteln eingekauft, da sie Lieferengpässe oder die Schließung des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland befürchtet haben", sagt der Agrarökonom und Professor für allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Julian Voss von der Privaten Fachhochschule (PFH) Göttingen. Das scheint sich in der zweiten Welle zumindest in Teilen zu wiederholen.
Der Nachfrageboom durch die Corona-Krise hat sich jedoch für die Landwirte ganz überwiegend nicht ausgezahlt, hat Agrarökonom Voss beobachtet und nennt die Gründe. „Die Rezession wird in Deutschland sicherlich nicht zu einer Verteuerung von Lebensmitteln führen, von welcher die Landwirtschaft profitieren könnte. Ganz im Gegenteil – der Preisdruck auf Lebensmittel könnte in Zukunft eher wieder steigen“, sagt Voss. Er geht davon aus, dass die stagnierenden Löhne und der wachsende Druck auf den Arbeitsmarkt die Konsumlaune in Deutschland spürbar eintrüben werden und damit auch den Markt für Lebensmittel negativ beeinflussen.
Es heißt zwar gegessen wird immer, jedoch künftig möglichweise anders und wohl auch billiger. Vor allem für die Gastronomie haben Ökonomen bereits ohne den zweiten Lockdown große wirtschaftlichen Probleme erwartet. Agrarökonom Voss beobachtet zudem, dass die Corona-Krise das Einkaufsverhalten bei Lebensmitteln und die Ernährungsstile bereits nachhaltig beeinflusst. „Ich erwarte, dass die Konsumenten zukünftig verstärkt zu Hause kochen werden. Trends wie „Meal Prepping“, also das Vorkochen und der spätere Verzehr am Arbeitsplatz, würden ebenfalls weiter an Bedeutung gewinnen", sagt er.
Verbraucher kaufen anders – Wirtschaft mit Personalproblemen

Wirtschaftliche Krisenzeiten oder eine Rezession haben einen negativen Einfluss auf den Außer-Haus-Verzehr. Dieser steht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ganz besonders unter Druck, sagt Ökonom Voss. „Kochen zu Hause ist dann angesagter als der Besuch im Restaurant“, hat der Wissenschaftler beobachtet, der auch zu Food-Management in der Corona-Krise forscht. Zudem erfahren Konsumenten, dass die Versorgung auch mit digitalen Geschäftsmodellen funktioniert.
Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln erwartet der Experte aus Göttingen in der Corona-Krise jedoch nicht. „Die deutsche Bevölkerung profitiert von einem hohen Selbstversorgungsgrad bei allen relevanten Lebensmitteln und Agrarprodukten und der Leistungsfähigkeit der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft“, sagt Voss. Die mehr als 6000 Unternehmen der deutschen Ernährungswirtschaft und die über 250.000 landwirtschaftlichen Betriebe würden trotz Corona weiter sehr zuverlässig produzieren.
„Ein Engpass im Lebensmittelhandel ist derzeit vor allem die Personalverfügbarkeit,“ sagt der Agrarökonom. Diese Erfahrung müssen derzeit vor allem Schweinehalter machen: Die coronabedingte Schließung von Schlachthöfen sowie die starke reduzierte Schlachtung haben in Verbindung mit dem Verbot von Werksverträgen zuletzt zu einem gewaltigen Rückstau der Schlachtungen geführt. Die Folge sind hohe Einkommensverluste für die Landwirte.
Auch die Produzenten von Verarbeitungskartoffeln wurden ihre Ware bereits in der ersten Coronawelle nicht mehr los – denn wo die Gastronomie geschlossen ist, werden auch keine Pommes mehr gegessen.
Wirtschaft wird ausgebremst – Hilfen sind ausgereizt

Nach Einschätzung von Commerzbank-Volkswirt Krämer bringt der zweite Lockdown das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal zum Erliegen. Bestenfalls sei mit einer schwarzen Null gegenüber dem Vorquartal zu rechnen. Zwar seien Industrie, Handel und Landwirtschaft nicht direkt betroffen, werden aber trotzdem leiden, sagt er. Der Grund: Die allgemeine Unsicherheit steige und die Anti-Corona-Maßnahmen im Ausland würden ebenfalls verschärft.
„Der Aufschwung wird sehr wahrscheinlich deutlich ausgebremst“, sagte auch der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claus Michelsen. Das Pandemiegeschehen nehme Verbrauchern und Unternehmen die Zuversicht. Viele Unternehmen hätten noch mit den Folgen des ersten Lockdowns vom Frühjahr kämpfen und kaum finanzielle Reserven.
Nach Einschätzung des DIW ist die deutsche Wirtschaft im abgelaufenen dritten Quartal noch kräftig um etwa sechs Prozent zum Vorquartal gewachsen. Es wäre jedoch sträflich naiv zu glauben, der zweite Lockdown sei nur eine Wiederholung des ersten. "Die wirtschaftspolitischen Instrumente sind weitgehend ausgereizt“, glaubt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Er verlangt: Die Gesellschaft müsse lernen, mit dem Virus zu leben. Hüther: „Solange die Grenzen offen bleiben und die Lieferketten funktionieren, wird das verarbeitende Gewerbe nicht auf der Angebotsseite gestört.
Todesstoß für Gastronomie und Mittelstand

Die deutschen Unternehmen selbst rechnen in der Corona-Pandemie mit einem zunehmend schwereren Rückweg in die wirtschaftliche Normalität. Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter rund 30.000 Unternehmen zeigte, dass sich die Lage vor dem aktuellen Lockdown wieder aufgehellt hatte. „Vom Vorkrisenniveau sind die Einschätzungen aber weit entfernt“, hieß es in der Auswertung der Umfrage.
Zudem sind die drastischen Maßnahmen noch nicht berücksichtigt, die Bund und Länder nun im Herbst gegen die Ausbreitung des Coronavirus beschlossen haben. Der erste Lockdown im Frühjahr hatte bereits zu einem historisch einmaligen Wirtschaftseinbruch geführt. Der Bundesverband Groß- und Außenhandel (BGA) kritisierte deshalb die Schließungen der Gastronomie im zweiten Lockdown als „völlig unangemessen“.
Für viele mittelständischen Betriebe könne das in der jetzigen Lage den Todesstoß bedeuten, sagte BGA-Präsident Anton Börner. Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnte zudem, dass die erneuten Einschränkungen auch viele Großhändler treffen könnte. Auch die Landwirtschaft wird von der erneuten Schließung der Gastronomie massiv betroffen sein.
Für die Agrarwirtschaft gilt zudem: „Die Lieferketten im Nahrungsmittelbereich sind verwundbar durch die hohe Verderblichkeit vieler Agrarprodukte und die damit zusammenhängenden hohen Anforderungen an die Transport- und Verarbeitungslogistik“, sagt der Agrarökonom Sebastian Hess von der Uni Hohenheim. Hier führen Unterbrechungen schnell zu massiven Problemen.
Viel mehr Arbeitslose und mehr Firmenpleiten

Mit dem neuen Lockdown droht vielen Menschen außerdem der Jobverlust. Und das hat Auswirkungen auf die Kaufkraft und Nachfrage – auch bei Nahrungsmitteln. Rund 600 000 Arbeitsplätze könnten zusätzlich verschwinden, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln berechnet hat. „Wer jetzt seine Arbeit verliert, findet sehr schwer eine neue. Solange Corona nicht im Griff ist, dürfen diese Menschen nicht gleich in Hartz IV fallen“, sagte der Ökonomie-Professor und ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger.
Der Ökonom sagt, das wichtigste Instrument in der Corona-Krise bleibe das verbesserte Kurzarbeitergeld: „Es entlastet die Unternehmen, und die Beschäftigten haben vergleichsweise geringe Einkommensverluste.“ Damit werde die Nachfrage stabilisiert.
Wirtschaft: zusätzliche Kosten durch einen Lockdown
Das Institut der Deutschen Wirtschaft sieht für den neuen Lockdown zusätzliche Kosten für neue Hilfszahlungen von 19,3 Milliarden Euro auf die Wirtschaft zurollen. Deutlich mehr als Finanzminister Olaf Scholz mit etwa 10 Milliarden Euro errechnet hat. An den Insolvenzen lässt sich die Krise bislang jedoch noch nicht ablesen. Bislang gibt es sogar weniger Firmenpleiten als im Vorjahr.
Doch bei diesen Zahlen wird es nach Ansicht von Ökonomen nicht bleiben. Der Sanierungsexperte Lucas Flöther erwartet eine „drastische Zunahme“ von Firmenpleiten im kommenden Jahr. Er warnt: „Es wird heftig“. Ein wesentlicher Grund, wieso es bislang so wenig Pleiten gab: Die Anzeigepflicht bei Zahlungsunfähigkeit war ausgesetzt. Doch seit Oktober müssen Unternehmen wieder Insolvenz anmelden, wenn sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Ab Januar sind dann auch überschuldete Unternehmen wieder dazu verpflichtet.
Der Agrarökonom Klaus Dittert aus Göttingen sagt: "Es wird auch für die Landwirtschaft entscheidend sein, wie lange die aktuell angeordneten Maßnahmen aufrechterhalten werden müssen.“
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