Im Sommer hatte das höchste niederländische Verwaltungsgericht den nationalen Mechanismus zur Eindämmung des Stickstoffoxid-Ausstoßes für ungültig erklärt. Grund: Dieser würde nicht die Einhaltung der Grenzwerte ermöglichen.
Als Hauptverursacher machte man die Landwirtschaft aus und hier vor allem Viehhaltung. Ein weiterer großer Emittent ist Wohnungs- und Straßenbau. Infolge des Richterspruchs wurden Tausende Bauvorhaben gestoppt. Gegenüber der Landwirtschaft wurden die politischen Forderungen immer lauter, die Viehbestände zu halbieren und die starke Exportorientierung aufzugeben.
Die Folge waren die heftigsten und weiter andauernden Bauernproteste seit langem. Zuletzt lenkten zumindest die Regierungsparteien ein. Das zeigt ein neuer Vorschlag, der Regierung Rutte. Anstelle der Halbierung der Tierbestände ist nun ein Tempolimit von 100 kmh auf Autobahnen vorsieht.
Bauernproteste sorgen für Einlenken
Ministerpräsident Mark Rutte nannte die Entscheidung des Tempolimits am Mittwoch "ärgerlich", aber unumgänglich, um den Ausstoß von Stickstoffoxid zu senken und gleichzeitig den Wohnungsbau und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu retten. "Ich bin unglaublich enttäuscht, aber sonst wären viele Menschen an Weihnachten arbeitslos gewesen. Dann hätte ich mich nicht mehr im Spiegel anschauen können", sagte Rutte.
Zuvor hatten viele Politiker und auch große Teile der Gesellschaft eine Neuausrichtung der Landwirtschaft und eine Halbierung des Viehbestands gefordert. Das hatte auch in den Niederlanden das Fass zum Überlaufen gebracht und die Bauern zu tausenden auf die Straße getrieben. Auch im Bausektor hatte es große Demonstrationen gegeben.
Die Landwirtschaft bleibt trotzdem im Fokus
Aber auch die Landwirtschaft ist noch lang nicht aus dem Schneider – wie die Vorstellung der Maßnahmen von Rutte und den verantwortlichen Ministern am Mittwoch vor der Presse deutlich machte. Dort hieß es unter anderem: Das Kabinett hofft ungeachtet der bereits beschlossenen Maßnahmen, die meisten Stickstoffgewinne zu erzielen, indem es die Landwirte anweist, weniger Protein in ihr Futter zu geben.
Nach Aussagen des Agrarwissenschaftlers Jan Dijkstra von Wageningen-Universität produzieren Kühe, die 10 Prozent weniger Eiweiß verbrauchen, bis zu 15 Prozent weniger Ammoniak (Stickstoff). Wenn alle Landwirte uneingeschränkt kooperieren, so Dijkstra, kann proteinarmes Viehfutter dreimal so viel Stickstoff einsparen wie bei einer Verringerung der Höchstgeschwindigkeit.
Das Kabinett kündigte zudem am Mittwoch Maßnahmen an, die keinen Stickstoff einsparen. Landwirtschafts-Ministerin Carola Schouten will außerdem untersuchen, ob kleineren Naturschutzgebieten der Schutzstatus entzogen werden kann, wenn sie "strukturell schwach sind und aufgrund ihrer Größe und Lage schwach bleiben". Die Niederlande müssen hierfür jedoch die Genehmigung von Brüssel einholen.
Umsetzung für die Bauern unklar
Bislang ist jedoch nicht klar, wie die Regierung die Umsetzung der der angepassten Fütterung sicherstellen will. Landwirtschaftsministerien Schouten spricht von "Zielvorgaben" und "Maßnahmen, die es für Bauern attraktiv machen soll, damit anzufangen". Das Kabinett möchte es den Bauern selbst überlassen, wie sie die neuen (gesetzlichen?) Futtermittelvorgaben einhalten.
Die Maßnahmen sind schwer zu kontrollieren, glaubt Rechtsanwalt Valentijn Wösten, der häufig Umweltverbände vor Gericht vertritt. Er sagt weiter: "Immer wieder sagen die Bauern, dass es überhaupt kein Stickstoffproblem gibt. Etwas, an das du nicht glaubst, wirst du nicht tun.
Proteinarmes Viehfutter als Lösung
Der Agrarexperte Jan Dijkstra von der Universität Wageningen erklärt, dass proteinarmes Viehfutter nicht unbedingt teurer sein muss, sondern dass es aufwändiger ist, die Futterrationen richtig zu gestalten. Wenn ein Landwirt dies nicht sorgfältig tut, geben die Kühe weniger Milch und das kostet Geld.
Milchviehhalter geben ihrem Vieh seiner Meinung nach jedoch mehr Eiweiß als nötig, um sicherzustellen, dass ihre Kühe ihre maximale Milchproduktion erreichen. Unter dem Motto: "Lieber zu viel Eiweiß als zu wenig" produzieren die Tiere unnötig viel Ammoniak, kritisiert Dijkstra, aber die Landwirte sehen derzeit keinen Anreiz, dies anders zu tun.
Und wer soll die neue Futtermittelverordnung überhaupt überprüfen, fragt der Agrarexperte. Landwirtschaftliche Inspektionsdienste wie die NVWA wurden in ihren Kompetenzen zuletzt stark eingeschränkt, so dass die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, selbst bei tatsächlichen Gesetzesverstößen gering ist, heißt es weiter.
Freiwillig oder per Gesetz?
Die niederländische Regierung ist zuversichtlich, dass ihr Stickstoffgesetz auch vor Gericht Bestand haben wird. Bezüglich des Futters ist dies eher zweifelhaft, da die Maßnahme unverbindlich zu sein scheint., schreibt die niederländischen Zeitung volkskrant. Die Frage ist, ob ein Richter eine "Bauernvereinbarung" oder eine "Gentlemen's Agreement" als angemessene Ausgleichsmaßnahme für Stickstoffemissionen aus dem Wohnungsbau und dem Straßenbau akzeptieren wird, heißt es beim volkskrant weiter.
Die Geschwindigkeitsbegrenzung scheint gesetzlich jedenfalls besser umsetzbar zu sein. Rechtsanwalt Wösten glaubt zudem, dass die Stickstoffkompensation immer in direktem Zusammenhang mit dem Projekt stehen muss, für das eine Kompensation erforderlich sei.
Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Landwirt die Stickstoffrechte von einem anderen Landwirt erwirbt. Die ist nach Einschätzung des Anwalts jedoch nicht der Fall, wenn eine Gemeinde ein Wohngebiet bauen möchte, indem dafür eine Geschwindigkeitsreduzierung in der Nachbarschaft anrechnet.
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