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Landwirtschaft und Digitalisieriung

Was wäre, wenn Fortschritt durch Digitalisierung nur ein Märchen wäre?

digital farming.
am Donnerstag, 10.12.2020 - 09:00 (3 Kommentare)

Die Digitalisierung stellt unsere Welt auf Kopf, sagt die Politik. Doch der wirkliche Fortschritt ist viel kleiner als man glaubt.

Das fanden die US-Ökonomen Tyler Cowen und Ben Southwood in einer Studie heraus. Sie beschreiben gerade für die letzte Dekade eine deutliche Abschwächung des Fortschritts in vielen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft – leider auch in der Landwirtschaft (siehe weiter unten).

Dabei geht es nicht um Wirtschaft und Produktivität allein – sondern auch um Patente, bahnbrechende Erfindungen und Neuerungen, Gesundheit, Lebenserwartung und vieles mehr. Ganz offenbar kann die Digitalisierung die gemachten Versprechen von Fortschritt und Wachstum – bisher jedenfalls – nicht einlösen.

Und auch die Aussichten für die nächsten Jahre sind nicht viel besser, zeigen Untersuchungen und Studien des US-Ökonomen Robert J. Gordon. Doch was sind die Ursachen für diese Entwicklung - und wie sind sie zu erklären.

Fortschritt hat sich in vielen Bereichen verlangsamt

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In ihrer Ende 2019 veröffentlichten Studie kommen Tyler Cowen und Ben Southwood zu dem Schluss: Einige der größten Debatten des letzten Jahrzehnts konzentrierten sich auf das Tempo des wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritts. Der Streitpunkt ist: Die Geschwindigkeit der technologischen Innovation in der westlichen Welt hat sich in der letzten Dekade immer weiter verlangsamt – trotz Digitalisierung.

Der Mitbegründer von Facebook und Paypal, Peter Thiel, sagt sogar, dass die Beiträge der Tech-Welt zum Fortschritt erheblich überbewertet werden. „Sie haben uns fliegende Autos versprochen, und wir bekamen nur 140 Zeichen (Twitter).

Cowen und Southwood kommen in ihrer Studie ebenfalls zu dem Schluss: „Es gibt gute und weitreichende Belege dafür, dass sich die Geschwindigkeit des wissenschaftlichen Fortschritts tatsächlich verlangsamt hat. In den verschiedenen und teilweise unabhängigen Bereichen wie Produktivitätswachstum, Gesamtfaktorproduktivität, BIP-Wachstum, Patentanmeldungen, Forscherproduktivität, Ernteerträge, Lebenserwartung und dem für die digitale Entwicklung wichtigen „Moore’schen Gesetz“ haben wir Bestätigungen für diese Behauptung gefunden.“

Moores Gesetz des Wachstums gilt (schon lange) nicht mehr

Moore’s Gesetz war für den Fortschritt und das Tempo der Digitalisierung besonders wichtig. Gewissermaßen ein Naturgesetz. Vor 40 Jahren stellte Gordon Moore, der Gründer des US-Chiphersteller Intel die These auf: „Die Leistung von Computerchips wird sich regelmäßig alle zwölf Monate verdoppeln und zugleich halbiert sich der Preis“.

Moores Prophezeiung bestätigte sich, so dass sie Moore’s Law – also Moores Gesetz – getauft wurde. Später passte Moore die Vorhersage auf eine Zeitspanne von zwei Jahren an. Doch auch dieses Wachstum ist schon längere Zeit nicht mehr zu halten – denn es stößt auch an seine physikalischen Grenzen.

Heute kann man mit einem PC und einem Betriebssystem, dass man vor 10 Jahren gekauft hat noch ohne Probleme arbeiten. Dennoch bildete Moores Gesetz die Grundlage für viele Überlegungen und Erwartungen in der digitalen Welt.

„Zweite Maschinenzeitalter“ ist abgesagt – Fakten sprechen dagegen

globale innovationen.

Die US-Ökonomen Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee vom Massachusetts Institute of Technology riefen auf der Grundlage von Moores Gesetz und der erwarteten digitalen Innovationen das „Zweite Maschinenzeitalter“ aus. Sie argumentierten: „Die Digitalisierung ermöglicht technischen Fortschritt und dieser verbessert die Welt sowohl qualitativ als auch quantitativ. Es gibt eine deutlich bessere und größere Auswahl an Produkten und Dienstleistungen, viele werden digital bereitgestellt und somit sehr günstig ständig verfügbar sein“.

Das Problem ist nur: Die ökonomische Daten und Fakten sprechen eine andere Sprache. Das behauptet zumindest der renommierte US-Ökonom Robert J. Gordon. Er widerspricht den „Techno-Optimisten“, nach deren Meinung die gegenwärtigen digitalen Innovationen die Wirtschaft völlig neu definieren und unser Leben massiv verbessern werden.

Tatsächlich fällt das Produktivitätswachstum in den USA und in den meisten anderen westlichen Ländern – trotz der Digitalisierung – seit mehr als einem Jahrzehnt enttäuschend aus. Grundlage der Untersuchungen von Gordon und auch von Cowen und Southwood ist die sogenannte Gesamtfaktorproduktivität.

Diese Kennzahl ist eine Art Sammelbecken für alle möglichen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Indikatoren. Für Gordon ist sie „unser bestes Maß für das Tempo von Innovation und technischem Fortschritt“.

Produktivität wächst immer langsamer

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Die als entscheidende Messgröße verwendete Gesamtfaktorproduktivität (TFP) ist nach Gordon in den USA von 1920 bis 1970 um 1,89 Prozent jährlich gestiegen. Von 1970 bis 1994 schwächte sich das Wachstum dann auf 0,57 Prozent ab. Dann gab es nochmals einen kräftigen Schub: Von 1994 bis 2004 erreicht der Zuwachs einen Wert von 1,03 Prozent pro Jahr. Dieses Zwischenhoch verursachte die Erfindung der Computer und des Internets.

Doch die Dynamik durch die IT-Welt war nur sehr kurzlebig, fand Gordon heraus. Tatsächlich schrumpfte die Gesamtfaktorproduktivität von 2004 bis 2014 wieder bis auf 0,4 Prozent. Und auf diesem Niveau, meint Gordon, wird es wahrscheinlich auch langfristig bleiben.

Das bestätigen auch andere Daten. So sind die Realeinkommen in den USA sind von 1972 bis 2013 sogar gesunken – und auch in Europa war die Entwicklung ähnlich. Der technische und wirtschaftliche Fortschritt hat sich offenbar dauerhaft verlangsamt – entgegen den Grundannahmen der digitalen Revolutionäre. Diese Ergebnisse bestätigen auch Cowen und Southwood in ihren aktuellen Untersuchungen.

Vor allem die Medienwelt hat sich verändert

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Das vielen Menschen der technologische Fortschritt dennoch ungeheuer schnell vorkommt, dafür hat Tyler Cowen eine einfache Erklärung. „Was die Tech-Branche am tiefgreifendsten „disruptiert“ – also umgewälzt hat, das waren die Medien. Und mit denen verbringen wir mittlerweile sehr viel Zeit. Die Welt als Ganzes hat die Tech-Revolution aber nicht großartig verändert“, glaubt der US-Ökonom.

Das sieht auch Robert Gordon so. Er sagt:  "Das schwache Produktivitätswachstum mache eine schnelle wirtschaftliche Expansion und eine massive Verbesserung des Lebensstandards wie etwa Mitte des 20. Jahrhunderts unmöglich“. Gordons glaubt auch, dass digitale Fortschritte wie etwa der 3-D-Druck, künstliche Intelligenz und autonome Autos nur begrenztes Potenzial hätten, die Produktivität deutlich zu steigern.

Auch McAffee, der Autor der Studie „Die zweiten Maschinerevolution“ ist mittlerweile vorsichtiger. Er sagt: „Wenn man die Tech-Branche an ihren hochfliegenden Erwartungen misst, sogar die Gesundheit und die Lebenserwartung voranzubringen, dann sieht das nicht mehr so optimistisch aus“. Der Wissenschaftler geht sogar noch weiter: „Ich glaube nicht, dass wir uns solchen Zielen nähern“.

Landwirtschaft unterliegt vielen externen Einflüssen

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Für die Landwirtschaft sagt Robert J. Gordon in seiner Studie, dass die Produktivitäts-Steigerungen sehr stark von äußeren Einflussfaktoren wie der Materialtechnologie, dem Wetter, der Informationstechnologie, Fahrzeugen und Maschinen sowie anderen Bereichen abhängen.

Daten aus der Landwirtschaft geben nach Gordon damit also gute Hinweise darauf, welchen Einfluss die Fortschritte in breiteren Bereichen der Wissenschaft und Technologie auf die Agrarproduktion haben. Auf den ersten Blick scheinen die globalen Erntedaten große Verbesserungen bei der Gesamtmenge der produzierten Pflanzen zu zeigen, sagt der Wissenschaftler.

In Bezug auf die Fortschrittsraten scheint Entwicklung zumindest in den letzten Jahrzehnten aber nicht ausreichend zu sein, sagt Gordon. Fakt ist aber auch: Obwohl die Landwirtschaft als Teil der Wirtschaft, der Beschäftigung und auch der Landnutzung schrumpft, wächst ihre Gesamtproduktion weiter. Eine Langzeit-Studie zeigt jedenfalls, dass die Erträge der wichtigsten Kulturen in den letzten Jahrzehnten immer noch um rund 1 Prozent pro Jahr steigen. Dieses Wachstum ist in Industrieländern stärker ausgeprägt, in denen neue Innovationen schneller angewendet werden.

Ertragszuwachs bleibt hinter Bevölkerungszuwachs zurück

maschinen.

Das sind gute Nachrichten. Aber die Frage lautet, wie sich die Ernteerträge in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben. Und hier ist das Bild komplex, und teilweise auch pessimistisch, sagt Gordon. „Eine langfristige Studie mit Mais, Reis, Weizen und Sojabohnen ergab, dass in 24 bis 39 Prozent der Anbaugebiete die Erträge entweder kaum noch verbessert haben, stagnieren oder sogar zurückgehen". Dies gilt für den Zeitraum 1961-2008.

Weiter heiß es, dass die Erträge in den meisten Regionen zwar immer noch steigen, dies jedoch eher stetig geschieht und nicht explosiv und das Wachstum sich auch nicht beschleunigt. Mais, Reis und Weizen machen mehr als die Hälfte des weltweiten Kalorienverbrauchs aus. Die von Gordon ausgewerteten Langzeitstudien zeigen, dass die Erträge für diese Kulturen im Bereich von 0,9 Prozent bis 1,6 Prozent pro Jahr steigen.

„Gleichzeitig wäre nach den derzeitigen Schätzungen jedoch eine Wachstumsrate von 2,4 Prozent erforderlich, um die Weltbevölkerung ab 2050 ausreichend zu ernähren“, sagt Gordon. Eine andere Untersuchung weist darauf hin, dass der Anteil der wissenschaftlichen Innovationen (Forschungen) zur Steigerung der Ernteerträge sogar deutlich abnimmt. Über die Ursachen dieses Phänomens sagt Gordon an dieser Stelle jedoch nicht.

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