„Der Agrarsektor hat die Krisen der letzten Jahre relativ gut gemeistert“, sagte Martin Banse, Leiter des Thünen-Instituts für Marktanalyse bei der Agrarfinanztagung der Landwirtschaftlichen Rentenbank und des Deutschen Bauernverbands (DBV). Wegen einer steigenden Nachfrage auf den internationalen Märkten gebe es für deutsche Agrarprodukte gute Absatzchancen. Die Landwirtschaft sei laut Banse vergleichsweise krisenfest.
Martina Noß von der Norddeutschen Landesbank hingegen brachte die Bedeutung der Inflation in die Diskussion. „Die Kerninflation ist immer noch beharrlich hoch“, so Noß. Mit aller Macht wollten die geldpolitischen Akteure die Lohn-Preis-Spirale verhindern. Dennoch werde es laut Noß in dieser Dekade wohl dauerhaft eine höhere Inflation, höhere Zinsen und ein niedrigeres Wachstum geben. Der Zinsanstieg der letzten Zeit sei historisch schnell gewesen. Frühestens Anfang 2024 würden Notenbank einen Kurs der Zinssenkungen einschlagen; von der EZB seien noch drei kleine Mini-Zinsanhebungen zu erwarten.
Arbeitslosigkeit werde es laut Noß künftig so gut wie keine mehr geben, was eine Herausforderung darstelle. Alfons Balmann, Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), berichtete von einer Schätzung für Ostdeutschland: Dort werde in den nächsten 10 bis 15 Jahren wohl nur noch jeder zweite Arbeitsplatz wieder besetzt werden können, was einen enormen Druck auslöse.
Null Investitionen in der Landwirtschaft

Darüber hinaus geht Noß davon aus, dass für sämtliche Investitionen die Kosten steigen werden. Banse fügte hinzu, dass gute Konzepte für Investitionen wichtiger sein werden als der Investitionszeitpunkt. Biogas etwa werde in Zukunft nicht einfach verschwinden, nur weil der Förderboom vorbei ist.
Doch Landwirte sind im Moment kaum zu Investitionen bereit, wie die Vertreter der Banken während der Tagung bestätigen. „Die Investitionsbereitschaft in der Landwirtschaft geht gegen null – und das nicht nur in der Tierhaltung“, sagte Nikola Steinbock, Sprecherin des Vorstands der Landwirtschaftlichen Rentenbank.
Tilo Hacke, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Kreditbank (DKB) erwiderte, dass auch in anderen Branchen, beispielsweise im Wohnungsbau, zur Zeit nicht investiert werde. Es entstehe ein falsches Bild, wenn nur die Landwirtschaft eine Nabelschau betreibe. Dabei sei das letzte Wirtschaftsjahr laut DBV-Präsident Joachim Rukwied ein Jahr der wirtschaftlichen Erholung nach einer langen Durststrecke gewesen. Dieses Niveau werde im aktuellen Jahr wahrscheinlich nicht erreicht, aber stabile Ergebnisse seien laut Rukwied zu erwarten.
Steinbock versicherte, dass die Rentenbank in ihrem Nachhaltigkeitsprogramm alle Kunden mitnehmen wolle. „Das, was die Rentenbank macht, schlägt durch auf alle Hausbanken“, erklärte sie.
Agrarbranche fordert einheitliche Nachhaltigkeitskriterien

Besonders im Hinblick auf die noch unklaren Regeln der EU-Taxonomie waren sich die Branchenvertreter einig, dass das Nachhaltigkeitssystem einheitlich werden müsse. Nora Hammer vom Bundesverband Rind und Schwein erklärte, dass die Definitionen für den Begriff der Nachhaltigkeit nicht voneinander abweichen dürften, um gleiche Indikatoren mit gleicher Bewertung gewährleisten zu können. Das sei auch für den Versicherungssektor relevant.
„Die Realwirtschaft hat noch nicht verstanden, was aus Brüssel mit der Taxonomie auf uns zukommt“, warnte Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). Von der Transformation gehe ein massiver regulatorischer Druck aus. Kolak plädierte für eine Verhältnismäßigkeit bei sämtlichen Anforderungen. Auch Julia Adou, Leiterin für Corporate Responsibility bei Aldi Süd, sprach sich für überschaubare Nachhaltigkeitskriterien aus.
Hacke erläuterte, dass die Nachhaltigkeit in den Ratingverfahren der DKB noch nicht einfließe, weil dazu feste Kriterien notwendig seien. Bald werde aber jedes nach EU-Taxonomie berichtspflichtige Unternehmen auf seine Zulieferer zukommen, sagte Steinbock und unterstrich nochmals die Notwendigkeit von Standards: „Man kann nicht managen, was man nicht messen kann.“
Die jetzigen Möglichkeiten für CO2-Bilanzrechnungen bemängelte Klaus Wagner, Präsident des Thüringer Bauernverbands. Bei jeder Rechnung komme ein anderes Ergebnis heraus. Schon jetzt kosteten Dokumentation und Kontrolle den Landwirten 30 Prozent ihrer GAP-Prämie. Das habe eine eigene Rechnung ergeben.
Investitionsstopp für Digitalisierung beenden

In der Nutzung bestehender und neuer Techniken sahen die Diskussionsteilnehmer die größte Chance, um den politischen, gesellschaftlichen und den Anforderungen der EU-Taxonomie an die Landwirtschaft gerecht zu werden. Balmann wies auf noch unerschlossene Effizienzpotenziale wie autonomes Fahren oder CRIPR/Cas hin. Diese Potenziale sollten laut Balmann genutzt werden. In der politischen Diskussion um die Landwirtschaft seien die Standpunkte aber so gegensätzlich, dass stattdessen Stillstand herrsche. „Nachhaltigkeit und Resilienz erfordern Veränderung“, so Balmann in seinem Vortrag.
Hammer und Agravis-Vorstandsmitglied Jan Heinecke waren sich darin einig, erforschte Techniken auszubauen. Hammer bezog sich auf Erkenntnisse aus dem precision livestock farming wie die Kot-Harn-Trennung im Stall oder Möglichkeiten zur Messung des Tierwohls. Die Tierhalter hätten es der Geschäftsführerin des Bundesverbands zufolge in den letzten Jahren versäumt, die Menschen – besonders aus den Städten – mitzunehmen. Es scheitere aber auch am Interesse. So gebe es bereits Studien – beispielsweise zur Extensivierung oder zum Verlust von Arbeitsplätzen –, doch diese fänden kein Gehör.
Balmann sprach sich ebenfalls dafür aus, wieder eine Wissenschaftsfundierung in die Politik hineinzutragen. An die notwendige Finanzierung von Tierwohlmaßnahmen beziehungsweise Techniken erinnerte der Präsident des Thüringer Bauernverbands. Hier gebe es noch viel Arbeit.
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