Und in der Landwirtschaft folgt eine Krise auf die nächste: Milchkrise, Schweinekrise, Güllekrise, Stickstoffkrise und jetzt auch eine Kostenkrise – um nur einige zu nennen.
Eine junge französische Landwirtin hat ein Buch über den Freitod ihres Mannes geschrieben. Dabei geht es um die Ursachen und die Folgen dieses menschlichen Dramas. Im Jahr 2017 beging ihr Mann, Augustin, ein Schweinezüchter und Getreidebauer in Vimeu, westlich der Somme, Selbstmord. Und er ließ seine Frau Camille Beaurain allein zurück, die gemeinsam mit ihm den Hof geführt hatte.
Der Landwirt hat sich mit 31 Jahren das Leben genommen. In einer Scheune hat er sich erhängt, an einem Sonntagabend gegen 23 Uhr, schreibt Camille in ihrem Buch. Er sagte, er müsse noch kurz etwas nachschauen gehen und kam nie mehr zurück. Das alles beschreibt Camille Beaurain in ihrem Buch „Tu m'as laissée en vie: Suicide paysan, veuve à 24.“Auf deutsch etwa: Du hast mich lebend zurückgelassen: Selbstmordbauer, Witwe mit 24“.
Das Buch setzt sich intensiv mit den Sorgen und Problemen der kleinen Landwirte in Frankreich auseinander fand in unserem Nachbarland ein breites Medienecho.
Verschuldung, Scham und kein Ausweg?

Anders als in Deutschland, gibt es in Frankreich auch offizielle Zahlen zu den Selbstmorden bei Landwirten. Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2017 nehmen sich in Frankreich jährlich etwa 650 Landwirte das Leben. Das wären beinahe zwei Suizide pro Tag. Manche Verbände sehen die Zahl sogar noch höher, da viele Fälle aus Versicherungsgründen – oder auch Scham – nicht als Selbsttötung gemeldet werden.
Diese offizielle Suizidrate liegt 50 Prozent höher als in der übrigen Bevölkerung. Rund 80 Prozent derjenigen, die freiwillig aus dem Leben scheiden, sind Männer, mehrheitlich Milchbauern und Rinderzüchter, sagt die Statistik weiter. Auch Augustin und Camille schufteten von früh bis spät auf ihren Hof – sie hielten Schweine und bauten Getreide an. Dennoch waren sie hoch verschuldet.
Die hohe Überschuldung war nach Einschätzung von Camille der Auslöser der Krise. Sie wird umso schmerzlicher empfunden, da viele Bauern sich von früh bis spät unermüdlich abrackern. Das Ende vom Lied ist dann oft ein Burn-out - oder eben schlimmeres. Hinzu kommt: Viele Bauern schämen sich, dass sie es nicht schaffen, die Probleme (alleine) zu bewältigen.
Auch Augustin hat nie über seine Probleme sprechen wollen (oder können) – sagt Camille. Sie hat den Hof ihres Mannes nach seinem Tod verlassen. Heute baut sie mit Hilfe eines andern Landwirts Getreide an. Sie liebe den Beruf und wolle ihn schon wegen ihres Mannes weiterführen, sagt sie. Auf ihrem jetzigen 50-Hektar-Betrieb lasten keine Schulden. Doch allein von der Getreideproduktion kann sie nicht leben, trotz der EU-Agrarsubventionen:
„Obwohl ich die Ernte komplett verkaufe, bleibt mir am Schluss gerade mal ein Monatseinkommen von 300 Euro.“ Deshalb arbeitet sie zusätzlich als Kindermädchen. Es im Moment unmöglich, mit der Farm ein anständiges Gehalt zu verdienen, sagt die Landwirtin „Ich bleibe aber dabei, draußen zu leben und Landwirtschaft zu betreiben“, betont sie.
Wirtschaftliche Probleme und Anfeindungen

In Deutschland gibt es keine offiziellen Statistiken zu den Selbstmorden bei Landwirten. Doch die Lage ist hierzulande offenbar nicht viel besser. „Gefühlt werden es mehr“, sagt Anne Dirksen gegenüber der Diepholzer Kreiszeitung in Niedersachsen. Sie ist bei der Landwirtschaftskammer Leiterin des Arbeitsbereichs Familie und Betrieb und für die Sozioökonomische Beratung zuständig. Dort ist sie täglich mit der seelischen Not vieler Landwirte konfrontiert.
Und die Probleme haben mit der schweren Schweinekrise der letzten Monate dramatisch zugenommen. Sie sagt, dass die Zahl der depressiven Erkrankungen spürbar angestiegen ist: „Das belegen Zahlen der Krankenkassen.“ Außerdem leiden Bauern immer häufiger unter Burnout: „Das ist in der Landwirtschaft angekommen. Definitiv. Landesweit arbeitet Dirksen noch mit anderen Beratern zusammen, um für die Landwirte die in Not sind, Lösungen zu finden.
Die sozioökonomische Beratung ist aber regional organsiert: Kurze Wege bedeuten schnelle Hilfe. Etwa 2.000 Verordnungen müssen Schweinebauern, die auch noch Ackerbau betreiben, einhalten, hat vor einiger Zeit die „Wirtschaftswoche“ herausgefunden. Hinzu kommt der wachsende gesellschaftliche Druck auf die Landwirtschaft und auch immer mehr Anfeindungen. Anne Dirksen sagt: „Es stimmt mich sehr nachdenklich, wenn junge Landwirte sich nicht mehr trauen, Gülle zu fahren, weil sie mit dem Fass durchs Dorf müssen.“
Burnout und Vernachlässigung der Tiere

Die Probleme sind in den meisten landwirtschaftlich geprägten Regionen in Deutschland gleich – so etwa auch in Bayern. Dort fand die Polizei im Juni 150 tote Rinder in einem Stall bei Ansbach. Die Tiere waren schon längere Zeit nicht versorgt worden. Hinter solchen Fällen stehen nach Einschätzung von Tierärzten und Beratungsstellen ganz überwiegend in psychische Not geratene Landwirte.
Die meist Bauern arbeiteten nämlich sieben Tage die Woche im Stall, dazu kämen Dokumentationen, Anträge und immer neue Auflagen. Für die Iris Fuchs vom der Landestierärztekammer ist das Politikversagen, sagt sie gegen dem Bayrischen Rundfunk (BR). „Die Tierärzte weisen seit Jahren darauf hin, dass das Motto 'Wachsen oder Weichen' der falsche Ansatz ist", so Fuchs.
Auch Heidi Perzl, psychologische Beraterin der landwirtschaftlichen Sozialversicherung SVLFG, macht auf die hohe psychische Belastung von Landwirten aufmerksam. Perzl ist Ansprechpartnerin für Landwirtinnen und Landwirte in Not. Zwanzig bis dreißig Anrufe gehen wöchentlich bei der zentralen Krisenhotline ein, sagt die erfahrene Beraterin dem BR.
Der physische und psychische Druck führt zum einen dazu, dass die Landwirte ein höheres Risiko haben, an Burnout oder Depressionen zu erkranken – aber auch ein höheres Risiko zum Suizid. Eine Folge von Depressionen und Burnout ist eben auch die Vernachlässigung der Tiere – wie im oben genannten Fall.
Eine andere Beraterin sagte gegenüber dem BR: "Es entstehen Reaktionsketten wie das Abstumpfen als Selbstschutzprozess, das Ausblenden, um überhaupt noch handlungsfähig zu sein angesichts der Versagensängste." Für Heidi Perzl liegt aber genau hier das Problem: Nur wer sich aktiv darum bemühe, dem könne am Ende auch geholfen werden.
SVLFG-Krisenhotline - Hilfe in der Krise
Sind auch Sie in der Landwirtschaft tätig und in akuter seelischer Not? Unter der Krisenhotline Tel.: 0561 785 – 10101 stehen Ihnen rund um die Uhr, auch in der Nacht, Psychologinnen und Psychologen, auch anonym, zur Seite.
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